"Mit Schmerzen gelungen, aber nicht fehlerfrei"

Reinhard Höppner im Gespräch mit Katrin Heise · 01.07.2010
"Manches hätte, wenn wir mehr Zeit gehabt hätten, besser gemacht werden können", aber "die Leute waren alle ungeduldig, die wollten alle die D-Mark haben", sagt Reinhard Höppner, der 1990 als politisch Agierender auf DDR-Seite an der Währungsunion mitgewirkt hat.
Katrin Heise: Die deutsche Einheit, die wurde im Oktober 1990 vollzogen, eingeleitet aber eigentlich heute vor 20 Jahren – am 1. Juli 1990, als in der DDR die D-Mark eingeführt wurde. "Die D-Mark hat uns getrennt, die D-Mark wird uns wieder vereinen", das sagte Manfred Stolpe, und zwar im Hinblick auf die Währungsreform kurz vorher. Mein Gesprächspartner jetzt, der hat Stolpes Rede damals gehört, er war einer der politischen Agierenden auf DDR-Seite in der Wendezeit. Ich begrüße Reinhard Höppner, den späteren Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt. Schönen guten Tag, Herr Höppner!

Reinhard Höppner: Guten Tag, Frau Heise!

Heise: In Ihrem Buch "Wunder muss man ausprobieren", da schreiben Sie, dieser Satz, "Die D-Mark hat uns getrennt, die D-Mark wird uns wieder vereinen", dieser Satz hätte für Sie auch die Botschaft gehabt, nicht Freiheit und Gerechtigkeit, sondern eben das Geld war die Triebfeder. Was machte sich da breit in Ihnen – Ernüchterung, Enttäuschung?

Höppner: Nein, das war, glaube ich, schon vorher klar. Schon im Januar haben die Parteien überlegt, wann diese Währungsunion kommen solle, also die D-Mark in der DDR eingeführt wird, und dann ist so eine Art Wettlauf im Voraus der Volkskammerwahl entstanden: Wer macht es am schnellsten? Und damit war mir klar, das wird eine Frage sein, die die Wahlen entscheidet. Das war dann auch so. Und es ist dann für die Leute nicht nur das Thema D-Mark, glaube ich, gewesen, sondern allen war klar, wenn die D-Mark eingeführt wird, dann ist die Einheit eigentlich endgültig, dann kann sie keiner mehr rückgängig machen. Und so eine Gewissheit, dass die Einheit wirklich kommt, die spielte im Frühjahr 1990 schon eine Rolle.

Heise: Wie haben Sie ganz konkret den 1. Juli vor 20 Jahren erlebt?

Höppner: Also ich habe ihn relativ unspektakulär erlebt. Wir hatten einfach unheimlich viel Arbeit in dieser Zeit. Wir haben ja innerhalb eines halben Jahres praktisch alle Gesetze machen müssen, die für die Einheit nötig waren. Ich war damals ja Vizepräsident der Volkskammer, und für mich ist das mehr eine geschäftsmäßige Sache gewesen, dass das Geld umgetauscht worden ist, aber ich habe natürlich erlebt, dass viele das mit großen Emotionen gefeiert haben.

Heise: Haben Sie selbst, sind Sie überhaupt um Geldumtauschen gekommen?

Höppner: Ich glaube, das haben wir per Konto gemacht, ich weiß gar nicht, wie viel – das muss meine Frau gemacht haben, denn ich hatte damals keine Zeit dazu.

Heise: Also Sie haben keinen Abschied genommen sozusagen von der Mark?

Höppner: Nein! Also für mich war diese D-Mark nicht sagen wir mal der Fetisch bei der ganzen Geschichte. Das ist ja richtig, Sie haben es erwähnt. Mir waren die Themen von Freiheit und Gerechtigkeit schon wichtiger als die D-Mark. Und ja, ein bisschen war das dann auch der Vorbote für das, was wir danach erlebt haben, nämlich also einen gewissen Tanz ums goldene Kalb, um diese D-Mark. Das Geld spielte im Leben der DDR-Bürger nicht so eine große Rolle, aber mit dem 1. Juli 1990 war es dann soweit, dass auch das Geld eine Rolle spielte.

