Miteinander leben

Der Berliner Sport und die Flüchtlinge

Flüchtlinge als künftige Sporttrainer.
Flüchtlinge als künftige Sporttrainer? Die Anforderungen der Vereine sind hoch. © Deutschlandradio / Wolf-Sören Treusch
Von Wolf-Sören Treusch · 25.09.2016
In Berlin wurden 67 Sporthallen in Wohnhallen für Flüchtlinge umfunktioniert. Etliche Anlagen sind inzwischen wieder frei. Doch die Sportstätten müssen für ihre ursprüngliche Nutzung saniert werden - und das kostet. Die Trainingssituation für Vereine und Schulen ist weiterhin katastrophal.
Lesefassung des Nachspiel-Features:
Am Morgen des 10. September 2015 starrt Lucas Jakubczyk ungläubig auf das Display seines Smartphones. Ein Freund hat ihm mitgeteilt, er habe bis Mittag Zeit, seine Sachen aus der Sporthalle zu holen. Sie werde anderweitig gebraucht. Lucas Jakubzcyk, einer der besten deutschen Sprinter, zweifacher Olympiateilnehmer, hat es plötzlich eilig.
"Wir hatten, glaube ich, zweieinhalb Stunden Zeit im Prinzip, alles, was wir irgendwie in die Hand nehmen konnten, raus zu räumen, um unsere Geräte zu sichern, um die Trainingsmittel zu sichern. Ja, dann war es irgendwann 12 Uhr, dann kamen mehrere Offizielle, Polizei, und haben sich das Gebäude angeguckt, und dann, ja, ging es Schlag auf Schlag."
Das Horst-Korber-Sportzentrum, nur wenige Meter vom Berliner Olympiastadion entfernt, wird zur Flüchtlingsunterkunft. Von einem Tag auf den anderen sind die beiden Hallen, der Kraftsportraum, die Sauna und das Entmüdungsbecken für Berlins Spitzensportler passé. Die Flüchtlinge können ja nichts dafür, sagt Lucas Jakubzcyk. Von den politisch Verantwortlichen hätte er aber mehr Fingerspitzengefühl erwartet.
"Für mich ist es halt mein Büro. So ein Trainingsstandort. Und wenn halt über Köpfe hinweg entschieden wird, dass es das halt einfach mal nicht ist. Das ist, wie wenn ich jetzt entscheide: dein Büro wird jetzt geschlossen.
Das Verständnis für die Situation der Flüchtlinge muss man aufbringen, aber man muss natürlich auch das Verständnis für die Leute, die dann in ihrem Alltag eingeschnitten werden, aufbringen. Und das hat an vielen Ecken und Enden gefehlt."

Noch immer leben mehr als 5000 Menschen in Turnhallen

Bis zu tausend Flüchtlinge gleichzeitig werden im Horst-Korber-Sportzentrum in den Wintermonaten untergebracht, bis zu zehntausend insgesamt in den beschlagnahmten Sporthallen der Hauptstadt. Noch immer leben mehr als 5000 geflüchtete Menschen in Turnhallen. Klaus Böger, Präsident des Berliner Landessportbundes, ist erkennbar genervt:
"Wir hatten in Berlin 63 Sporthallen belegt, es sind frei gezogen – 18. Es ist angekündigt, dass der Rest bis zum Jahresende frei gezogen sein wird, Ankündigung! Wieder am Netz, das heißt von Sportvereinen und Schulen benutzt, der Hallen: null. In der Sanierung: von den 18, die frei geräumt wurden: zwei. Sanierungsaufträge auch zwei. Das ist unser Stand."
Ursprünglich sollten bereits zu Beginn des neuen Schuljahres alle Berliner Turnhallen wieder frei sein und saniert werden können. Daraus wird nun nichts. Und natürlich betrifft das nicht nur den Spitzensport, sondern vor allem den Schul- und Breitensport
"Ja, hallo, herzlich willkommen im Reitclub Grunewald, ich bin Michaela Wilczek. Ich bin hier die erste Vorsitzende, und wir freuen uns sehr, dass Sie heute bei uns den Weg ins Grüne gefunden haben, um einmal zu schauen, wie wir mit geflüchteten Menschen zusammen die Pferde erklimmen, die Ponys erklimmen und sozusagen ein bisschen Sport gemeinsam machen."
