Mobilität

Adieu, Oldtimer!

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Moderne Straßenbahnen in der Karlsruher Innenstadt © picture alliance / dpa / Uli Deck
Von Matthias Kußmann · 03.09.2014
Die Straßenbahn aus Karlsruhe fährt auch nach Heilbronn, ins Schwarzwald oder ins Elsass. "Karlsruher Modell" wird dieses Überlandnetz genannt, und es gilt als vorbildhaft. Die Trambahnen sind modern und schnell. Nicht so die Bahnen der Linie 5 - die werden ausgemustert.
Straßenbahnfahrer Volker Dürr: "Jetzt biegen wir rechts ab".
So klingen die alten Straßenbahnen der Linie 5, die Karlsruhe waagrecht durchqueren – vom östlichen Stadtteil Rintheim bis zum Rheinhafen im Westen. Die Bahnen sind echte Oldtimer. 1959 gebaut, erinnern ihre elegante Form, kreisrunde Scheinwerfer und viele Edelstahl- und Chromteile an die Autos von damals. Volker Dürr von den Karlsruher Verkehrsbetrieben steuert die Wagen seit Jahrzehnten, und bis heute leidenschaftlich gern.
Dürr: "Ich bin mit den alten Bahnen schon als Kind aufgewachsen. Man kennt die schon fast von Geburt an. Die hat noch ne ganz andere Ausstrahlung. (...) Es ist noch eine andere Zeit. Allein das Erscheinungsbild mit dieser Front, mit diesen schräg gestellten Scheiben...'
Die Bahnen sind außen creme-gelb – auch das typisch 50er-Jahre –, unten verläuft ein roter Sockel. Die Türen öffnen sich mit einem altmodischen Druckluft-Geräusch.
Steigt man die schmalen Stufen hinauf, ist man endgültig in einer früheren Zeit. Harte Holzbänke statt heutiger Polster, keine Federung. Und wo neue Bahnen leise surren, rumpelt es hier in der sogenannten "Holzklasse" gewaltig. Der Fahrer hat keine eigene Kabine, sondern sitzt mitten unterm Volk – was sicher nicht immer einfach ist ...
Dürr: "Da möchte man schon mal ab und zu haben, dass es zu ist. Aber den Kontakt zu den Fahrgästen möchte man auch nicht missen."
In den neuen Bahnen drückt der Fahrer ein paar Knöpfe, den Rest macht der Computer. Die Oldtimer dagegen haben einen schweren Hebel, mit dem man Fahr- und Bremsstufen einstellt, deutlich hörbar als lautes Krachen. Zudem schnarrt dazwischen laut der Kompressor, der die Bremsen löst. Trambahnfahren ist da körperliche Arbeit und nichts für Geräuschempfindliche.
Bert Klag: "Ne Zeit lang war ne Berlinerin drauf, die leider weg ist. Die hat gesagt: 'Ich fahr die 5 so gern, da zieh ich immer extra Schuhe an, da braucht man praktische Schuhe. Die müssen flach sein, dass man gut drücken kann, die Pedale gehen schwer. Und dann dieses Kurbeln!" Sie sagte: 'Mein Körper braucht das, diesen Widerstand – und nicht so´n Knöpfchen drücken...' '
Der Bildende Künstler Bert Klag hat sein Atelier im Karlsruher Rheinhafen, direkt an einem der riesigen Hafenbecken. 15 Jahre lang ist er Tag für Tag mit der 5 in die Innenstadt und wieder zurück gefahren – obwohl er ein Auto hatte.
Klag: "Weil sie mich dorthin brachte, wo ich hin musste, nämlich in die Stadt, ganz lapidar. Und zum zweiten, weil ich´s unheimlich lustig fand. Ich mochte das Milieu, ich mochte die Menschen um mich rum. Ich mochte auch die harten Holzbänke, die man nicht so verpissen kann wie die anderen weichen, wo es dann plötzlich feucht wird unten. Holzbänke sind überschaubar... Und in der Stadt wissen Sie ja selbst, wie es mit Parkplätzen ist, mit der 5 brauch ich keinen Parkplatz. Und sie fährt ja alles an, was man braucht – bis zum Friedhof. Es ist eine universale Bahn!'