Heise: So ähnlich hat sich die Schriftstellerin Annett Gröschner neulich hier im Deutschlandradio Kultur ausgedrückt, sie hat nämlich gesagt, in der Zeit vor dem 1. Juli, da sei so viel möglich gewesen in diesen Monaten, die davor waren, man hätte so viel ausprobiert. Mit der D-Mark war man dann in der Wirklichkeit angekommen, hat sie gesagt, diese zum Beispiel neu gegründete Zeitungen oder so sind eingegangen, weil sie unter D-Mark-Voraussetzungen eben einfach nicht existieren konnten. Wie haben Sie das erlebt, auch wie so einen Anpassungsschock?

Höppner: Das war sicherlich ein Anpassungsschock, also was die Zeitungen beispielsweise anbetrifft, die haben das sehr geschickt gemacht. Die haben schon vor der Währungsunion einfach kostenlos und dann zu Eins-zu-eins-Kursen ihre Zeitungen verkauft – Westzeitungen waren ja sehr begehrt in der DDR – und dadurch die Basis dafür gelegt, dass sie dann nachher den Markt beherrschen konnten. Das heißt mit anderen Worten, das Thema Marktbeherrschung spielte dann ab dem 1. Juli eine wesentliche Rolle.

Heise: Apropos, ich habe nun das Wort "ausprobieren" benutzt, Sie haben ja auch, na, "ausprobiert" ist jetzt vielleicht ein bisschen naiv ausgedrückt, aber Sie hatten Politikmachen ja vorher, ja sozusagen in der Kirche gelernt. Wie kamen Sie sich eigentlich vor in der Zeit als Politiker?

Höppner: Also ich hab das erlebt als sehr wohltuend, denn ich war genau an der Stelle gelandet, wo ich gebraucht wurde und wo ich meine Fähigkeiten auch einbringen konnte. Ich war ja Präses der Synode, also des Kirchenparlamentes gewesen, und das war die einzige Stelle, an der man Demokratie lernen konnte in der DDR. Und die dann einzubringen, war für mich wichtig und in gewisser Weise auch schön.

Heise: Aber gerade so in den Monaten 19.., also in den letzten Monaten 1989, und dann 1990 die ersten, hatten Sie da keine Angst vor der eigenen Courage, vor den Entscheidungen, die man fällen musste?

Höppner: Also wir hatten eigentlich keine andere Wahl, das war völlig klar, die Alten sollten es nicht noch mal machen und wer, wenn nicht wir, war da die Devise. Und gut, wir haben manchmal vor der Größe der Aufgabe selbst einen Schreck bekommen, aber aufs Ganze gesehen, glaube ich, muss ich im Nachhinein sagen, wir haben es ganz beherzt angepackt und ganz gut geschafft.

Heise: 20 Jahre nach der Währungsreform erinnert sich der frühere Ministerpräsident Sachsen-Anhalts, Reinhard Höppner, im Deutschlandradio Kultur. Herr Höppner, es gab am 1. Juli ja nicht nur die D-Mark – es trat die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion in Kraft. Das dritte wurde besonders wichtig, weil ja reihenweise Firmen danach pleite gingen. War Ihnen das vorher schon klar?

Höppner: Also das war mir relativ schnell klar. Ich habe nicht gedacht, dass es so abrupt sein würde, dass praktisch ab dem 1. Juli in allen unseren Regalen praktisch Westprodukte waren und kaum noch Produkte aus der DDR zu sehen waren. Offenbar war es so, dass die Leute, die Produkte, die sie selber produziert haben – angefangen von der Zahnpasta bis zum Trabanten –, im Grunde genommen selber nicht mehr kaufen wollten und sich damit übrigens auch ihre Arbeitsmöglichkeiten selber genommen haben. Das hat eine Weile gedauert, so zwei, drei Jahre, ehe man dann wieder auf Ostprodukte zurückgekommen ist. Besonders drastisch war es übrigens bei den Bauern. Ich kam dann zehn Tage, glaube ich, nach der Währungsunion an der Volkskammer an, und da war plötzlich eine Kuh vorm Parlament angebunden. Die Bauern streikten, weil sie natürlich als Erste merkten, dass sie keine Milch mehr abgenommen bekommen, weil die Käse- und Milchprodukte aus dem Westen geliefert werden. Und das ist dann doch wirklich ziemlich dramatisch geworden. Insofern war das Thema Sozialunion außerordentlich wichtig.

Heise: Aber Sie hatten nicht in so einem Moment das Gefühl, oh, ob da doch was falsch läuft?

Höppner: Doch, das hatten wir schon, das war eine sehr kribbelige Situation, aber ich glaube, sie war tatsächlich alternativlos, denn wenn diese D-Mark nicht bald gekommen wäre, dann wären noch mehr Menschen, glaube ich, in den Westen gegangen, weil sie da sehr schnell auch dann Westgehälter bekommen hätten – die waren ja damals noch erheblich höher als im Osten. Und es hätte eine Exitus gegeben, der unsere Wirtschaft noch mal auf andere Art und Weise zum Erliegen gebracht hätte.

