Mit Laptop und Kopftuch

Von Stefanie Müller-Frank · 20.06.2011
Wer durch die deutsche Blogosphäre klickt, wundert sich über viele aus den Mainstream-Medien bekannte Meinungen oder findet sich in Parallelwelten wieder, deren Protagonisten aneinander vorbei bloggen. Eine wohltuende Ausnahme: Die 22-jährige Muslimin Kübra Gümüsay und ihr Blog "Ein Fremdwörterbuch".
Im Flur stapeln sich die Umzugskartons, aber Kübra Gümüsay muss mal kurz raus aus der Kreuzberger Altbauwohnung. In ein paar Tagen zieht die 22-Jährige mit ihrem Mann zuerst nach Kairo und von da aus weiter nach Oxford, wo er sein Studium fortsetzen will. Vom Bloggen wird sie all das nicht abhalten. Im Gegenteil:

"Ich bin halt sehr unkompliziert, was das betrifft. Ich kann im Zug bloggen, ich kann auf dem Sofa bloggen, auf dem Boden, auf dem Bett, am Küchentisch oder zwischen Tür und Angel bloggen. Mein einziges Kriterium tatsächlich ist, dass irgendwas um mich herum passiert. Mindestens Musik, bestenfalls halt viele Menschen."

Den weißen Apple unterm Arm, dazu eine schicke, schwarze Handtasche, das weiße Seidentuch behutsam unterm Kinn festgesteckt. Über diese Harmonie von Laptop und Kopftuch muss die junge Frau selbst lachen:

"Heute sind mein Laptop und ich im Partnerlook."

Auf der Straße drehen sich immer wieder Leute nach ihr um. Eine junge Muslimin, die Kopftuch trägt und trotzdem selbstbewusst den Mund aufmacht – ja sogar den Laptop aufklappt? Kübra Gümüsay kennt die verwunderten Blicke aus der Uni, aus dem ICE:

"Ich merke das gar nicht mehr, ich habe mich so daran gewöhnt. Ich glaube, das ist dann noch mal so ein I-Tüpfelchen: Dann sind die vollkommen irritiert: 'Na, die kann ja schreiben!'"

Vor drei Jahren hat es der Politikstudentin gereicht, dass in den klassischen Medien immer nur über Kopftuchmädchen geschrieben wird, nie aber eine junge Muslimin mal selbst zu Wort kommt. Also ist Kübra Gümüsay ins Internet ausgewandert und hat dort ihr "Fremdwörterbuch" gestartet – ein Blog über den Alltag unterm Kopftuch.

"Meistens geschieht irgendwas, wo ich denke: Oh nein, das gibt’s doch nicht!"

Das Kopftuch trägt Kübra Gümüsay, seit sie zehn ist. Nicht, weil es jemand von ihr verlangt hätte, sondern weil sie so sein will wie die erwachsenen Frauen ihrer Familie: Wie die Großmutter, die sich selbst beigebracht hat, den Koran zu lesen. Wie ihre Mutter, die mit fünf Kindern noch ein Studium anfing. Wie ihre selbstbewussten, hübschen Tanten. Erst als sie sich in der Schule und auf der Straße ständig für das Kopftuch rechtfertigen muss, fängt die Gymnasiastin an, sich mit dem Islam zu beschäftigen. Heute bedeckt die 22-Jährige ihre Haare als Zeichen ihres Glaubens. Paradoxerweise muss sie dadurch viel mehr von sich preisgeben als eine Frau ohne Kopftuch:

"Was mich nervt, ist, wenn man glaubt, man hätte den Anspruch auf private Informationen. Einfach deshalb, weil ich ein Kopftuch trage. Man glaubt, man hätte als Außenstehender den Anspruch, alles über diese Person zu erfahren. Und das nervt mich. Ich bin immer noch ein Mensch, der auch seine Privatheit hat."

Kübra Gümüsay stammt aus dem Arbeiterviertel Bilstedt, sie ist die Älteste von fünf Geschwistern, ihre Eltern sind vor ihrer Geburt aus Istanbul nach Hamburg gekommen. Auf dem Gymnasium war sie erst Klassensprecherin, dann Schulsprecherin und eigentlich wäre die 22-Jährige auch gerne in die Politik gegangen. Aber die sei noch nicht reif für eine Frau mit Kopftuch.

Also erstmal Journalismus. Vor einem Jahr kam die Anfrage von der taz, ob sie nicht eine "Tuch-Kolumne" schreiben wolle. Hat sie das nicht geärgert, schon wieder aufs Äußere reduziert zu werden?

"Nee, weil der Gedanke einfach ein schöner war. Und letztendlich auch eine Möglichkeit, in die Mainstream-Medien dann diese Welt auch reinzubringen. Natürlich denkt man bei 'Tuch-Kolume' auch: Jaja und tut das in eine bestimmte Schublade, aber man kann auch einfach vom Titel absehen und die Geschichten lesen."

Ihre "Tuch-Kolumnen" in der taz sind meist politischer als die Blogeinträge. Aber auch sie sind schlicht und klug formuliert, oft witzig, mal traurig – und nie abgehoben oder abgeklärt.

"Ich habe mehr und mehr auch angefangen, in meinen Kolumnen zuzugeben, dass auch ich Vorurteile habe. Dass auch ich hilflos bin und manchmal überfordert bin mit Situationen. Um auch mich selbst zu entlarven, weil man anfänglich mit so einer Kolumne auch in so einer Verteidigungshaltung ist und die ist für mich jetzt gar nicht mehr relevant."

Um sicher zu gehen, dass auch ja alles korrekt ist, was sie schreibt, ruft Kübra Gümüsay anfangs noch beim Imam an. Das ist heute meist nicht mehr nötig:

"Ich bin ein extrem meinungsstarker Mensch. Ich habe zu allem eine Meinung. (lacht) Aber ich habe irgendwann gelernt, sie nicht zu äußern, wenn ich nicht genug Wissen habe."

Ein Ritual aber hat sich Kübra Gümüsay bewahrt, bevor sie den Laptop aufklappt – was auch immer um sie herum für Chaos herrscht: Sie betet. Wie das Bloggen geht das überall. Zur Not auch zwischen Umzugskartons.

Ein Fremdwörterbuch. Blog von Kübra Gümüsay
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