Leidenschaftliche Fans der Linie 5
Friedhof, Universität, Rathaus, Staatstheater, Konzerthaus, Zentrum für Kunst und Medientechnologie – keine andre Karlsruher Tram hat so illustre Haltestellen in der Innenstadt. Andrerseits beginnt sie ihre Tour in einem eher tristen Arbeiterviertel und endet im Industriegebiet Rheinhafen.
Klag: "Die fährt eben nicht nach Durlach, wo man zum Turmberg geht und in der Villa wohnt, die fährt in den Hafen, wo eben auch Menschen wohnen, seltsame Gestalten, da hinten... Und die fährt nach Rintheim. Gehen Sie mal nach Rintheim, steigen dort aus, gucken auf die Hausschilder – lauter ausländische Namen. Dort ist die ganz große Integrations-Ecke, in Rintheim. Und die fährt vom Hafen in diese Ecke. Die fährt an zwei Punkte, wo, sagen wir mal, "finanziell minderbemittelte" Menschen leben. Aber mit großer Seele, möchte ich betonen!'
Als leidenschaftlicher Fan der Linie 5 hat Bert Klag der Bahn sogar ein Buch gewidmet. Es heißt "Die Fünf – Versuch über eine Straßenbahn" und ist im Karlsruher Info-Verlag erschienen. Inzwischen kann der fast 80-Jährige leider nicht mehr so oft mit seiner Lieblingsbahn fahren.
Klag: "Ich bin ja jetzt etwas schwerfällig geworden... In der 5 wird mir immer geholfen. Die Leute springen auf – nicht die jungen, die Alten, die Alten springen auf und die Ausländer. Und dort wieder an erster Stelle die Schwarzen. 'Bitte, bitte setzen!' Weil´s da ja andre Gesetze gibt, wenn jemand alt ist, ist er so viel wie heilig. 'Bitte setzen Sie sich hier. Kann ich Ihnen helfen?' Gehen mit zur Tür und helfen über die sehr hohen Stufen runter. Das ist auch die 5 – Humanitas!"
Im Winter sieht man in der 5 manchmal Menschen, ihr Hab und Gut in ein paar Plastiktüten, die sich in der Bahn aufwärmen.
Klag: "Es gibt natürlich Menschen, die keine Wohnstätte haben, keine Schlafstelle haben, die aber auch nicht in die Heime wollen mit diesen Leuten zusammen. Und die dann irgendwann auch mal ihr Köpfchen, wenn´s kalt ist draußen, wo hinlegen müssen. Und das wird von den meisten Fahrern (...) geduldet. Die dürfen dann hinten sitzen und ne Runde fahren, schlafend. (...) Die andre Seite ist, dass die natürlich auch mal pinkeln müssen – und das tun sie dann halt auch...''
Ende 2014 werden die alten Wagen der Linie 5 wortwörtlich "ausrangiert".
Zwei alte Bahnen bleiben erhalten
Dürr: "Dass die überhaupt so lange gefahren sind, das ist eh schon eine Sensation, muss man sagen. Es kommen auch viele interessierte Straßenbahnfreunde nach Karlsruhe, um diese alten Wagen noch mal zu erleben, weil: In den meisten west-deutschen Städten gibt es diesen Wagentyp gar nicht mehr ...'
... ein Wagentyp, in dem der Fahrgast die Fenster nach Belieben öffnen und schließen kann, was besser ist als jede Klimaanlage. Und aus den Heckfenstern kann man sogar den Kopf in den Fahrtwind strecken – in neuen Wagen völlig unmöglich, "die Sicherheit" geht schließlich vor. Dass die alte "Holzklasse" bis heute von Rintheim zum Rheinhafen fährt, hat aber keine nostalgischen Gründe, sondern praktische. Im Gegen-satz zu neuen Bahnen sind die alten schmaler:
Dürr: "Die haben überlebt durch die 2 Meter 40 Breite, da in Rintheim der Gleismittenabstand für die neueren Wagen, für die breiteren Bahnen, zu schmal ist. Das heißt, zwei neuere Bahnen würden dort nicht aneinander vorbeikommen von der Breite, die würden aneinander vorbeistreifen".
