Mit Euphorie ins Millionengrab

Von Axel Schröder · 11.06.2013
Streitereien zwischen der ausführenden Baufirma und dem Senat begleiten seit Jahren das Hamburger Prestigeprojekt Elbphilharmonie. Die Kosten stiegen von ursprünglich 77 auf 866 Millionen Euro. In einem Untersuchungsausschuss schoben sich die Beteiligten dafür gegenseitig den Schwarzen Peter zu.
In vier Jahren könnte es soweit sein. Zum ersten Mal stimmen die Musikerinnen und Axel Schröder Musiker ihre Instrumente im organisch-ovalen Konzertsaal der Elbphilharmonie. Der Bürgermeister ist anwesend, internationale, nationale und Hamburger Prominenz. Auch die großzügigen Spender von über 60 Millionen Euro Baukosten werden wohl anwesend sein beim Auftaktkonzert im neuen Wahrzeichen der Stadt.

Noch dröhnen die Baumaschinen. Und in der Bürgerschaft der Stadt Hamburg debattieren die Parteien, ob sie dem neuen Vertrag, der ein für alle Mal die Kosten des Projekts deckeln soll, zustimmen können. Diesen Vertrag hatte der Erste Bürgermeister Olaf Scholz mit dem Baukonzern Hochtief ausgehandelt und im Februar stolz präsentiert:

"Wir haben umfassende Garantie bekommen. Was die Qualität und was die Zeiträume betrifft, was den Preis betrifft. Für uns ist sichergestellt, dass Risiken, wie sie in der Vergangenheit für die Stadt in dem Bauvorhaben immer wieder neu entstanden sind, nicht mehr auftreten."

Der Vertragsentwurf wird zurzeit von den Fraktionen unter Hochdruck geprüft. Denn viel Zeit ist nicht mehr: bis zum 30. Juni muss die Bürgerschaft über den Entwurf abstimmen. Das sieht die Vereinbarung zwischen der Stadt und dem Baukonzern vor. Und über diese Frist ärgert sich die Opposition. Zum Beispiel Norbert Hackbusch von der Linkspartei:

"Wir sind nicht in der Lage, unabhängige Gutachter zu bestimmen. Wir wollen jetzt so jemanden bekommen, der dann auch in der Lage ist, ein unabhängiges Gutachten mit einigermaßen Zeitlauf zu machen. Jetzt hatten wir knapp zwei Monate: da kann man praktisch knapp das Ganze durchhecheln."

Und trotzdem wünscht sich der Senat eine möglichst breite Zustimmung zum Vertrag und dem damit verbundenen so genannten "Nachtrag V". Der hat ein Volumen von knapp 200 Millionen Euro und treibt die Kosten für das Konzerthaus auf sagenhafte 866 Millionen Euro. Zieht man die Spenden betuchter Hamburgerinnen und Hamburger ab, wird die Elbphilharmonie immerhin noch mit 789 Millionen Euro öffentlicher Mittel finanziert. Eingeplant war ein Zehntel: 77 Millionen Euro soll das Prachtstück kosten, rechnete der Senat unter Bürgermeister Ole von Beust vor. Er war wild entschlossen, das Projekt durchzuziehen:

"Ich glaube, das ist eine Sache, die vielen Hamburgern am Herzen liegt und ich möchte diese Philharmonie auf jeden Fall"

Träume und Kosten wachsen in den Himmel
Genauso entschlossen zeigte sich auch der damalige Projektleiter Hartmut Wegener. Und verkündete im Frühjahr 2005 einen ambitionierten Zeitplan:

"Im Frühjahr 2009 werden wir dann – wenn alles planmäßig läuft – ein neues, wunderschönes Wahrzeichen für Hamburg haben."

