Mit ganz besonders galligem Humor

Von Wolfgang Martin Hamdorf · 27.09.2010
Regisseur Andreas Arnstedt ist dem Zuschauer bislang als Schauspieler bekannt geworden, etwa durch die ZDF-Fernsehserie "Küstenwache". In seinem Regiedebüt erzählt er eine beklemmende Geschichte von einem Jungen, der die Leiche seines Vaters im Wohnzimmer versteckt, nachdem er dessen Selbstmord nicht verhindern konnte.
"'Der Gestank wird ja immer schlimmer! Papa, wenn die das rauskriegen, dann komme ich ins Heim. Aber jetzt gehe ich erst mal zur Schule, damit das nicht auffliegt."

Der zwölfjährige Jakob spricht zu einem Toten, den er schon seit Tagen hinter der Wohnzimmercouch versteckt hält. Sein Vater, der arbeitslose Malermeister aus Neukölln hatte sich erhängt, nachdem seine Frau, Jakobs Mutter das häusliche Elend nicht mehr ausgehalten und ihn verlassen hat. Über Rückblenden erzählt "Die Entbehrlichen" die Geschichte eines sozialen Abstiegs.

"'Ich muss morgen die Klassenfahrt bezahlen.' 'Keen Problem, da.' 'Das reicht nicht, die Klassenfahrt kostet 180 Euro die vier Tage.' '180 Euro? Soll ich dir mal was sagen. Von dem Geld macht sich das Lehrerpack einen schönen Tag, da lassen die die Kuh fliegen.' 'Weiß ich, aber ich möchte zum ersten Mal ans Meer.'"

"Die Entbehrlichen" ist ein programmatischer Titel, denn Andreas Arnstedt zeichnet ein soziales Milieu, dass in sensationalistischen "Sozialreportragen" privater Kommerzsender längst zum Abziehbild geworden ist: Unterschicht, Arbeitslosigkeit, Alkoholismus. Elegant beschreibt der Film Klischees und ebenso elegant umgeht er sie. Regisseur Andreas Arnstedt:

"Es ist eine Westberliner Familie. Und das zeigt eben auch, dass diese Sozialgesetzgebung, die geht eben in alle Schichten, und die geht auch über die neuen Bundesländer hinweg in die alten (...). Es wäre einfach zu null-acht-fünfzehn gewesen, da wieder eine ostdeutsche Familie zu bringen, die ihre Probleme hat. Dann sagt ja jeder: 'Ach na ja, die im Osten.' Nee, diese Gesetzgebung, die da seit einigen Jahren immer mehr, sage ich mal, spürbare Ergebnisse bringt, immer sichtbarer wird, nicht nur fühlbar, sondern auch sichtbar für andere Gruppen, die nicht dazu gehören, die ist in Ostdeutschland, wie in Westdeutschland mittlerweile verankert."

Dabei verbindet der Film die dunklen Momente mit den heiteren und das mit einem Galgenhumor, der den Zuschauer immer wieder überrascht. Andreas Arnstedt:

"Ja, es ist wie mit jeder Sache. Das Leben ist hart und es ist natürlich humorvoll. Und auch die Menschen, die, sage ich mal, die in extrem sozialen Schwierigkeiten leben, es ist ja nicht, dass die mit langen Gesichtern rumlaufen, sondern die suchen sich auch ihre Möglichkeit, wo sie Abwechslung, wo sie Freude haben und wo sie eben auch lachen können. Für mich war es wichtig, nicht nur so eine einseitige düstre Geschichte zu erzählen, sondern auch das - sage ich mal - Menschen in Schwierigkeiten genau so viel Humor haben, wie Menschen, denen es sozial gerade besser geht."

Der Film zeigt aber auch, wie durch Arbeitslosigkeit und Alkohol die Stimmung immer aggressiver wird.

"'Das ist ein Druckfehler. Strasse wird mit ß geschrieben!' 'Nein, mit ss.' 'Aber das ist doch scheißegal...' 'Willst du mich verscheißern, willst du mir sagen, wie Strasse geschrieben wird?' 'Ja, mit ss' 'Das ist ein Druckfehler, klar?' 'Jetzt hört doch mal auf, dass ist doch ganz egal, wie Straße geschrieben wird, Hauptsache, man weiß, dass man weiß wo es lang geht.'"

Aber das weiß am Ende eben niemand mehr. "Die Entbehrlichen" zeigt eine Familie, die an der absurden Hartz-IV-Bürokratie scheitert, zeigt Löcher im sozialen Netz, zeigt Vorurteile und Ignoranz in einer eigentlich wohlhabenden Gesellschaft. Der Film beschreibt das Geflecht von Lebenslügen, Illusionen und Hoffnungen, das die Familie zusammenhält, bis es nicht mehr geht und erzählt das alles mit menschlicher Wärme, und einem sehr volkstümlichen, aber niemals plattem Humor. Andreas Arnstedt:

"Also, wenn ich heute sehe, wie soziale Themen aufgearbeitet werden, dann bloß nicht zu viel Komik hineinbringen, weil das könnte ja nicht stimmen. Das zeigt mir einfach, dass die Leute, die so was erarbeiten und bearbeiten, wirklich nicht genau hinschauen. Denen geht’s wie vielen Politikern, sie gehen gar nicht dahin, wo Politik gemacht werden müsste, sondern sie glauben, es ist so. Sie bearbeiten oder überdenken ein Klischee. Aber sie entfernen sich immer mehr von der Realität."

"Die Entbehrlichen" sind menschlich in ihrer absoluten Zwiespältigkeit, aber keine klassenkämpferischen Heiligenbilder. Dazu tragen besonders die Schauspieler bei: Oskar Bökelmann als ebenso träumerischer, wie Katastrophen gewohnter Jugendlicher, Steffi Kühnert als seine Mutter, und ganz besonders André Hennicke als Jürgen Weiss, der arbeitslose Malermeister, der immer wieder versucht, den Teufelskreis aus Alkohol und Aggression zu durchbrechen. André Hennicke:

"Ja, es geht ja um die Lebensfreunde, die wir uns im Alltag erhalten wollen, um die wir ringen. Glück ist ja Lebensfreude. Wenn jemand das nicht mehr schafft, seine Lebensfreude, sein Glück zu erhalten, dann schlägt das um in Frustration, in Depression und in Gewalt."

"Die Entbehrlichen" ist eine bittersüße Bestandsaufnahme einer neuen sozialen Realität der Bundesrepublik und immer bereit den schmalen Pfad der politischen Korrektheit zu verlassen. Fernsehgelder hat Andreas Arnstedt nicht bekommen, er hat seinen Film selbst finanziert. Vielleicht wirkt er deswegen so vehement, so wenig harmlos, zeigt soziales Kino, das unter die Haut geht, mit einem ganz besonderen galligem Humor, bei dem einen das Lachen fast im Halse stecken bleibt.

Links bei Dradio.de:
"Mich hat diese Geschichte einfach nicht mehr losgelassen" - Interview mit Andreas Arnstedt
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