Mit Schaber und Farbe gegen Naziparolen

Von Annette Blaschke · 18.07.2005
Sie ist eine Heldin der Tat: Seit fast 20 Jahren entfernt die Berliner Heilpädagogin Irmela Mensah-Schramm ehrenamtlich Nazisymbole und braune Parolen von Hauswänden, Straßenlaternen, U-Bahn-Sitzen. 1996 hat sie dafür die Bundesverdienstmedaille bekommen, 1998 das "Band für Mut und Verständigung" der Ausländerbeauftragten von Berlin - und jetzt wurde Irmela Mensah-Schramm für ihre Zivilcourage in Dresden mit dem mit 10.000 Euro dotierten Erich-Kästner-Preis geehrt.
Mensah-Schramm: "Letztens habe ich mich geschwungen in der U-Bahn – Schuhe ausgezogen – auf den Sitz, weil oben an diesem kleinen Bildschirm, da klebte ein Naziaufkleber, da hab ich gleich mein Spachtel raus, den ritsch-ratsch abgemacht. Und da meinte eine Dame, die da saß, "Hach, wenn Sie älter wären, dann könnten Sie das nicht mehr so einfach machen". Da habe ich gesagt: "Was wollen Sie, ich werde bald 60!" "

Kämpferisch wirft Irmela Mensah-Schramm den silbergrauen Bubikopf in den Nacken. Aus freundlichen blauen Augen zwinkert sie mir verschwörerisch zu und zieht grinsend ihre Geheimwaffe aus der Handtasche: einen kleinen silbernen Ceranfeldschaber, mit dem andere Damen ihres Alters in der Regel den Küchenherd saubermachen.

Mensah-Schramm: "Kaum entdeckt – schon weg. Und so ist meine Vorgehensweise, also: je schneller, desto besser. "

Irmela Mensah Schramm, Jahrgang 45, bis letztes Jahr Lehrerin an einer Berliner Behindertenschule, in zweiter Ehe mit einem Afrikaner verheiratet, weiß, warum sie mehrmals wöchentlich mit Spachtel, Aceton, Schwamm, Pinsel und Farbeimerchen loszieht: Der Dreck muss weg, bevor er sich in den Köpfen festsetzt. Aus einer mit Filzstift bemalten Stofftasche - "Gegen Nazis!" steht darauf geschrieben – holt sie jetzt einen Stapel auf Tonpapier geklebte Fotos und breitet sie auf dem Tisch aus.

Mensah-Schramm: "Das hab ich ein paar Mal gefunden. "Was die Juden schon hinter sich haben, haben die Türken noch vor sich..." ich meine, was das für ein Typ war, der das geschrieben hat, das zeigt sich, der ist ja hochgradig gestört. Und trotzdem entsetzlich. Und dann wurde das Hakenkreuz noch zu einem Keltenkreuz verbunden…"

Irmela Mensah-Schramm kennt sie alle, die geheimen Zeichen der Neonazis, ihre Zahlencodes, ihre Sprüche. Sie weiß, welcher Aufkleber welcher Partei zuzuordnen ist. Und wie ein guter Jäger weiß, wo sich seine Beute versteckt, weiß auch Mensah-Schramm, wo am nächsten Tag wieder ein neuer Nazisticker kleben wird oder eine andere rechte Parole prangt. Auf manchen Bildern ist auch zu sehen, was sie aus den vorgefundenen Schmierereien gemacht hat.

Mensah-Schramm: "Eindeutig werden die Sachen bearbeitet. Knallhart. Mit Farbe übergossen, und dann zackzackzack mit dem Pinsel... "

Doch bevor die quirlige Rentnerin mit dem markanten S-Fehler "zackzackzack" mitunter ganze Hauswände überpinselt, fotografiert sie das, was sie dort vorgefunden hat. Unter dem Titel "Hass vernichtet" wandert das Ganze dann als Ausstellung durch Schulen, Bürgerhäuser und Kulturzentren. 7800 Fotos hat Mensah-Schramm mittlerweile in ihrer Sammlung, meterweise Ordner. Auf einer Deutschlandkarte hat sie alle Fundstellen mit gelben Punkten markiert; an die 180 Punkte sind das inzwischen, im Osten wie Westen, im Süden wie im Norden.

Mensah-Schramm: "Es gibt Aktionen, wo die Leute mir schon ins Gesicht gesagt haben, ich wäre schlimmer als die Nazis, wenn ich Hakenkreuze übermale. … Ich habe selbstverständlich auch schon viele positive Reaktionen. Es haben mich schon Leute in den Arm genommen, ein ganz eleganter Herr hat er mich umarmt vor seiner Frau und gesagt "Ich danke ihnen!" "

"Was Frau Mensah-Schramm seit fast 20 Jahren tut", so hieß es in der Laudatio bei der Kästner-Preis-Verleihung, "könnte im Prinzip jeder tun". Aber es erfordere eben Mut, und den hat nicht jeder. "Schmierereien beschmieren" ist, selbst wenn die Inschriften verfassungswidrig sind, in Deutschland strafbar. Etliche Anzeigen wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch hat sich die überzeugte Pazifistin schon eingehandelt, auch tätliche Übergriffe durch Wachpersonal und Neonazis, bis hin zu Morddrohungen. Aber wegschauen, das geht nicht, findet sie. Weil schon ihre Eltern gegen den Krieg waren, weil sie Obrigkeitsdenken hasst, und weil sie seit einer schweren Krebserkrankung vor zehn Jahren erst recht weiß, wie lebenswert das Leben ist.
Mensah-Schramm: "Ich bin hochsensibel gegenüber Ungerechtigkeit, Benachteiligung, Demütigung. Ich weiß, was Demütigung bedeutet, die ich selber erlebt habe - und ich denke, dass man das frühzeitig und gleich am Anfang stoppen muss. "

Wehret den Anfängen, sagt die Erich-Kästner-Preisträgerin Mensah-Schramm – und findet sich beim Namensgeber des Preises in bester Gesellschaft, denn auch Kästner hat in seiner Arbeit sehr früh den aufkeimenden Faschismus dokumentiert.
Mensah-Schramm: "Ich bin unbequem und ich bleibe unbequem. Und hartnäckig vor allen Dingen…"

Hinweise:

Wer die Arbeit von Irmela Mensah-Schramm finanziell unterstützen will, kann Spenden auf das Konto der Friedensinitiative Berlin-Zehlendorf e.V. überweisen, Stichwort "Hass vernichtet", Landesbank Berlin, BLZ 100 500 00, Kontonummer5 10 100 163 22.

Hass vernichtet
Eine Ausstellung von Irmela Mensah-Schramm.

Evangelische Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau, Alte Römerstraße 87, 85221 Dachau. Noch zu sehen bis September 2005. Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag 10-16 Uhr, Sonntag 12-13 Uhr.