"Mit einem blauen Auge davongekommen"

Moderation: Christopher Ricke · 08.06.2007
Nach Ansicht des innenpolitischen Sprechers der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, sind die Veranstalter der Demonstrationen beim G8-Gipfel für die Ausschreitungen mitverantwortlich. Ein Veranstalter habe die Verantwortung, alles zu tun, damit es eine solche Gewalt wie in Rostock nicht gebe, sagte Wiefelspütz.
Christopher Ricke: Seit vorgestern ist es klar: Das Demonstrationsverbot rund um den G8-Gipfel in Heiligendamm gilt. Das Bundesverfassungsgericht hat das Verbot des für gestern geplanten Sternmarsches akzeptiert, trotz verfassungsrechtlicher Bedenken an dem allgemeinen Versammlungsverbot rund um das Seebad. Grund sind die Ausschreitungen des "Schwarzen Blocks" der Polit-Hooligans. Mein Gesprächspartner ist jetzt der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz. Guten Morgen, Herr Wiefelspütz!

Dieter Wiefelspütz: Guten Morgen!

Ricke: Ist das die Formel, die Demonstranten von Heiligendamm haben sich selbst um die Versammlungsfreiheit gebracht?

Wiefelspütz: Ein Teil der Demonstranten, nämlich der gewalttätige, hat in der Tat verhindert, dass das Bundesverfassungsgericht die Polizeidirektion in Rostock korrigiert hätte, denn das Versammlungsverbot in und um Heiligendamm ist überdimensioniert. Das war immer meine Auffassung. Das ist auch die Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes. Aber weil man diese Gewaltexplosion in Rostock hatte, hat das Bundesverfassungsgericht dann schließlich doch noch dieses Versammlungsverbot akzeptiert.

Ricke: Nun sind es ja nur verhältnismäßig wenige, die Krawall schlagen, und verhältnismäßig viele, die friedlich demonstrieren wollen. Ist es denn wirklich gerecht, viele in ihren Rechten zu beschneiden, nur weil sich wenige nicht an das Recht halten?

Wiefelspütz: Gut, das ist das Lehrstück oder die Lehre von Heiligendamm und von Rostock, dass auch friedliche Demonstranten ihre Mitverantwortung haben für dieses wichtige Grundrecht, denn das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit steht nur den Menschen zu, die dies friedlich und ohne Waffen tun. Und ein Veranstalter hat schon auch die Verantwortung für die Friedlichkeit seiner Veranstaltung, und er muss eben halt auch das Menschenmögliche tun, damit er gleichsam nicht unterwandert wird, wie das in Heiligendamm, wie das in Rostock geschehen wird, gleichsam unterwandert wird vom "Schwarzen Block" oder man vielleicht da ein Auge zudrückt. Und ich denke, dass da auch einiges gelernt worden ist in Rostock. Es ist ja so, dass die Polizei am ersten Tag dort auch die Gewaltbereitschaft von Gewalttätern unterschätzt hat für einige Stunden. Man hat dann sehr schnell die Lageeinschätzung korrigiert und hat seitdem eigentlich von Seiten der Polizei die Dinge gut im Griff und macht eine ordentliche Arbeit. Aber auch die Veranstalter der Demonstrationen in Rostock haben anfangs wohl relativ naiv die Situation falsch eingeschätzt, wer da alles ihre friedlichen oder die eigenen friedlichen Veranstaltungen unterwandern könnte. Aber auch dort will ich freimütig sagen hat man sich dann doch auch korrigiert in den nächsten Tagen. Es ist ja so, dass die Gewaltausbrüche und Gewalterruptionen der ersten Stunden in Rostock sich dann in dieser Form nicht wiederholt haben. Ich will jetzt nicht verharmlosen, was danach noch geschehen ist, aber insgesamt gesehen, kann man doch heute sagen, ist man mit einem blauen Auge davongekommen.

Ricke: Aber warum dann trotzdem dieses großflächige Demonstrationsverbot, wenn man aus den Fehlern des Anfangs gelernt hat?

Wiefelspütz: Nun, die Sicherheitseinschätzung, die Lageeinschätzung der Polizei aufgrund dieser massiven Gewaltexplosionen hat sich das Bundesverfassungsgericht im Nachhinein zu eigen gemacht. Das ist die Konsequenz aus den Gewalttaten. Das Bundesverfassungsgericht hätte, wären die Demonstrationen in Rostock friedlich verlaufen, dieses großvolumige Versammlungsverbot in und um Heiligendamm korrigiert. Das ist eben die Lehre aus Rostock, dass Veranstalter sehr wohl ihre Verantwortung dafür haben, dass ihre Veranstaltungen friedlich verlaufen. Wenn das nicht geschieht, wenn man nicht das Menschenmögliche tut, dann kann das auch Konsequenzen für das Versammlungsrecht haben. Ich bedauere das sehr. Insoweit hoffe ich, dass wir alle ein gutes Stück gelernt haben aus diesen Vorfällen.

Ricke: Man kann ja nun von den friedlichen Demonstranten eigentlich nicht erwarten, dass sie dem schwarzen Kapuzenmann in den Arm fallen, wenn der den Stein in die Hand nimmt, denn das sind Gewalttäter, die den Kampf suchen, die sich bewaffnen, die auch Verletzungen in Kauf nehmen. Ich kann nicht nachvollziehen, dass man dann sagt, das müssen die Veranstalter tun, das müssen die Demonstranten tun. Ist das nicht Kernaufgabe der Polizei, hier für Sicherheit zu sorgen?

Wiefelspütz: Selbstverständlich. Selbstverständlich, da haben Sie sicherlich Recht. Aber es ist im Versammlungsrecht seit eh und je eine Pflicht des Veranstalters, etwa Ordnungskräfte zu stellen, Auflagen einzuhalten. Ich sage mal so: Wenn eine Veranstaltung es zulässt, dass der "Schwarze Block" eine friedliche Versammlung unterwandert, kann das Grund sein, diese Veranstaltung aufzulösen. Wenn unter 100 friedlichen 20 unfriedliche sind, dann macht das diese Veranstaltung zu einer unfriedlichen, und dann hat die Polizei durchaus die Möglichkeit – manchmal ist es auch notwendig -, eine solche Versammlung aufzulösen. Insoweit habe ich aber auch den Eindruck, dass nach diesen ersten Gewaltoptionen in Rostock das Erschrecken auch bei den Veranstaltern friedlicher Demonstrationen groß war und dass dort ein Diskussionsprozess eingesetzt hat, denn der "Schwarze Block" hat ja dann anschließend nicht mehr in dieser Dominanz Gewalt ausgeübt, wie an diesem einen Tag in Rostock.

Das heißt: Die Demonstranten haben jetzt nicht die Aufgabe der Polizei wahrzunehmen. Damit sind sie auch überfordert. Ich habe aber viele, viele Bilder gesehen, wo friedliche Demonstranten sehr wohl sich distanziert haben auch auf der Straße vom schwarzen Block und ihren Teil dazu beigetragen haben, dass der friedliche Charakter nicht beeinträchtigt wird. Also, ich denke mal, das Versammlungsrecht in und um Heiligendamm ist durch die Polizeidirektion Rostock zu stark eingeschränkt worden. Das hat das Bundesverfassungsgericht im Grunde sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Aber beschädigt worden ist das Grundrecht auf Versammlungsrecht nicht von der Polizei, sondern von unfriedlichen Demonstranten, vom "Schwarzen Block", von Gewalttätern, und das ist eben halt doch die Lehre von Rostock.

Ricke: Vielen Dank Dieter Wiefelspütz. Er ist Innenexperte der SPD.