Mit Musik und Tanz eine Brücke bauen

Tantshoyz mit "A Tickle In The Heart"
Tantshoyz mit "A Tickle In The Heart" © Klaus Kassel / Jüdische Kulturtage Halle
Von Wolfram Nagel · 11.10.2013
In Halle an der Saale haben in den vergangenen Tagen zum ersten Mal Jüdische Kulturtage stattgefunden, initiiert vom Leopold-Zunz-Zentrum, der Martin-Luther-Universität und der jüdischen Gemeinde. Das zehntägige Fest ging mit einem Vortrag über die "Geschichte der jüdischen Loge Germania II No 335" zu Ende.
"Ejns, zwej, drej …"

Das hat es in Halle an der Saale noch nie gegeben. Deborah Strauss aus New York und die Klezmorim von "A Tickle In The Heart" aus Köln spielen zum Tanz auf. Mehr als 100 Klezmerfreunde und Neugierige sind an diesem Abend in den Volkspark gekommen, um sich den Rhythmen von Klarinette, Violine und Schlagzeug hinzugeben.
"Weil wir uns alle bewegt haben, alle miteinander verbunden waren. Und keiner wusste, wie’ s ging, aber es ging. Ja, man freut ja sich, dass das nun auch nach Halle gekommen ist."
"Es gibt ein gutes Gemeinschaftsgefühl. Dazu eignen sich diese Tänze einfach prima. Man tanzt im großen Kreis. Mit acht Leuten, mit vier Leuten, mit zwei Leuten, auch mal alleine, also wie im richtigen Leben."

Sagt der Tanzmeister und Musiker Andreas Schmitges. Er leitet die ersten Jüdischen Kulturtage in der Saalestadt. Erfahrungen hat der Kölner bei verschiedenen Klezmer-Festivals gesammelt, vor allem aber beim Yiddish Summer in Weimar.

"Ich denke, das Festival hier ist auch aus dem Geist von Weimar mit entstanden. Es kam ja auch im Endeffekt über drei Umwege durch die Studenten zustande, die hier von der Judaistik in Halle alle Praktika in Weimar gemacht haben. Von daher gab’ s auch in der Studentenschaft ne große Menge Leute, die wussten , wie sich so was anfühlt... "

Bei der Klezmer-Dance-Night, dem Workshop für jiddische Sprache, einer Jam Session im Cafe Brohmers oder bei komplett ausverkauften Konzerten wie "Voices of Ashkenaz". Die Geigerin Deborah Strauss aus Brooklyn, die schon oft in Berlin oder Weimar auf der Bühne stand, kannte Halle bisher nur vom Namen her oder durch den Blick aus dem Zugfenster:

"Das ist tatsächlich das erste Mal, dass ich hier bin. Früher bin ich ein paar ma durch Halle gefahren, im Zug auf dem Weg von Weimar nach Berlin. Ich wusste nur, dass mein Freund Andreas hier ist. Ich hab nur davon gehört, von der Judaistik an der Universität. Aber ich bin sicher, Halle wird bald ein neues Zentrum für jüdische Musik sein..."

In den vergangenen Jahren hat es in Halle bereits mehrmals israelische Kulturtage gegeben. Es gibt auch einen jüdischen Kulturverein mit Namen "Akzent", der vor allem aus russischsprachigen Mitgliedern besteht. Aber das genüge nicht, um Judentum bekannt zu machen und Vorurteile abzubauen, meint Max Privorozki, Vorsitzender der orthodox ausgerichteten jüdischen Gemeinde von Halle. Gerade in Sachsen-Anhalt gebe es sehr viele Vorurteile gegenüber den Juden.

"Man verbindet normalerweise mit Wort Judentum zwei Sachen. Einmal Geschichte des Zweiten Weltkrieges, Geschichte von Holocaust, Gedenktage, und zweitens Konfliktsituation im Nahem Osten. Wir möchten zeigen, dass das Judentum wesentlich breiter ist als diese 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Und jüdische Kultur ist Teil des Judentums, wichtigster teil oder einer der wichtigsten Teile, und deswegen wir haben die Idee von diesen jüdischen Kulturtagen in Halle sehr gut aufgenommen."

Wie groß das Interesse besonders auch für jüdische Religion in Halle ist, zeigte sich am vergangenen Shabbatabend in der bis auf den letzten Platz besetzten Synagoge. Im Rahmen des Festivals hatte die jüdische Gemeinde zu einem öffentlichen Gottesdienst mit Rabbiner Kahanovsky und Kantor Zemsky eingeladen. Für manchen Hallenser war das die erste unmittelbare Begegnung mit jüdischer Liturgie überhaupt.

Dabei besitzt die Stadt eine jahrtausend alte jüdische Geschichte. Daran erinnerte ein spezielle Stadtführung. Dafür stehen aber auch das Seminar für Jüdische Studien am Jerusalem-Platz und der Name Leopold Zunz:

"Halle hatte eine sehr große Bedeutung für die Entwicklung der Judaistik im Allgemeinen. Denn Leopold Zunz, der Vater der Wissenschaft des Judentums, spätere Judaistik, bekam hier seinen Doktorgrad."

Leopold Zunz, geboren 1794 in Detmold, gestorben 1886 in Berlin, war nicht nur ein bedeutender Wissenschaftler, er gehörte auch zu den Wegbereitern der jüdischen Emanzipationsbewegung im 19. Jahrhundert, erklärt der Judaist Anton Hiecke. Auch andere Rabbiner erwarben in Halle ihren Doktortitel, solche, die weiter in Deutschland blieben, aber auch solche, die später in Amerika wirkten.

"Das berühmteste Beispiel ist Rabbiner Marcus Jastrow, ein sehr bedeutender Rabbiner in Philadelphia später, der in Halle seinen Doktortitel bekam, was sehr bedeutsam ist. Die Judaistik selbst existiert als eigenständiger Studiengang seit den 90er Jahren. Im Gegensatz zu anderen Universitäten ist die Judaistik z.B. nicht der Theologie angegliedert sondern der Orientalistik, um diese besondere Bedeutung auch hervor zu streichen."

Die Verbindung von Wissenschaft, Kultur und Religion ist das Markenzeichen der Jüdischen Kulturtage in Halle. Zu den Besonderheiten des Festivals gehörte ein Vortrag über die jüdische Geschichte der Partnerstadt Savannah. Seit Jahren befasst sich Anton Hiecke wissenschaftlich mit diesem Thema.

"Wir haben in Savannah, Georgia, eine sehr lange traditionsreiche jüdische Gemeinde mit drei Synagogengemeinden, eine liberale, eine orthodoxe, eine konservative Gemeinde. Die Geschichte geht zurück auf 1733, also eine der ersten Gemeinden in Amerika. Wir versuchen natürlich die Beziehung zwischen Halle und Savannah auch auf dieser Ebene zu stärken."

Diese erste Jüdische Kulturwoche sei ein erfolgreicher Versuch gewesen, sagt der Judaist. Beim nächsten Festival solle auch die liberale Synagogengemeinde von Halle mit einbezogen werden. Genau das wünscht sich deren Vorsitzender Karl Sommer, der sich bisher ausgeschlossen fühlt.

"Warum fragt man nicht die Juden, die in Halle geboren sind und die die Geschichte in Halle wissen."

Aber vielleicht könnten Musik, Tanz und Wissenschaft eine Brücke zwischen den beiden heillos zerstrittenen Jüdischen Gemeinden von Halle bauen.
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