Die Berliner Vereine kämpfen nicht nur darum, ihre Turnhallen zurückzubekommen. Sie machen den Flüchtlingen auch Sportangebote. Seit einem Jahr lädt beispielsweise der Reitclub Grunewald regelmäßig die Bewohner einer nahe gelegenen Flüchtlingsunterkunft zum Schnupperkurs ein.
Meist kommen mehr. Heute sind es sechs Jungen im Alter zwischen 6 und 16. Vorsichtig nähern sie sich den Pferden, skeptisch betrachten sie die Halfter. Irgendwann sitzen sie alle im Sattel und drehen ihre Runden. Ehrenamtliche Helfer des Vereins unterstützen sie dabei.
Eine Auszeit für den Kopf wollen sie den Flüchtlingen bieten, erzählt Michaela Wilczek, aber sie selbst profitiere auch von den Begegnungen.
"Das war ein kleiner Junge, der war sehr ängstlich. Und dann bin ich runter gegangen und habe ihn praktisch ertappt, wie er dann doch heimlich sich getraut hat, ein Pony dann mal an der Nase anzufassen, und das war so ein ganz magischer Moment einfach so für mich, wo ich gedacht habe, da braucht es manchmal gar nicht so viel, um dann vielleicht ein paar Kinderaugen zum Glänzen zu bringen. Das war einfach schön."
Der Reitclub Grunewald in Berlin
Der Reitclub Grunewald in Berlin © Deutschlandradio / Wolf-Sören Treusch
Ortswechsel. Katrin Kruse weiß, dass die jungen Männer aus Syrien sie kaum verstehen. Doch sie weiß auch, dass die jugendlichen Flüchtlinge sich gemerkt haben, wie die Abläufe sind. Wie selbstverständlich tragen sie die Ruder und das Boot zum Steg. Einmal die Woche geht die Trainerin mit ihnen aufs Wasser.
Der Ruderclub Tegelort liegt im Norden Berlins, direkt an der Havel. 1000 Quadratmeter Idylle pur. Gleich neben dem Vereinsgelände steht ein Wohnheim für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Für sie ist der Ausflug aufs Wasser eine großartige Abwechslung zum tristen Heimalltag.
So ein Doppel-Vierer ist kein einfaches Sportgerät. Die Jugendlichen brauchen eine Weile, bis sie das Boot einigermaßen gleichmäßig über die Havel bewegen. Seit April arbeitet der Ruderclub mit dem benachbarten Flüchtlingsheim zusammen. Die Idee dazu hatte die Vorsitzende Heide Meyer, eine resolute Dame im besten Alter mit großem Herz.
"Ich werde natürlich auch von anderen Club-Vorsitzenden angefragt 'Wie, ihr nehmt Flüchtlinge auf?' Ich sage: 'Ja, warum nicht?'"
Integrationsbemühungen wie diese unterstützen Bund und Land mit etwa 420.000 Euro im Jahr 2016. 64 Berliner Vereine beteiligen sich an dem Programm. Die Karower Dachse aus dem Nordosten der Stadt gehören nicht dazu. Sie würden zwar gerne, aber ohne Turnhalle?
Die Fensterscheiben abgeklebt, das Licht diffus, der Steinfußboden mit Matten ausgelegt: so richtig einladend wirkt er nicht, der ehemalige Drogeriemarkt im Karower Ortszentrum. Den fünf Frauen ist es egal: Sie konzentrieren sich auf ihre Schritt-Kombinationen, Step-Aerobic geht überall. "Es waren aber schon mehr Teilnehmerinnen", sagt Kirsten Ulrich, Mitbegründerin und Vorstandsmitglied der Karower Dachse. Viele seien ausgetreten, eben weil der Verein seine Sportangebote an Orte wie diesen verlegt hat. Verlegen musste.
In ihrer eigentlichen Turnhalle in Karow wurden im November des vergangenen Jahres 200 Flüchtlinge untergebracht. Von heute auf morgen musste der Verein für 75 Sportangebote Ausweichstandorte finden. Hier und da ein vergebliches Unterfangen. Mit einschneidenden Konsequenzen.
