Mit Take That in die Zukunft

Von Claudia Kracht · 20.07.2012
Sie singen Chansons, Pop-Songs, aber auch Jazz-Evergreens: Die Mitglieder des Dortmunder Männer-Chores "Phoenix Harmonists". Mit Musik von Take That und den Beach Boys wollen sie Jüngere anziehen.
"Die Harmonie ist 35 Jahre lang ‚Meisterchor’ gewesen. Höchste Auszeichnungen für Chöre in NRW bedeutet höchstes Leistungslevel, den Chöre in NRW erreichen können."

Peter Heydecker sitzt entspannt auf einem Barhocker im Vereinsheim "Justenkamp" in der alten Stahlarbeiter Hochburg - Dortmund-Hörde. Vor ihm steht ein frisch gezapftes Pils. Der Gesamtschullehrer singt seit fast zwanzig Jahren. Während dieser Zeit, berichtet er, hat sich der Chor kaum verändert. Die meisten der 50 Sänger proben immer noch wöchentlich in der kleinen, gepflegten Gartenkolonie. Nur die Kulisse hat sich gewandelt. Wo einst der Ruß der Hochöfen die Häuser schwarz malte, stehen heute pikfeine Hightech- Firmen. Und: Die Chor-Sänger sind älter geworden, die meisten Ruheständler, sagt er etwas wehmütig:
"Bevor diese Menschen Pensionäre oder Rentner wurden, waren sie Schweißer, Stahlarbeiter, Geschäftsführer, selbständige Kaufleute - also quer durch die Gesellschaft. Und das Schöne: Es wurde überhaupt nicht nach dem gesellschaftlichen Status gefragt, sondern es war das Hobby."


Auch heute noch zählt der Chor 50 Hobby-Sänger. Früher hörte er auf den stolzen Namen "Die Harmonie". Aber irgendwann litt er unter Nachwuchsmangel - wie viele andere Chöre auch. Deshalb soll er jetzt moderner werden. Winfried Meyer, Arrangeur und Pianist hat das Programm auf jüngere Leute zugeschnitten. Mit Liedern von Take That, den Beach Boys oder anderen will der 130 Jahre alte Meister-Chor in eine junge Zukunft starten.

"Und die Idee ist, nur mit einem anderem Vorzeichen, aber mit dem gleichen Namen die "Harmonie" weiter leben zu lassen."

Der Geruch von Zigaretten, Bier und Schnaps dringt in das Hinterzimmer des Vereinslokals. Leicht verstaubte rote Plastikrosen stehen in kleinen Vasen auf beige und gelb karierten Tischdecken. Einer nach dem anderen betritt das karg möblierte Vereinszimmer. Es sind die neuen Chormitglieder, die "Boygroup", wie sie sich nennen: Die "Phoenix Harmonists". In nur wenigen Minuten stellen sie Tische beiseite, rücken Stühle zurecht und stellen sich im Halbkreis in die frei geräumte Mitte. Dann stimmen sie an. Chorleiter Winfried Meyer verteilt die Notenblätter. Der 50-jährige studierte Musiker stellte den neuen Männerchor vor knapp einem Jahr zusammen:

"Die "Phoenix Harmonists" als neuer Chor des alten Chores "Harmonie" – das ist für mich etwas ganz Besonderes, weil es zeigt, dass es auch in der heutigen Zeit möglich ist, dass es eine Form von Männerchor geben kann. Und es finden sich doch noch Männer, die einfach Lust und Spaß haben, regelmäßig zu proben und zu arbeiten."

Andreas Guse: "Es gibt mir sehr viel. Das Singen ist eigentlich das, was einen wieder nach vorne bringt. Wenn ich zur Probe gehe und alles so vergessen kann, Alltag, Arbeit. Dann habe ich auch manchmal das Gefühl, dass ich nachher daraus schwebe."

Andreas Guse gehört mit Anfang Vierzig zu den jüngeren Sängern. Er arbeitet in einem Rechenzentrum der Stadt Dortmund. Das Singen einmal in der Woche ist für ihn Lebenselixier. Genauso wie für Erik Schulz, der sich darüber freut, sein tristes Büro mit dem geselligen Vereinsheim tauschen zu dürfen:

"Weil das Singen gut für die Seele ist. Ich bin sehr gut gelaunt, wenn ich das mache, und ich kann mal abschalten vom Alltag. Wir sind eine Truppe, die gerne probt, aber auch mal ein bisschen Spaß dabei hat."

Jeder ist hier willkommen, jeder darf mitsingen. Genau wie damals: In den 50er-Jahren erlebten viele Chöre einen rasanten Aufstieg, der in den 80er- Jahren seinen Höhepunkt erreichte. So auch die "Harmonie". Heute aber liegt der Alters-Durchschnitt bei 70 Jahren. Deshalb dürfen neue Mitglieder gern etwas jünger sein, meint Chorleiter Winfried Meyer – und die Lieder auch.

15 Männer singen jetzt in der neuen Sparte der "Phoenix Harmonists". Von Beruf sind sie Lehrer, Techniker, Gärtner oder Handwerker. Für die 20- bis 65-jährigen ist das Vereinsheim eine Oase, sagt Sänger Jürgen Klippert:

" Bei mir ist es der Ausgleich vom Alltags-Stress. Dass man die Sorgen vor der Tür lässt und nicht mit rein nimmt. Am nächsten Morgen sind die Sorgen wieder da, dann ist der Stress wieder da, aber in den zwei Stunden, wo ich hier bin, da vergisst man alles. Da bin ich frei."

Freier fühlen sich seit einiger Zeit auch die Sänger der alten "Harmonie". Denn sie wissen, dass ihre 130 Jahre alte Meisterklasse in den jungen "Phönix Harmonists" weiterleben wird. Genauso wie das Menschliche, dass seit vielen Jahren hier im Vereinsheim seinen Platz gefunden hat:

"Für die meisten Mitglieder ist das auch eine Form von Zuhause. Man ist mit Freunden zusammen, man kann lachen, man spricht über Probleme. Man hat auch Hilfe von den einzelnen Leuten. Der eine kann den Teppich verlegen, der andere was anderes und das ist was, was heute verloren gegangen ist."

Weitere Informationen:
Phoenix Harmonists

Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.
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