"Wenn alles planmäßig läuft" – diese Einschränkung machte Hartmut Wegener dann doch. Aber wie soll etwas planmäßig laufen, für das es gar keine Pläne gibt? Auf der Suche nach den Gründen für die Verzehnfachung der Baukosten fällt vor allem die Planlosigkeit auf, mit der das Projekt gestartet wurde. Zweifelsohne legten die Schweizer Stararchitekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron einen imposanten Entwurf vor, der auch den heute immer noch andauernden Bauarbeiten zu Grunde liegt. Nur durchgeplant, vor allem durchgerechnet war das Projekt noch lange nicht. Obwohl es mit seinen Anforderungen an die Statik und seine Standfestigkeit im Hafenschlick und an die Akustik des Konzertsaals einzigartig komplex ist, wurde im Frühjahr 2007 die Grundsteinlegung gefeiert. Die Hamburger Politik lauscht Pierre de Meuron, ergriffen, fast besoffen:

"Die Architektur des Raumes entwickelt sich dann konsequent aus der Logik aus akustischer und visueller Wahrnehmung der Musik. Und diese Logik führt zu einem neuen Ergebnis! Die Ränge reichen höher in den Gesamtraum hinein. Ränge, Wände, Decken bilden eine räumliche Einheit …"

… und auch die Kosten reichen höher und höher in den Hamburger Himmel. Norbert Hackbusch von der Linkspartei erinnert sich.

"Es gab damals in Hamburg ein euphorisches Gefühl. Was damit zusammenhängt, dass es natürlich eine gute ökonomische Entwicklung gab in Hamburg. Der Hafen boomte! Und es gab in Hamburg ein Gefühl, das wir alles Mögliche erreichen können. Das führte unter anderem dazu, dass in der Hamburger Bürgerschaft es keine Gegenstimme gab, damals, zu diesem Projekt, die Elbphilharmonie so zu bauen. Auch kaum kritische Stimmen. Und auch das Fehlen von Opposition ist, glaube ich, einer der wichtigsten Webfehler dieses Projekts."

Auch Hamburgs Kultursenatorin Barbara Kisseler ist überzeugt: die Schwierigkeiten des Projekts wurden im allgemeinen Jubel schlicht ausgeblendet:

"Das erstaunt schon in so einer nüchternen Kaufmannsstadt wie Hamburg, dass da nicht jemand mal gesagt hat: ´Leute! Bisschen länger mal nachdenken, bisschen länger kalkulieren! Dann müssen wir hinterher nicht draufzahlen!`"

Wer die Schuld an den Kostensteigerungen trägt, das sollte der Parlamentarische Untersuchungsausschuss klären, in dem auch Norbert Hackbusch als Abgeordneter der Linkspartei saß und der im Frühherbst seinen Abschlussbericht vorlegen wird. Mitte Februar wurden der Bürgermeister a.D. Ole von Beust und seine Kultursenatorin Karin von Welck vernommen. Beide gaben schulterzuckend zu Protokoll: nicht sie selbst seien für die Kostenexplosion verantwortlich, viel eher der damalige Chefplaner der städtischen Realisierungsgesellschaft Hartmut Wegener. Der wiederum in seiner Vernehmung den Schwarzen Peter an die Architekten Herzog und de Meuron weiterreichte.

"Wir haben den Eindruck – und das ist einer der wichtigsten Eindrücke im parlamentarischen Untersuchungsausschuss: dass viele der verantwortlichen Politiker aus der damaligen Zeit sich jetzt nicht mehr erinnern wollen oder können und dass bei solchen Entscheidungen, die ja Dutzende von Millionen dementsprechend immer umfassen. Und das ist eines der schlechtesten Zeichen für die politische Partei, die damals im Wesentlichen die Verantwortung hatte: die CDU."

