Mit Gehstock und Zylinder

Von Tobias Wenzel · 05.02.2008
Jacek Dehnels Roman "Lala" stand in Polen monatelang auf der Bestsellerliste. In dem Buch erzählt der 27-Jährige von seiner Großmutter und deren skurrilen und liebevollen Geschichten. Und plötzlich interessierten sich die Polen mehr als sonst für die Anekdoten der eigenen Vorfahren.
"'Was schreibst du denn da?', fragt Großmutter und schaut von einer Zeitschrift auf.
'Einen Roman über dich, Oma.'
'Über mich? Über so einen Drachen?'
'Wieso Drachen? Über eine wunderbare Oma'."

Jacek Dehnel, ein 27-jähriger Mann mit dunkelblonden, strubbeligen Haaren und dandyhafter Kleidung, liest aus seinem autobiographischen Roman "Lala". Es ist das Porträt seiner Großmutter Lala, ein Buch über jene skurrilen und liebevollen Geschichten, die sie ihrem Enkel so oft erzählte, dass er sie schließlich auswendig konnte. Wenn der Warschauer über seine Großmutter spricht, wirkt er nachdenklicher als sonst.

Vor einer Woche ist sie gestorben, erzählt Jacek Dehnel und spielt währenddessen mit seinem blauen Siegelring. Der so gar nicht in die Zeit passt wie auch die Kleidung: der schwarze Gehrock, die breite Seidenkrawatte mit silbernen Verzierungen, der langgezogene Hemdskragen, die Brille mit dem ungewöhnlichen, aber zeitlosen Metallrahmen:

"Ich trage von Zeit zu Zeit einen Zylinder oder eine Melone und ich besitze eine Sammlung von Spazierstöcken. Für mich ist das einfach eine Mode, die mir gefällt. Ich mag den Stil des 19. Jahrhunderts. Mir kommt er sehr modern vor. Das heißt nicht, dass ich im 19. Jahrhundert leben möchte, ohne Dusche und CDs. Ich mag das 21. Jahrhundert."
Und Jacek Dehnel mochte sein Studium in Warschau: Interfakultäre Humanistische Studien. Oder anders gesagt: Er studierte, was ihn interessierte: Polnische Literatur, Philosophie, Zeichnen an der Kunsthochschule. Viele Jahre wollte er Maler werden. Aber sein Asthma erlaubte es ihm nicht, mit Ölfarben zu arbeiten. Deshalb zeichnete er oder malte mit Acryl. Damals, in seiner Studentenzeit, schrieb er zwei Romane, darunter "Lala".

"Malen ist sehr wichtig für mich. Auch beim Schreiben achte ich sehr genau auf das Äußere der Menschen, auf Farben und auch auf Gerüche und darauf, wie sich Dinge anfühlen. Ich bin ein Sinnenmensch. Einige meinen, weil mein Sternzeichen Stier ist. Ich glaube aber nicht an so etwas. Es hat einfach mit meiner Person zu tun: Ich mag gutes Essen, ich mag die Liebe. Ich bin kein Asket!"

Um aber so leben zu können, wie er es möchte, arbeitet der Dichter auch für das Fernsehen, diskutiert mit zwei Kollegen über Malerei, Literatur und Filme. Das sei keine gute Sendung, erzählt der 1980 geborene Dehnel. Aber davon könne er seine Miete zahlen. Vom Schreiben allein sei das schwierig. Und das, obwohl sein Roman "Lala" in Polen ein Bestseller war.

Den Hang zur Kunst hat er von seiner Mutter, einer Malerin. Sein Vater, ein Informatiker und Händler, ist ihm fremder:

"Die Familie meines Vaters hat immer mit beiden Beinen auf dem Boden gestanden, während die Familie meiner Mutter aus Bohemiens besteht, die nicht gerade katholisch sind. Die Familie meines Vaters hingegen ist sehr katholisch, sehr ernst. Und die Familie meiner Mutter sehr liberal. Das hat eine schreckliche Verbindung ergeben. Viele Auseinandersetzungen!"

Als Jacek noch ein Kind war, sprach sein Vater mit ihm und seinem kleinen Bruder hauptsächlich in Form von Befehlen. Seine Mutter sprach dagegen mit den Kindern auf derselben Augenhöhe. Obwohl sich die Eltern oft stritten, funktionierte ihre Ehe. Wären sie beide Künstler gewesen, wäre das wohl schief gegangen, vermutet der polnische Dichter und Romancier.

"Das ist eine große Gefahr. Ich habe das schon einmal durchgemacht: Ich hatte diese Freundin, eine Dichterin. Sie sagte unaufhörlich: ‚Ich bin auch ein Dichter!‘ Sie hatte einen so komplizierten Charakter. Wenn irgendjemand in sehr kurzer Zeit schwul werden möchte, dann sollte er mit ihr zusammen sein. So erlangt man die Gewissheit, dass man lieber nicht heterosexuell sein sollte."

Manchmal wirkt Jacek Dehnel, der seit vier Jahren mit einem Historiker zusammen ist, etwas selbstgerecht. Ist es die zynische Art, in der er über seine ehemalige Freundin spricht, sein britischer Akzent, der von einer zweisprachigen Schulausbildung herrührt, oder die aristokratisch wirkende Kleidung des 19. Jahrhunderts? Wenn Jacek Dehnel allerdings über seine Großmutter Lala spricht, wie sie immer vergesslicher wurde und irgendwann gar keine Geschichten mehr erzählte, ist jegliche Arroganz verflogen:

"Es war, als würde man beobachten, wie ein wunderschönes Bauwerk in sich zusammenfällt. Ich habe dieses Buch geschrieben, um die besondere Persönlichkeit dieser unabhängigen Frau festzuhalten, einer sehr interessanten Person, der man gerne begegnen würde."
Mehr zum Thema