Mitten in der Kontroverse

08.07.2011
Das Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin untersucht seit bald 30 Jahren das antijüdische Vorurteil. Vor kurzem ist sein langjähriger Leiter Wolfgang Benz in den Ruhestand gegangen. Seine Nachfolgerin ist die Historikerin Stefanie Schüler-Springorum.
Noch sind ihre Büro-Räume etwas karg, doch das Wichtigste hat Stefanie Schüler-Springorum schon hinter sich: den Umzug nach Berlin - aus Hamburg, wo die Historikerin zehn Jahre lang das Institut für die Geschichte der deutschen Juden geleitet hat. Die Aufnahme im Zentrum für Antisemitismusforschung sei freundlich, so die 49-Jährige, aber sie weiß auch, dass die Kontroverse über ihren Vorgänger Wolfgang Benz wie ein Schatten über ihr schwebt:

"Also dieses unter-Beobachtung-stehen, wie mir das schon einmal mitgeteilt wurde, das ist kein angenehmes Gefühl, aber das gehört eben zum Job dazu. Das ist nicht so, dass ich sagen kann, darauf freu' ich mich unglaublich, in die Mitte von vielen Polemiken zu kommen. Ganz im Gegenteil, aber das hab' ich vorher gewusst, und ich hab' Wissenschaft immer auch mit 'nem politischen Impetus betrieben. Und insofern denke ich, bin ich schon am richtigen Ort. Hoffe ich zumindest."

Auch der Kontakt zu ihrem Vorgänger sei gut, betont Schüler-Springorum: Wolfgang Benz habe beim Auf- und Ausbau des Zentrums für Antisemitismusforschung beachtliches geleistet. Schade sei nur, dass die Debatte über die Vergleichbarkeit von Antisemitismus und Islamophobie alles überlagert:

"Ich glaube, man kann darüber debattieren, wie weit man die Parallelen sieht und da weiche ich schon von ihm ab. Ich finde, es gibt große Parallelen von der aktuellen Islamfeindlichkeit und ich würde sagen dem frühen Antisemitismus im 18 Jahrhundert, gibt auch Kollegen, die sagen. gibt auch Parallelen bis weit ins 19. Jahrhundert hineinreichen, aber das ist 'ne wissenschaftliche Debatte. Ich finde ehrlich gesagt, man braucht nicht den Antisemitismus als Folie, um das zum Thema zu machen. Das ist natürlich immer so, dass wenn man irgendwas mit der NS-Zeit vergleicht, dann hat man die Öffentlichkeit."

Eine Öffentlichkeit, die zum Teil kontraproduktiv sei, weil in den Medien oft Vereinfachungen und Schwarz-Weiß-Bilder dominierten:

"Diese ganze aktuelle Debatte, die wir jetzt die letzten Jahre hatten, über Antisemitismus, Anti-Islamismus oder wie auch immer man das benennen möchte, die würde ich gern sozusagen auf die historischen Füße stellen. Ich würde gern lang- und mittelfristig ein größeres Projekt initiieren, wo man Unterschiede und Parallelen eventuell, wenn es sie gegeben hat, zwischen Antisemitismus, allgemeiner Xenophobie im Rahmen des Kolonialismus und auch Islamfeindlichkeit für das 19. Jahrhundert zum Beispiel erforscht."

Antisemitismus, allgemeine Xenophobie oder Islamfeindlichkeit: Was für das 19. Jahrhundert mit wissenschaftlicher Distanz untersucht werden kann, führt bei der Frage, womit sich das Zentrum für Antisemitismusforschung in Zukunft verstärkt beschäftigen soll, zu heftigen Kontroversen. Spätestens seit den Anschlägen des 11. September seien Muslime in Deutschland und Europa einem Generalverdacht ausgesetzt, der an antijüdische Ressentiments erinnert, betonen die einen. Unsinn, erwidern die anderen, das Institut müsse sich nicht mit Muslimen als Opfer beschäftigen, sondern mit dem unter muslimischen Migranten wachsenden Antisemitismus, der vor allem auf Israel fixiert sei.

"Ich denke, dass dieser Gegensatz, Entweder-oder, der ist einfach falsch. Ich würde schon sagen, dass Antisemitismusforschung im Mittelpunkt der Arbeit steht und immer gestanden hat mit vielen Projekten hier am Zentrum, aber dass man seine Augen nicht verschließen kann, wenn aktuell Bevölkerungsgruppen in Deutschland ausgegrenzt werden auf der Basis von diffusen Ängsten. Das ist die eine Sache. Gleichzeitig kann man die Augen nicht verschließen, und das hat das Zentrum nie getan, vor islamischem Antisemitismus, den es natürlich auch massiv gibt."

Ein Beispiel dafür ist die Gaza-Flotille, an der sich im Übrigen auch viele europäische Linke beteiligt haben.

"Wenn man sich an einem Unternehmen beteiligt, das von der Hamas mitgesteuert wird, und die Hamas in ihrer Charta das Existenzrecht Israels nicht anerkennt, dann ist man in einem Fahrwasser, das ich auch als antisemitisch bezeichnen würde, also da muss man sich genau überlegen, von wem man sich instrumentalisieren lässt."

Um selbst in der Debatte um Antisemitismus versus Islamophobie nicht instrumentalisiert zu werden, will Schüler-Springorum islamischen Antisemitismus zunächst einmal besser erforschen lassen:

"Mir wär‘s sehr wichtig, und da bin ich schon dabei, daran zu arbeiten, dass man jemanden einstellt, der islamwissenschaftliche Kompetenzen und entsprechende Sprachkompetenzen mitbringt, um sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen."

Doch so sehr die Kontroverse um Wolfgang Benz den Blick auf seine Nachfolgerin bestimmt, Schüler-Springorum will in ihrer Arbeit als neue Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung auch noch ganz andere Schwerpunkte setzen.

"Wir wissen besonders was Deutschland angeht, sehr viel über Antisemitismus als Ideologie, also als Text. Was mich viel mehr interessiert ist die Ebene des antisemitischen Ressentiments: Braucht man eigentlich Texte, um Antisemitismus zu popularisieren, das heißt, weg von Geistesgeschichte, hin zur Geschichte der Emotionen, der Gefühle, und auch, das wäre dann der nächste Schritt, wie schlägt Antisemitismus in Gewalt um und wann."

Homepage des Zentrums für Antisemitismusforschung