Mit diskursivem Nachdruck empfohlen

06.01.2009
In diesem Jahr feiert der Philosoph Jürgen Habermas seinen 80. Geburtstag. Der Fernsehjournalist Michael Funken hat Prominente wie Joschka Fischer, Wolfgang Schäuble oder Wolfgang Thierse zum Interview versammelt. Am Ende des Buches hat der vorerst abwesende Meister seinen großen, altersweisen Auftritt.
Im Jahr 2009 rundet sich nicht nur unsere Bundesrepublik zu ihrem 60. Jubiläum, die "Wende" zu ihrem zwanzigsten, sondern auch die Lebenszeit ihres bedeutendsten Philosophen und öffentlichen Mitgestalters, Jürgen Habermas, der am 18. Juni seinen 80sten Geburtstag feiert.

Ein außerordentlich interessanter Band mit Gesprächen über und einem Gespräch mit Habermas ist das ideale Vademecum für die kommende Flut von Habermas-Bänden und -Symposien, die wir 2009 durchhalten müssen und dürfen.
Der Fernsehjournalist Michael Funken hat mit sowohl philosophischer Fachkompetenz als auch der Intuition eines kritisch gebildeten Medienarbeiters Prominenz und Fachprominenz zum Interview über den - in der Dramaturgie des knapp 200 Seiten umfassenden Bandes - vorerst abwesenden Meister versammelt, der am Ende des Buches dann doch noch seinen großen, altersweisen Auftritt hat.
Joschka Fischer, Wolfgang Schäuble, Wolfgang Thierse: Alle Politiker äußern sich sachkundig und philosophisch informiert. Wo Joschka Fischer in fast rührender Anhänglichkeit seinen Lebensweg anhand philosophischer Einflussnahme durch die Habermassche Bibliografie schildert, da markiert Schäuble die Differenz zum "Hüter des Diskurses".

Es geht zur Sache: Funke fragt Schäuble zum diskursethischen Zentralbegriff "Konsens", und er verweist darauf, dass Habermas auf den Konsens "setze", dem jeder Vernünftige zustimmen kann. Schäuble widerspricht:

"Da bin ich ganz anderer Meinung! Er setzt eben schon implicite: Wenn sie vernünftig wären, müssten sie alle meiner Meinung sein."

Habermas-Skeptiker aus dem liberalen Milieu wie Lord Dahrendorf erzählen nicht nur aus dem akademischen Nähkästchen, sondern konfrontieren Habermas mit dem Vorwurf der philosophischen Träumerei:

"Er wird ja immer mit Hegel und Hegelianern identifiziert, aber das ist eigentlich nicht richtig. Ich sehe ihn seit langem als Rousseau-Typen. (...) Es ist ein Traum einer Rousseau-Welt",

so der soziologische Lord.

Andererseits wird man neidlos attestieren, dass keine der großen gesellschaftspolitischen Debatten der Republik ohne seinen engagierten Eingriff stattfand: Vom Heidegger-Artikel 1953 in der FAZ, über Positivismus- und Historikerstreit bis zu Bioethik, EU-Verfassung und Freiheitsfrage.

Joschka Fischer gibt jedenfalls Habermas sogar rückwirkend Recht, wenn er an den umstrittenen "Linksfaschismus"-Vorwurf zurückdenkt.
Über Gerüchte, die Lehrstühle, die Habermas innehatte, seien so ganz herrschaftsfrei nicht gewesen, beruhigt der Habermas-Nachfolger Axel Honneth in seinem geradezu innigen Gespräch. Er zeichnet das Bild eines liberalen, gütigen akademischen Lehrers.

Der einleitende bibliografische Essay und die kommentierte Werkbibliografie von Michael Funken sind darüber hinaus eine hervorragende Einleitung in Habermas’ Werk. In den Gesprächen kommen nicht nur Meinungen über Habermas zu Wort, sondern es entsteht dabei auch ein Mosaik seines "Systems":

Die Aufklärung wird einer harten Ideologiekritik unterzogen. In einer fast enzyklopädischen Genauigkeit wird das Brauchbare vom Unbrauchbaren getrennt und "anschlussfähig" an das Projekt der Moderne gemacht. In Habermas’ messerscharfen Kant-Referaten wird diese schwierige Philosophie lebendig.

Habermas selbst wird noch einmal pathetisch als es über Moral und Religion geht:

"Das ist doch unser Problem heute: Wer, außer den Kirchen und Religionsgemeinschaften setzt denn noch Motive frei, aus denen kollektiv und solidarisch gehandelt wird?"

Aber er blendet eben die Gefahren von politischer Theologie nicht aus:

"Und wie wir wissen, sind die religiösen Motive, wenn sie politisch wirksam werden, oft ein zweifelhafter Segen."

Der Gesprächsband ist nicht nur ein Kompass durch das Habermas-Jahr, sondern auch einer durch das Werk des Philosophen. Nur eine stereotyp gestellte Frage geht ein wenig auf die Nerven: Ob Habermas wie Jaspers in 40 Jahren vergessen sei, oder zu einem Klassiker werde wie Heidegger?

Die Antworten fallen disparat aus, haben aber kaum Erkenntniswert. Norbert Bolz, der schärfste Habermas-Gegner in diesem Band, reduziert die Gemeinsamkeit zwischen seinem Standpunkt und dem von Habermas auf den Wunsch, vom kommunikativen Gegenüber nicht verprügelt zu werden.

Allen Habermasfreunden und auch seinen interessierten Gegnern sei dieser frühe Geburtstagsband mit diskursivem Nachdruck empfohlen.

Rezensiert von Marius Meller

Michael Funken: Über Habermas. Gespräche mit Zeitgenossen,
Primus Verlag, Darmstadt 2008,
192 Seiten, 24,90 Euro