Baustelle der Elbphilharmonie in Hamburg: Die oberste Kuppel des Großen Konzertsaals
Die oberste Kuppel des Großen Konzertsaals im Herbst 2011. Ursprünglich sollte die Elbphilharmonie 2009 fertiggestellt werden.© dpa / picture alliance / Christian Charisius
Der Geburtsfehler des Projekts
Der größte Fehler war allerdings – da herrscht Einigkeit über Parteigrenzen hinweg: das vertraglich festgezurrte Dreiecksverhältnis zwischen den Erbauern des Konzerthauses: zwischen den Architekten, der städtischen Realisierungsgesellschaft und dem Baukonzern Hochtief. Hamburgs Kultursenatorin Barbara Kisseler:

"Der Geburtsfehler des Projekts war, dass man zu viele Schnittstellen gehabt hat. Man hat drei Seiten gehabt, die an dem Projekt gearbeitet haben. Und die mussten dann immer sehen, wie sie miteinander zurechtkamen. Bei einem derart komplexen Projekt, was auch bautechnisch, bauphysikalisch Neuland war und ist, ist das eine ganz verhängnisvolle Konstellation."

Und dieser Konstellation hatten alle Parteien in der Bürgerschaft zugestimmt. Im Ergebnis schickte der Baukonzern immer dann neue Rechnungen, wenn sich die Wünsche der Realisierungsgesellschaft änderten. Die Architekten, die das ganze Haus noch nicht abschließend durchgerechnet hatten, forderten ihrerseits Nachbesserungen. Auch dafür verschickte Hochtief wieder Rechnungen. Und wenn es hart auf hart kam, schickten sie ihre Anwälte. Die – das hört man hinter den Kulissen – in einer anderen Liga als die der Stadt spielten.

Damit wird nun Schluss sein. Das behauptet der Erste Bürgermeister Olaf Scholz. Der neue Vertrag setzt nicht nur eine Obergrenze für den Preis des Bauwerks fest. Er ordnet auch die Zuständigkeiten neu: der Baukonzern und die Architekten arbeiten nun unter einem Dach. Hochtief muss ein fertiges und funktionierendes Haus ohne Baumängel liefern. Wenn es teurer wird als geplant, muss Hochtief zahlen. Bis zur endgültigen Abnahme der Elbphilharmonie hält die Stadt die letzte Rate von 86 Millionen Euro zurück. Noch prüfen die Oppositionsparteien die so genannte Neuordnungsvereinbarung. Noch behalten sie sich vor, am 30. Juni in der Bürgerschaft dagegen zu stimmen oder sich zu enthalten. Aber schon heute ist Norbert Hackbusch von der Linkspartei vorsichtig optimistisch:

"Das ist ein Fortschritt! Der ist natürlich auch notwendig. Wir haben ja mittlerweile eine Verzehnfachung des Preises, das ist selbst für andere öffentliche Gebäude schon äußerst außergewöhnlich. Und dementsprechend muss ja auch irgendwann mal Ende sein mit der Spirale nach oben. Aber die Konstruktion so ist eine bessere. Wenn man die von Anfang an gehabt hätte, wären etliche Preissteigerungen, die passiert sind, so nicht passiert."

Der neue Vertrag ist wasserdicht. Sagt der Bürgermeister. Tatsächlich ist sogar das Datum der Fertigstellung vertraglich fixiert: die Abnahme soll spätestens am 31. Oktober 2016 erfolgen. Jeder Tag Verzögerung kostet Hochtief 575.000 Euro. Und die Fälle, in denen sich der Baukonzern eine Verzögerung ohne Strafzahlung leisten darf, listet der Vertrag akribisch auf. Zitat: Bei "Krieg, Streik mit einer Auswirkung von mehr als 20 Werktagen, Terroranschlägen, Unwetter bisher nicht gekannten Ausmaßes, Flugzeugabsturz, Havarien im Schiffsverkehr, Epidemien oder ähnlichen Ereignisse", in diesen Fällen darf sich Hochtief etwas mehr Zeit lassen. Auch die jüngsten Nachrichten in Sachen Elbphilharmonie stimmen optimistisch: erst am Freitag prognostizierte ein Sachverständiger vor dem Haushaltsausschuss der Bürgerschaft: die Elbphilharmonie wird früher fertig als geplant. Schön wär’s.
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