"Wir haben ja Sportarten, die nicht mehr angeboten werden können aufgrund von Lagerungsmöglichkeiten. Wie zum Beispiel Rhönrad, Großtrampolin, Tuchakrobatik. Dann ist die ganze Basketball-Abteilung praktisch zu einem anderen Sportverein gegangen, weil wir uns finanziell den Spielbetrieb nicht mehr leisten konnten. Es hieß also wirklich: Entweder wir mieten an und sehen zu, dass wir praktisch die Mietkosten bezahlen oder wir leisten uns weiter den Spielbetrieb."

Finanziell wird es für den Verein eng

300 Personen verließen den Verein, ein Sechstel der Mitglieder. Gleichzeitig stiegen die Kosten: Ersatzräume mussten angemietet, viele Sportgeräte transportiert und gelagert werden. Kirsten Ulrich sagt, der Verein kämpfe um seine Existenz.
"Ja, muss man wirklich so sagen. Wir sind in unsere Rücklagen gegangen, haben Verluste in diesem Jahr geschrieben. Es ist nicht so, dass wir jetzt in den nächsten zwei Monaten insolvent sind, sollte das aber, wie es jetzt aussieht, bis nächstes Jahr zum Sommer so gehen, und wir sind nicht kreativ, - wir versuchen gerade Lösungen zu finden, aber wenn diese Lösungen nicht gefunden werden können, wird es eng. Sehr eng."
Natürlich geben die Karower Dachse nicht so einfach auf. Neuerdings haben sie ein paar mehr Freiluft-Fitness-Angebote im Programm, und sie bauen den inklusiven und Reha-Sport aus. Dafür braucht man keine Turnhalle. Das brachte ihnen zuletzt hundert neue Mitglieder. Wann sie endlich wieder in 'ihre' Turnhalle dürfen, ist unklar. Keiner weiß, wann die Sanierungsarbeiten beginnen.
Ortswechsel. Neben dem Velodrom, im Bezirk Pankow, befindet sich die Geschäftsstelle des SV Pfefferwerk. An der Eingangstür klebt ein kleiner, grinsender roter Teufel, daneben der Schriftzug: "Willkommen bei Pfeffersport, dem schärfsten Sportverein in dieser Galaxie." Hier verwalten 19 Mitarbeiter 4600 Mitglieder und neun Abteilungen des Vereins. Auch der Pfeffersport musste erleben, wie brutal es sein kann, wenn die Weltpolitik in den Alltag eines Sportvereins einbricht.
"Indem man auf 'nem Mittwochabend, 20 Uhr, reinkam und es hieß: Wir sollen sofort die Halle verlassen. Und innerhalb von drei Stunden kam die Logistik und innerhalb von fünf Stunden die Flüchtlinge."
In jener Nacht im November 2015 verlieren 772 Sportler auf einen Schlag ihren Trainingsort, eine Sporthalle mit barrierefreiem Zugang. Auch 60 Rollstuhlbasketballer sind davon betroffen. Unter ihnen Christoph Pisarz, Chef der Rollis, selbst Spieler und beim Pfeffersport für die Koordination der Sporthallen zuständig. Ersatz, wenn auch zehn Kilometer entfernt, findet er schnell. Da der Verein kurz darauf aber noch eine zweite Halle als Notunterkunft an die Flüchtlinge verliert, brechen für die Rollis schwere Zeiten an.
"Wir sind der einzige Verein in Berlin im Rollstuhlbasketball, der wirklich Nachwuchsarbeit fördert und betreibt. Das wird natürlich schwierig, wenn keine Zeit und keine Hallen so richtig bestehen, dass man die jungen Leute heranführen kann."
So kompliziert die Situation seit einem Jahr ist: Pfeffersport gehört zu den Berliner Vereinen, die schon von Beginn an Sportangebote für geflüchtete Menschen im Programm haben. Vier sind es in diesem Jahr. Umso unbegreiflicher findet es Christoph Pisarz, dass ausgerechnet seinem Verein zwei Hallen weggenommen wurden.
