Mit deutschem Klang

Von Christoph Richter · 25.08.2007
Das Aushängeschild der deutschen Orchester, die Berliner Philharmoniker, feiert in diesem Jahr seine Gründung vor 125 Jahren - und nutzt das Jubiläum, um ein dunkles Kapitel der eignen Geschichte aufzuarbeiten. Eine Ausstellung im Foyer der Berliner Philharmonie zeigt die Verstrickungen des Orchesters mit der Nazi-Diktatur.
Zum ersten Mal überhaupt wird mit einer Ausstellung die Rolle der Berliner Philharmoniker während der Zeit des Nationalsozialismus thematisiert. Ein Zeitraum der 62 Jahre konsequent bis jetzt verschwiegen wurde. Jetzt will man darüber Aufklärung.

Das es bis jetzt nicht geschehen ist hat auch mit dem Dirigenten Herbert von Karajan zu tun, der bereits 1933 – freiwillig – in die NSDAP eingetreten ist, und 33 Jahre als Patriarch am Pult des Orchesters stand.
Der Dirigent des Wirtschaftswunders, der aus dem Orchester ein Klangkörper mit Weltruf gemacht hat, hätte es unter keinen Umständen zugelassen, über die damalige Zeit zu reden. Jetzt – 2007 - scheint die Zeit gekommen.

Die wichtigste Erkenntnis der Ausstellung: Die Berliner Philharmoniker – waren mit den Nazis aufs Engste verbunden und dienten ihnen als kultureller Botschafter, als ideologisches Flagschiff und Propagandainstrument.

Das Orchester: Die Berliner Philharmoniker. Am Pult: Der damalige Chefdirigent Wilhelm Furtwängler.

Es ist der 19. April 1942 - das Reichsorchester - wie die Berliner Philharmoniker noch damals hießen, spielen in der alten – im Krieg zerstörten - Berliner Philharmonie.

Der Anlass: Hitlers Geburtstag!

Furtwängler wählt für Beethovens Neunte ein sehr schnelles Tempo. Es klingt, als ob die Solisten um ihr Leben singen. Der Chor schmettert in einem überschwänglichen Ton. Die Musik Beethovens wird zu einer Machtvorstellung, die – so scheint es – auch ganz im Sinne des nationalsozialistischen Regimes ist.

"Ganz genau! Das merkt man bei den Aufnahmen. Aber man weiß es nicht. Ist es jetzt Affirmation oder ein Schrei in der Zeit. Also das man sich gegen die Zeit bekennt."

So Kurator der Ausstellung Helge Grünewald.
Zusammen mit dem kanadischen Historiker und Musikwissenschaftler Misha Aster hat er die Schau: Die Berliner Philharmoniker zwischen 1933 und 1945 konzipiert und realisiert.

Den Anstoß dazu hat der Philharmoniker und Bratscher Walter Küssner gegeben. Er wollte und will wissen, wie sich seine früheren Kollegen in der Zeit zwischen 33 und 45 verhalten haben. Die Antwort:

Die Musiker haben sich bestens mit der Zeit damals arrangiert. Das zeigt die Ausstellung immer wieder sehr ausdrücklich. Und gibt Zeugnis darüber, wie Berliner Philharmoniker von den veränderten politischen Machtkonstellationen 1933 profitiert und sich dem System gegenüber sehr gleichgültig und konform verhalten haben.

So wurde ihnen bis in die letzten Kriegstage hinein– durch Goebbels persönlich garantiert, das sie UNABKÖMMLICH seinen. Das bedeutete keiner musste jemals in den Krieg ziehen.
Hinzukam eine sehr großzügige Bezahlung.

Die enge Verknüpfung von Naziregime und Philharmoniker schuldete der Umstand, dass das Orchester 1933 bereits kurz vor dem Aus stand. Deshalb wandte sich Chefdirigent Wilhelm Furtwängler direkt nach der Machtergreifung der Nazis an Goebbels, mit der Bitte dem Orchester zu helfen.
Ein Glücksfall – wenn man das so sagen kann - für beide Seiten.
Denn die einen wurden gerettet, also die Musiker konnten weiterarbeiten, mit der Klammer das sie nun Angestellte des Naziregimes waren. Die anderen konnten eines der berühmtesten Orchester für ihre Zwecke nutzen.

So mussten sie bei den Reichsparteitagen in Nürnberg spielen, traten bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 1936 in Berlin auf. Später spielten sie sogar in den besetzten Gebieten. Oft unter Protesten der anwesenden Zuhörer.

