Mithu M. Sanyal: "Vergewaltigung"

Vom seltsamen Umgang mit angeblich Entehrten

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Vergewaltigung ("Rape") kommt von Raub: "Raub der Sabinerinnen" von Giovanni Bologna in den Uffizien © picture alliance / dpa / Fredrik von Erichsen
Mithu Sanyal im Gespräch Jörg Magenau · 27.09.2016
Die Gesellschaft erwarte von einem Vergewaltigungsopfer, dass es fürs Leben traumatisiert sei, meint Mithu Sanyal. Diese Erwartungshaltung erschwere aber die Heilung. Menschen sollten selbst entscheiden dürfen, wie sie sich verletzt fühlten.
Die Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal beschäftigt sich mit Themen, die andere lieber schamvoll verschweigen. Nach ihrem Buch "Vulva" hat sie jetzt eine Schrift vorgelegt "Vergewaltigung. Aspekte eines Verbrechens". Darin kritisiert sie, dass gerade in Bezug auf Sexualität und Vergewaltigungen nach wie vor viele überkommene Vorstellungen existierten. Zum Beispiel die Auffassung von der Vergewaltigung als Ehrverlust:
"Womit ich aufgewachsen bin, ist, dass Vergewaltigung das schlimmste Verbrechen ist", sagt Sanyal.
"Vergewaltigung ist das Verbrechen, das uns am meisten traumatisiert, bis ans Ende unseres Lebens. Und das kann natürlich der Fall sein, aber das muss nicht der Fall sein."
Mit dieser Erwartungshaltung einer lebenslangen Traumatisierung erschwere die Gesellschaft Heilung, so die Autorin.
"Damit will ich jetzt wirklich nichts relativieren, aber es ist mir ein Anliegen, dass Menschen selber entscheiden können, welche Wege zur Heilung sie wählen oder wie sie sich verletzt fühlen."
Das sei aber ganz schwer auszuhalten:
"Das merken wir an Leuten wie Natascha Kampusch, die sich nicht so verhalten hat, wie wir das von Opfern erwarten und die ja unglaublich viel Druck bekommen hat, gesellschaftlichen Druck, und auch das hat ja eine Geschichte.
Das hat ja ganz viel mit dieser Vorstellung von Ehre zu tun, also die Ehre der Frau war in ihrem Körper verortet, in ihrem Jungfernhäutchen, während die Ehre der Männer im öffentlichen Raum verhandelt wurde, also auf dem Schlachtfeld oder ihrem Beruf. Und das, was bei einer Vergewaltigung gestohlen war, war ja die Ehre, deshalb konnten ja auch nur Frauen vergewaltigt werden. Das englische Wort 'rape' kommt von dem germanischen Wort 'Raub'. Bis 1974 haben wir in Deutschland das Wort 'Notzucht' gebraucht. (...)
Wenn diese Ehre verloren war, dann hatte eine Frau ihren Platz in der Gesellschaft verloren und musste mit ihrem restlichen Leben beweisen, dass sie aber vorher eine Ehre hatte, die ihr gestohlen werden konnte, am besten, indem sie sich dann selbst umgebracht hat. Mit dem beginnenden Christentum wurde das dann zu einem Problem. Da musste sie sich aber trotzdem zurückziehen, am besten krank werden und dahinsiechen."

"Auch Jungen wollen nicht alles penetrieren, was nicht bei drei auf dem Baum ist"

Überhaupt haben Sanyal zufolge viele überkommene Geschlechtervorstellungen überlebt, zum Beispiel das Bild vom sexuell allzeit bereiten Mann und der desinteressierten Frau, die nur dem Mann zuliebe dem Drängen irgendwann nachgibt. Diese Vorstellung findet offenbar ihren Niederschlag auch in der gegenwärtigen Diskussion zur Vergewaltigungsprävention:
"Also, Mädchen sollen lernen, nein zu sagen. Jungen sollen lernen, das Nein zu akzeptieren. Aber auch Mädchen haben sexuelle Bedürfnisse, auch Jungen wollen nicht alles penetrieren, was nicht bei drei auf dem Baum ist."
Insofern plädiert Mithu Sanyal dafür, stattdessen an Schulen Konsenstraining zu machen.
"Dass wir kommunizieren: Was wollen wir eigentlich? Dass wir lernen, überhaupt wahrzunehmen: Was wollen wir? Und dann auch unsere Grenzen anzunehmen."
(uko / huc)

Mithu M. Sanyal: Vergewaltigung. Aspekte eines Verbrechens
Hamburg 2016, Edition Nautilus
240 Seiten, 16 Euro

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