"Wir hatten selber einen Syrer als Flüchtling, der bei uns gerade anderthalb Monate Fuß fasste, versuchte deutsch zu sprechen, weil er natürlich sich irgendwie integrieren wollte. Das war natürlich toll, weil er sich irgendwie aufgehoben gefühlt hatte, aber wo die Halle von jetzt auf sofort weg genommen wurde, war er auch weg. Weil: Wir konnten ihn nicht kontaktieren, und das ist einfach nur schade."
Probleme mit der Kontaktaufnahme? Das kennt auch Tatjana Herrmann, mehrfache Kung-Fu-Weltmeisterin und Vorsitzende des Shaolin-Kulturvereins in Pankow. Sie hat Bewohner eines benachbarten Flüchtlingsheims für ihre Kung-Fu-Kurse begeistern können. Dabei hat sie gemerkt: Das Wichtigste ist, den Kontakt zu ihnen zu halten.
"Jetzt funktioniert es so, dass wir einfach per WhatsApp immer hin schreiben. Ich schreib dann 'Hey, morgen Training, kommst du?' Und dann wissen sie auch noch mal: Ah, morgen ist wieder Training. Also wir haben auch lernen müssen, dass sie ein ganz anderes Zeitmanagement haben. Wenn wir am Freitag sagen 'Montag ist Training’, wissen die am Montag nicht mehr, dass heute, Montag, Training war. Und das mussten wir erstmal lernen. Dass man immer wieder neu sagen muss 'Hey, morgen ist wieder Training’."
Der Shaolin-Kulturverein in Berlin-Pankow
Der Shaolin-Kulturverein in Berlin-Pankow© Deutschlandradio / Wolf-Sören Treusch
Zwei ihrer geflüchteten Schützlinge kommen mehrmals die Woche zum Training: Jan, 17, aus Afghanistan und Mohammed, 16, aus Syrien. Beide sind enorm ehrgeizig und fleißig. Deshalb dürfen sie bereits im Show-Team mitmachen und den Shaolin-Kulturverein bei öffentlichen Auftritten repräsentieren. Mohammed spricht schon recht gut deutsch.
"Ja, es macht Spaß, es ist sehr schön hier, Kung Fu zu lernen, mit Tatjana und den anderen. Seit drei Monaten bin ich beim Kung Fu, ja, und ich bin in Deutschland seit sechs Monaten. Ja, ich habe von Anfang einen Deutschkurs gemacht in meinem Heim."
Mohammed stammt aus einem Dorf in der Nähe von Aleppo, der besonders umkämpften Stadt in Syrien. Vor zwei Jahren machte er sich allein auf den Weg. Anfangs im Training war er sehr verkrampft, erzählt Tatjana Herrmann. Er konnte es kaum ertragen, wenn bei Ballspielen jemand in seinem Rücken war.
"Nicht Fußball, ich brauche Kampfsport. Kampf-Kung-Fu, aber nicht jetzt. Ich muss jetzt ein bisschen lernen normales Kung Fu, dann Kampf-Kung-Fu im Shaolin-Tempel.Genau, ich mag Kämpfen und diese Sachen. Die Jungen mögen das, weil es die Körper sehr schön und groß macht. Nicht dick und nicht schmal."
Am Ende der Trainingseinheit übt Mohammed die Grundstellungen im Schwertkampf. Johanna, eine 18-jährige Mitschülerin, unterstützt ihn dabei. Der Sport steht vor einer großen Aufgabe, will er die oft traumatisierten Menschen aus den Flüchtlingsgebieten in die Gemeinschaft integrieren. Im Shaolin-Kulturverein klappt das schon recht gut.
Die Willkommenskultur stößt aber auch an Grenzen. Zu Beginn des Jahres ermöglicht der Landessportbund Berlin zwanzig Flüchtlingen, eine Ausbildung zum Übungsleiter zu machen. Doch schnell wird klar: Das ist nicht einfach.
Methodenlehre steht auf dem Stundenplan. In Kleingruppen sollen die zwanzig Flüchtlinge Trainingseinheiten ausarbeiten. Die Themen: Fußball, Fitness, Thaiboxen und Kindersport. Ihr Blick signalisiert: Sie wollen lernen, sie wissen nur nicht so genau, was und wie.
