Mit Sektwerbung fing es an

Von Grit Krause · 28.12.2009
Der deutsche Animationsfilm fristet ein Nischendasein. Wer sich das eine oder andere Werk ansehen möchte, ist auf Festivals und DVD-Editionen angewiesen - oder darf zu mitternächtlicher Stunde vor dem Fernseher sitzen.
Dabei hatte alles so hoffnungsvoll begonnen, als vor 100 Jahren zur Geburtsstunde des deutschen Trickfilms die Korken knallten. Denn der animierte Erstling "Prosit Neujahr 1910" von Guido Seeber war ein Reklamestreifen für Sekt.

Von Anfang an waren Animations- und Werbefilme eng miteinander verknüpft, sagt der Leiter des Trickfilmfestivals Stuttgart, Ulrich Wegenast.

"Vor allen Dingen in den 1920er-Jahren war das natürlich eine ganz wichtige Kreativbranche, die Gestaltungstechniken entwickelt hat, die dann in anderen Animationsbereichen auch eingesetzt wurden."

In den 1920er-Jahren entdeckten bildende Künstler den Film für sich. Sie nutzten das Medium allerdings nicht, um Geschichten zu erzählen. Vielmehr experimentierten Avantgardisten wie Walter Ruttmann, Hans Richter und Oskar Fischinger mit Form, Farbe und Rhythmus. Mit ineinanderfließenden geometrischen Figuren, rhythmisch gesetzten Farbwischern und schwungvollen Pinselstrichen schufen sie den sogenannten "Absoluten Film" und erlangten damit Weltruhm.

Nach der Machtergreifung Hitlers 1933 wurden die abstrakten Experimente als "entartete Kunst" diffamiert. Schnell verschwanden sie von den Kinoleinwänden. Stattdessen liefen dort jetzt auch Trickfilme im Dienst der Nazi-Ideologie.

Während Erwachsenen zum Beispiel mit "Jud Süß" antisemitische Vorurteile eingeimpft wurden, bekamen die Kinder Animationen zu sehen wie die vom "Bäumchen, das andere Blätter hat gewollt".

Ausschnitt aus dem "Bäumchen, das andere Blätter hat gewollt":

"Aber wie es Abend ward, ging der Jude durch den Wald, er steckt sie ein, geht eilends fort und lässt das leere Bäumlein dort…"

Hitler selbst, heißt es, war ein großer Fan von Micky Maus. Gemeinsam mit Propagandaminister Goebbels träumte er davon, Walt Disney zu übertrumpfen. 1941 gründeten sie die Deutsche Zeichenfilm GmbH.

Ulrich Wegenast: "Man hatte da große Ambitionen, man wollte nämlich 50 animierte Langfilme pro Jahr herstellen. Das war ein sehr ambitioniertes Ziel und aus dieser deutschen Zeichenfilm GmbH ist letztendlich nur ein Kurzfilm entstanden, der heißt 'Der arme Hansi'."

Christina Schindler: "Dieser 'absolute Film' und die Anfänge, die haben aufgezeigt, dass in Deutschland ein wahnsinnig großes Potential war. Durch den Nationalsozialismus ist das zu Nichte gemacht worden und nach dem Krieg ist das sehr mühsam erst wieder in Gang gekommen."

Die Trickfilmerin Christina Schindler ist Professorin für Animation an der Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" in Potsdam. "Papas Kino ist tot" rebellierten junge Filmemacher im legendären Oberhausener Manifest. Einige von ihnen entdeckten auch den künstlerischen Animationsfilm für sich.

Ulrich Wegenast: "Beispielsweise der Film von Wolfgang Urchs, 'Gartenzwerge', der sich mit der Remilitarisierung Westdeutschlands auseinandersetzt, oder Helmut Herbst mit 'SchwarzWeißRot', der sozusagen die Wiederkehr der Nazis in Westdeutschland thematisiert, wo eben Politik und Kunst ganz stark miteinander verbunden werden."

In der noch jungen DDR aber reiften bereits wieder Pläne zum staatlich gelenkten Film. Am 1. April 1955 wurde in Dresden der volkseigene Betrieb VEB DEFA-Studio für Trickfilme gegründet. 1500 Animationsfilme, meist für Kinder, verließen hier bis zur Schließung 1990 den Tricktisch.

Trotz staatlicher Kontrolle gab es im Dresdner Trickfilmstudio Regisseure, die in der Filmästhetik neue Wege gingen. Einer von ihnen war Lutz Dammbeck.

In "Einmart" erzählt er die Geschichte eines Wesens aus Kopf, Armen und Füßen, das versucht, über eine Mauer zu fliegen, um dadurch einer trostlosen Landschaft zu entfliehen. Warum dieser Film nicht im Giftschrank landete, erzählt Andre Eckardt, Geschäftsführer des Deutschen Instituts für Animationsfilm, das den Nachlass des Trickfilmstudios bewahrt.

"''Ganz einfacher Grund, er ist in Leipzig beim Dokfilmfestival gezeigt worden, ist dort entdeckt worden und ist dann in Oberhausen gelaufen. Und das hieß natürlich automatisch: Den Film kann man jetzt nicht mehr zurückziehen:""

Die Comicverfilmungen "Werner Beinhart" und "Das kleine Arschloch" eroberten in den 90er-Jahren das Kinopublikum. Aber auch künstlerische Animationen, die vor allem in den Filmhochschulen und Filmklassen entstanden, wurden international gewürdigt. Eine Sternstunde sei 1990 der Oscar für die Puppenanimation "Balance" von den Brüdern Lauenstein gewesen, sagt Christina Schindler.

"Das hat uns einen unglaublichen Auftrieb gegeben, dass man wirklich mit Animation doch auch in diesem Land wahrgenommen werden kann."

100 Jahre nachdem der erste deutsche Trickfilm über die Leinwände flimmerte, hat Festivalleiter Ulrich Wegenast jetzt gemeinsam mit dem Goethe-Institut die bedeutendsten Animationen aus Deutschland in einer DVD-Reihe veröffentlicht.

Service:
Die sechsteilige DVD-Edition "Geschichte des Deutschen Animationsfilms" ist bei "absolut Medien" erschienen. Mehr Informationen dazu finden Sie unter www.absolutmedien.de.