Heise: Thilo Sarrazin, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, damals im Finanzministerium tätig vor 20 Jahren, er war derjenige, der den Plan der Währungsunion quasi entwickelt hat, der erinnerte sich hier im Deutschlandradio Kultur an einen Moment, in dem von der DDR-Seite her eine Aufstellung der wirtschaftlichen Situation der DDR vorgelegt wurde, also quasi das ganze Desaster übergeben wurde. Sarrazin sagte, das sei wie die Übergabe der Festungsschlüssel im Mittelalter gewesen, wenn die Macht gewechselt hat. Fühlte sich das für Sie so auch so an – wir übergeben unser Land an die Wirtschaftsmacht Westdeutschland?

Höppner: Ja, das ist schon ein bisschen so gewesen. Wir haben natürlich versucht, einiges da mit zu gestalten und uns dann beispielsweise auch diesen Themen Arbeitslosigkeit und dergleichen mehr widmen müssen. Aber das war schon so, die Treuhand hatte gewissermaßen die komplette DDR-Wirtschaft übernommen, um sie zu privatisieren, und das ist ja dann wirklich in einem schmerzhaften Prozess schließlich gelungen. Aber da waren wir, glaube ich, eher ohnmächtig, als dass wir da noch wirklich Gestaltungsmacht im Blick auf diese Wirtschaft hatten. Da war es wirklich eine Schlüsselübergabe schlicht und ergreifend.

Heise: Sarrazin sagte, er hätte so im November, Dezember 89 schon gewusst, die DDR ist ein Auslaufmodell. Was hätten Sie ihm damals geantwortet, wenn er Ihnen das gesagt hätte?

Höppner: Also gut, im November, Dezember, da wusste man das. Also mir war das völlig klar – in dem Moment, wo die Mauer gefallen war, gab es da überhaupt gar kein Halten mehr, da war nur noch eine schnelle Vereinigung möglich, weil sonst die DDR wirtschaftlich ausgeblutet wäre. Wir wussten es dann auch relativ schnell, als die Volkskammer zusammentrat, weil klar war, wir wären nicht mehr liquide gewesen bis zum Ende des Jahres. Das war auch ein Grund, weswegen diese Maßnahmen alternativlos gewesen sind. Für mich ist es ein Problem allerdings der Umtauschkurs gewesen. Also gut, diese Spareinlagen da eins zu eins zu tauschen, das ist eine einmalige Ausgabe, das ist nicht so unbedingt ein Problem, aber der Kurs von eins zu zwei war wirklich nicht angemessen, weil wir haben alle nur an die Guthaben gedacht. Wir haben nicht an die Schulden gedacht. Und die Schulden wären ja auch halbiert worden, das heißt mit anderen Worten, der Schuldenberg, der dann am Ende der DDR aufgehäuft war, wäre vermutlich halb so groß gewesen. Wir tragen ihn jetzt ab mit dem Solidaritätszuschlag, den wir alle zahlen noch 20 Jahre lang. Und ja, wenn man es mal grob sagt, wenn der Umtauschkurs eins zu vier gewesen wäre, hätten wir vermutlich die Hälfte an Solidaritätsbeitrag zahlen müssen.

Heise: Das heißt, wie fällt so eine kurze Bilanz aus von Ihnen, 20 Jahre danach?

Höppner: Ja, mit Schmerzen gelungen, aber nicht fehlerfrei, das muss man eindeutig sagen. Manches hätte, wenn wir mehr Zeit gehabt hätten, besser gemacht werden können.

Heise: Aber die war nun mal nicht da – sagt Reinhard Höppner …

Höppner: Ja, die Zeit war auch nicht da. Ich meine, die Leute waren alle ungeduldig, die wollten alle die D-Mark haben, und wir hätten das ein oder andere in diesem Vertrag noch besser verhandeln können, aber dann hätten die Leute gesagt, macht jetzt nicht so einen Quatsch, wir wollen diese Einzelheiten gar nicht wissen und geregelt haben, wir wollen nur die D-Mark. Und das war das Ziel.

Heise: Sagt Reinhard Höppner, ehemaliger Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Herr Höppner, ich danke Ihnen recht herzlich für das Gespräch!

Höppner: Ja!

Heise: Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen noch!
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