"In der letzten Woche haben wir halt viel praktisch gemacht, und das größte Problem, was ich dabei gesehen habe, war aber, dass eben dieser Fokus, wofür wir eigentlich hier sind, noch gar nicht in allen Köpfen drin ist. Es geht ja darum, dass sie lernen, wie man Übungen mit anderen Leuten zusammen macht. Wie man Leute anleitet, dass sie halt irgendwann irgendwas lernen."
Dann geht es in die Sporthalle. Die drei Frauen und 17 Männer laufen wild durcheinander. Sie freuen sich, dass sie sich bewegen können. Sie toben. Jeder von ihnen schnappt sich einen Ball. Gezieltes Aufwärmen? Fehlanzeige.
"So ist falsch?"
Alaa lässt sich von Kursleiter Niels Steinke zeigen, wie man einen Basketball wirft. Standbein vor, Wurfarm locker nach oben schnellen lassen: Sie probiert es. Alaa ist 19 und kommt aus Syrien. Wegen des Krieges in ihrem Heimatland musste sie ihre Ausbildung zur Krankenschwester abbrechen. Das Projekt des Landessportbunds gibt ihr nun die Chance, ihren Traum weiter zu leben. Parallel zur Trainerausbildung macht sie ein Praktikum in einem Berliner Krankenhaus.

Keiner der Flüchtlinge schafft die Prüfung für die Trainerlizenz

Ihre Kleingruppe hat Übungen zum Thema Kindersport vorbereitet. Alaa macht sie vor. Sie schnappt sich ein Springseil. Mal springt sie mit beiden Beinen, mal mit einem. Die anderen tun es ihr nach. Der Hallenboden schwingt.
Alaa erklärt ihren Mitschülern, worauf sie bei den Übungen achten müssen. Sie kann sich vorstellen, später auch einmal in einem deutschen Sportverein tätig zu sein.
Doch dafür muss Alaa erst einmal die Prüfung für die Trainerlizenz bestehen. Am Ende der dreimonatigen Ausbildung ist klar: Keiner der Flüchtlinge schafft sie. Niemand von ihnen wird in absehbarer Zeit in einem Berliner Verein als Übungsleiter tätig sein. Frank Kegler, beim Landessportbund für den Bildungsbereich zuständig, zieht ein nüchternes Fazit:
"Wir haben die sprachlichen Barrieren unterschätzt und haben festgestellt, dass vieles nicht so verstanden werden konnte, wie wir es vorhatten. Der Anspruch von uns war zu hoch. Deswegen werden wir es auch beim nächsten Mal auf die Menschen abstellen, auf deren Hintergründe. Und wir werden auch andere sportliche Inhalte reinbringen, wir werden auch sehr viel mehr Sport-Praxis noch machen, weniger Theorie. Und wir werden auch sehen, dass wir sportliche Inhalte aus den Herkunftsländern mit rein nehmen. Also das große Thema Tanz spielt in diesen Ländern eine große Rolle, um da auch den Anker sehr viel fester setzen zu können."
'Wir schaffen das'. Mehr als ein Jahr ist das Mantra der Bundeskanzlerin alt. 100.000 Flüchtlinge kamen seitdem nach Berlin. Etwa 5000 von ihnen leben bis heute in Notunterkünften, die in Turnhallen eingerichtet wurden. Von den 63 Hallen, die vor einem Jahr beschlagnahmt wurden, sind 18 wieder frei, zwei davon werden saniert.
Das Horst-Korber-Sportzentrum wird noch nicht saniert. Seit Mai sind die Flüchtlinge raus, passiert ist im Leistungszentrum für Berlins Spitzensportler seitdem aber nichts. Noch immer wellt sich an einigen Stellen auf der roten Kunststoffbahn der Leichtathletikhalle der Belag. Noch immer lagert Müll im Sand der Weitsprunggrube, gibt es schwarzen Schimmel in den Umkleideräumen. Der Grund: Monatelang wurde ums Geld gestritten, die Finanzierung der Sanierungsmaßnahme war nicht gesichert.