Doch jetzt werden die Schienenabstände in Rintheim verbreitert. Das ist das endgültige Aus für die "Holzklasse", die genau 55 Jahre lang in Karlsruhe unterwegs war. Mit ihren 26 Metern Länge und 70 Sitzen hat sie keine Chance mehr. Denn es übernimmt: der Fortschritt.
Straßenbahn in Naumburg
Historische Straßenbahn in Naumburg© dpa / Picture alliance / Waltraud Grubitzsch
Dürr: "Ein neuer Stadtbahnwagen mit 37 Metern Länge, über 100 Fahrgastsitze, mit ebenem Einstieg. (...) Hier muss man eben an diesen alten Bahnen noch drei Stufen hochklettern. Die Einstiege sind auch bisschen eng bei dieser älteren Bahn. Es ist halt auch nimmer so zeitgemäß. Und auch die Ersatzteilhaltung für die älteren Bahnen – das rechnet sich inzwischen nicht mehr."
Zwei der alten Bahnen werden die Karlsruher Verkehrsbetriebe behalten. Sie wandern ins Depot und werden ab und zu für Sonderfahrten eingesetzt. Die anderen werden verschrottet. Auch in Osteuropa, wohin ein paar Wagen verkauft wurden, besteht kein Interesse mehr – zu "altmodisch". Viele Karlsruher werden sie vermissen:
Passantin: "Ist einfach schade, weil, es erinnert an die alten Zeiten, wie es als Kind war. Ich bin ja in jeder Bahn gefahren, ob´s Linie 5 war, Linie 4 war, Linie 7: Es waren immer die alten Holzbahnen und es war einfach toll. Ich werd´s vermissen ..."
... genau wie dieser Zugereiste aus dem fernen Preußen ...
Passant: "Also ich mag in Karlsruhe am liebsten von der Linie 5 die alten Waggons, weil die mich an früher erinnern. Ich bin in Berlin aufgewachsen und kenn aus Berlin die S-Bahn und bin dort als Kind mit den Holzsitzen in der S-Bahn groß geworden. Das erinnert mich so ein bisschen an alte Zeiten, und deshalb finde ich es schade, dass sie die alten Waggons ausmustern."
Der Oldtimer war nie pünklich
Andere sind froh, dass die Oldtimer abgeschafft werden.
Passantin: "Der war nie pünktlich. Das war ganz schlimm. Wir wohnen jetzt schon 18 Jahre da und habe oft benützt 5er – nie regelmäßig. Ich weiß nicht warum. Ob liegt das am Ampel, oder...?"
Ob die neuen Hightech-Bahnen wohl pünktlich sind? Bert Klag weiß, dass sie bequemer und leiser sein werden. Dennoch hält er den Fortschritt auch für einen Rückschritt.
Klag: "Was Gefühl betrifft für´s Leben, was Sentiment betrifft, bewegen wir uns dauernd weg vom Mittelpunkt. Alles ist für uns geregelt, vorgefertigt, steril, kalt. Der human touch fehlt, die Herzenswärme fehlt in allen Dingen. Und vielleicht ist das auch ein Teil, was die 5 wortlos ausstrahlt."
In den Holzsitzen und Haltegriffen, Schaltern und Armaturen der 5 hat sich Jahrzehnte lang Zeit abgelagert, gelebtes Leben. Zigtausend Menschen sind mit ihr gefahren. Bert Klag vergleicht die 5 sogar mit einer Ikone.
Klag: "Die Ikonen sind deshalb so mächtig, weil hunderte von Gläubigen vor den Ikonen saßen und ihre Schmerzen, ihre Wünsche auf die Ikonen projiziert haben, ihre Bitten vorgetragen haben einem wie immer gearteten Gott. Die Ikonen sind Batterien, die sind aufgeladen und strahlen das ab. – Nehmen wir doch mal an, die 5 ist ne Ikone. Die strahlt ab, was sie in der langen Zeit erlebt hat an Ärmlichkeit, an Erbärmlichkeit, an Armut, an Leuten, die barfuß im Winter mit Sandalen ohne Socken in der Kälte rein-kommen in die 5 – das hat sie alles."
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