Mitteleuropäische Klänge

Von Mahler bis Bartók

31.07.2014
Aufbruch und Abschied: Mahlers 1. Sinfonie galt bei ihrer Premiere in Budapest als ultramodern. Bartóks 2. Violinkonzert ist ein Rückblick auf das alte Europa. Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks stellt die beiden Werke einander gegenüber.
Von allen deutschen Klangkörpern hat das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks die größte Mahler-Tradition. Nach dem Zweiten Weltkrieg in München gegründet, etablierte sich das Orchester dank hervorragender Musiker vor allem aus Tschechien in Windeseile und war bereits in den 1960er Jahren eine der ersten Adressen für sinfonische Musik in Deutschland.
Mahler-Traditionen am Symphonieorchester des BR
Mit dem Dirigenten und Komponisten Rafael Kubelik amtierte von 1961 bis 1979 ein Chefdirigent, der noch kurz vor dem Zerfall des Habsburgerreichs im alten Böhmen geboren worden war und der sich in München die Musik seines Landsmanns Gustav Mahler systematisch erschloss. Als erstes deutsches Orchester stellte das Symphonieorchester des BR alle Mahler-Sinfonien zyklisch vor und nahm sie auf Schallplatten auf. Diese erste, noch heute zu den Klassikern der Diskographie zählende Gesamteinspielung löste parallel zu der von Leonard Bernstein den weltweiten Mahler-„Boom" aus, der zu den erstaunlichsten Repertoire-Phänomenen in der Musik des 20. Jahrhunderts zählt.
Zu Ehren Rafael Kubelik, an dessen 100. Geburtstag in diesen Wochen erinnert wird, dirigierte Yannick Nézet-Séguin Mahlers 1. Sinfonie im Münchner Herkulessaal. Der Franko-Kanadier, Jahrgang 1975, ist zur Zeit Chefdirigent u.a. in Philadelphia und gilt auch in Europa als ein Musiker, der sich für höchste Aufgaben qualifiziert hat.
Von Mahler bis Bartók
Mit Mahlers Erster dirigierte Nézet-Séguin in gewohnt körperlicher Art Musik aus dem Kernrepertoire des Orchesters – ein Werk des jungen, damals in Budapest tätigen Kapellmeisters Mahler, das hier mit einem Abschiedswerk des Ungarn Béla Bartók konfrontiert wurde. Der schrieb sein 2. Violinkonzert Ende der 1930er Jahre, kurz bevor er in die USA emigrierte. Noch einmal, so scheint es, lässt Bartók in diesem Werk das alte Europa, die "Welt von Gestern", Revue passieren.
Das großdimensionierte Konzert greift nicht nur die von Bartók intensiv erforschte Volksmusik des Balkan auf, sondern knüpft in erhabener Abgeklärtheit auch bewusst an die Violinkonzerte von Beethoven und Brahms an. Mit dieser Aufführung verabschiedete sich der israelisch-amerikanische Geiger Gil Shaham, der dem Symphonieorchester des BR seit 1987 verbunden ist, als „Artist in Residence" der Saison 2013/14.
Herkulessaal der Residenz München
Aufzeichnung vom 27.06.2014
Béla Bartók
Konzert für Violine und Orchester Nr. 2 Sz 112
ca. 20.50 Konzertpause
Gustav Mahler
Sinfonie Nr. 1 D-Dur „Titan"
Gil Shaham, Violine
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Yannick Nézet-Séguin