Klaus Böger, Präsident des Landessportbundes, ist sauer: "Wir haben jetzt einen Bescheid, der liegt brutto bei 3,1 Millionen, wir hatten in unserem Gutachten etwa 3,8 Millionen. Ich bin ziemlich sicher, auch bei höchster Anstrengung, dass diese Finanzmittel nicht ausreichen werden, um die Halle in den Zustand zu bringen, in dem sie bei Übernahme des Senats im September 2015 war."

Streitereien um die Kosten eines Duschkopfs

Immerhin ist das Geld für die Sanierung endlich bewilligt worden. Auch wenn der Streit mit der BIM, dem Immobiliendienstleister für das Land Berlin, zwischenzeitlich absurde Züge annahm.
"Wie zum Beispiel beim Horst-Korber-Zentrum: Man kann Duschköpfe für 20 Euro ersetzen? Ja, die kriegen Sie noch nicht einmal bei Obi. Das fand ich so infam, so etwas zu sagen, wenn diese Art des Herangehens, des Sanierens dann auch bei den Bezirklichen Schulsporthallen praktiziert wird, dann wird der Sport zweifach betrogen. Einmal indem er die Nutzung hat, und zum anderen, dass dann Hallen zurückgegeben werden, die in einem schlechteren Zustand sind als vorher. Und ich bezweifle sehr stark, ob Teile der Hallen benutzbar sind zum Beispiel für das Deutsche Turnfest, was eben zum Teil da stattfinden soll."
Das Internationale Deutsche Turnfest geht im Juni 2017 in Berlin über die Bühne. Es ist die größte Wettkampf- und Breitensport-Veranstaltung der Welt.
Und welche Trainingsbedingungen werden die Spitzensportler zukünftig in Berlin vorfinden?
10,16 Sekunden über 100 Meter. Bei Olympia in Rio scheidet Lucas Jacubzcyk bereits im Halbfinale aus. Da wäre mehr drin gewesen, sagt er heute, blinzelt in die heiße Berliner Septembersonne und erklärt warum.
Da war das Knochenödem am linken Sprunggelenk, das ihn viele Monate Vorbereitungszeit kostete. Und da waren die Flüchtlinge, die ihn aus der Leitathletikhalle im Horst-Korber-Sportzentrum "vertrieben" und zwangen, weite Wege zur Ersatzhalle auf sich zu nehmen.
Waren sie also schuld daran, dass er in Rio nicht das erreichte, was er sich vorgenommen hatte?
"Wenn man mich das gefragt hätte vor einem Jahr, dann hätte ich es definitiv bejaht, jetzt in der Rückschau: Ja, pff, ich bin davon überzeugt, dass es in Deutschland Athleten gibt, die auf einem ähnlichen Niveau wie ich trainieren und zu dem Zeitpunkt teilweise noch schlechtere Bedingungen hatten."
Es ehrt Lucas Jacubczyk, dass er nicht jammert. Fakt ist, dass ihm "seine" Trainingshalle im Horst-Korber-Sportzentrum noch sehr lange nicht zur Verfügung stehen wird. Mit gemischten Gefühlen blicken sie auch beim Berliner Leichtathletikverband auf diese Situation. Bis zu einhundertfünfzig Kaderathleten trainieren hier normalerweise. Lucas Jakubczyk findet das Hin und Her um die Sanierung der Halle unwürdig. Und eben auch leider ein bisschen typisch.
"Das ist ein Signal, was wir mit der Olympiabewerbung für 2020, 2024 ja schon ziemlich deutlich bekommen haben, dass Leistungssport in der Stadt, vielleicht auch in Deutschland nicht den Stellenwert mehr hat, zumindest der Olympische, wie es mal war."
Ob Leistungssport, ob Breitensport - noch immer ist die Hallensituation in der Hauptstadt für viele Schulen und Vereine, man muss es so sagen, katastrophal. Die Hochbauämter in den Bezirken sind überlastet, die notwendigen Sanierungsmaßnahmen nach dem Auszug der Flüchtlinge werden dauern, wahrscheinlich sehr lange. Angesichts dieser Schwierigkeiten gehen die Integrationsbemühungen des Berliner Sports, leider, fast unter.
(huc)