Das bedarf dringender Aufklärung, sagt Intendantin Pamela Rosenberg:

"Diese zwölf Jahre gehören genau zu dieser Geschichte von 125 Jahren Berliner Philharmoniker. Wie die Sonnenseite. Und es ist bis heute, 60 Jahre nach Kriegsende, in bestimmten Bereichen die Geschichte in Deutschland bis heute nicht untersucht worden. Wir sind ein Teil davon. Und wir denken, dass es für die seelische und psychologische Gesundheit für diese Nation wichtig ist."

Zweifel, ja kritisches Hinterfragen warum nach 33 die Musik von Felix Mendelsohn-Bartholdy oder Gustav Mahler nicht mehr im Programm auftaucht, gibt es für die Musiker nicht.
Sie wundern sich auch nicht darüber, dass die vier jüdischen Musikerkollegen, darunter der damals wohl beste Konzertmeister Europas - Szymon Goldberg, das Orchester verlassen mussten. Ein Abbild der damaligen deutschen Gesellschaft, so nennt es der Kurator der Ausstellung in der Berliner Philharmonie, Dramaturg Helge Grünwald:
"Ich denke mir, was ich als Ambivalenz bezeichne, das findet sich auch in der Gesellschaft wieder. Das ich auf der einen Seite versuchte in der Zeit normal im unterschiedlichen Grad zu leben. Und auf der anderen Seite natürlich Konzessionen machen musste, an Anforderungen, ohne nicht gleich Gefahr zu laufen, vielleicht seinen Job zu verlieren."

Zum Vorschein kommt eine erschreckende Banalität des Wegschauens und der Ignoranz. Die Berliner Philharmoniker waren keine Vorbilder von Zivilcourage, sondern geben ein bedrückendes Bild der damaligen Gesellschaft. An den Pulten saßen eben keine Sophie Scholl oder kein Bonhoeffer. Sondern Opportunisten die Musik machten, und sich bestens arrangierten.

"Beim Reisen kommt es am Besten zum Ausdruck, dass man in Diensten einer Propaganda unterwegs ist. Weil man da zu offiziellen Anlässen spielte oder in Ländern die besetzt waren. Und es war klar, es musste jeder wissen in welcher Rolle er dort auf dem Podium sitzt."

Dass sich der eigene musikalische Geschmack von dem der Nationalsozialisten kaum unterschied, half bei der Aufrechterhaltung eines ziemlich guten Gewissens.

Es wird nicht moralisch gewertet. Man fügt lediglich nüchtern die Fakten aneinander. Und will, einem Puzzle gleich, herausfinden, was gewesen ist.
Entstanden ist eine kleine, sehr textlastige Ausstellung, die fast ein bisschen untergeht im großen Foyer der Berliner Philharmonie.
Neben Fotos, einigen alten Programmheften - in einem glorifiziert Furtwängler die Wehrmacht, als Träger der schwersten Aufgabe bei der Errichtung des neuen Deutschland - gibt es auch alte Filmausschnitte zu sehen.

Die Ausstellung zeigt es deutlich: Wie eng verwoben, ja fast innig die Beziehungen waren, zwischen dem nationalsozialistischen Staat und dem Philharmonischen Orchester.

"Da ist nix schön zu schreiben. Da ist ganz klar: Das Orchester, das Berliner Philharmonische Orchester, die GmbH, wurde von den Nationalsozialisten übernommen, im Sinne von: Es wurde gekauft. Und die Musiker mussten, durch die Übernahme durch den Staat ihren Tribut zollen. Also Schönreden ist da nicht. Ich glaube wir präsentieren in der Ausstellung eine nüchterne Faktenlage. Ohne zu bewerten, ohne zu sagen Furtwängler hat falsch gehandelt, der Orchestervorstand hat falsch gehandelt, oder der Musiker x y hätte das tun sollen. Aber es liegt jetzt auf dem Tisch, was in der Zeit passiert ist, sehr detailreich."

Wenig erfährt man bedauerlicherweise in der Ausstellung über den philharmonischen Alltag, also wie es ist, am ersten Pult zu sitzen, während man im Konzert Hitler oder Goebbels in die Augen schaut. Wie es ist, das plötzlich eigene Kollegen nicht mehr dabei sein dürfen, nur weil sie Juden sind. Oder:
Wie es ist, dass zwölf Jahre bestimmte Werke nicht gespielt werden dürfen.

Alles kein Problem so scheint es. Auch nicht, dass bereits am 26. Mai 1945, also drei Wochen nach dem Ende des Naziregimes man wieder das erste Konzert spielt. Im zerstörten Berlin. Im Programm, erstmals nach zwölf Jahren: Die Ouvertüre zum Sommernachtstraum. Vom bis dato verfemten Felix Mendelssohn-Bartholdy.
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