Mit dem Rückenkratzer die Aura ausgekämmt

Moderation: Matthias Hanselmann · 27.06.2013
Geschätzte 25 Milliarden Euro werden in Deutschland jährlich auf dem Esoterik-Markt umgesetzt. Tendenz steigend. Der Journalist Bernd Kramer hat sich in einem Selbstversuch als Esoterik-Kunde und astrologischer Berater probiert. Er sagt, er finde es erschreckend, dass man so schnell Macht über Leute ausüben könne.
Matthias Hanselmann: Warum schwören so viele Menschen auf offensichtlichen Unsinn? Warum sind Pendeln, Tarot, Rutengehen und Geistheilerei bei Menschen angesagt, die sonst offenbar bei klarem Verstand sind? Solche und ähnliche Fragen hat sich Bernd Kramer gestellt und die Antwort darauf in einem esoterischen Selbstversuch gesucht, der allerdings aus mehreren Teilen bestand. Willkommen beim "Radiofeuilleton", Bernd Kramer!

Bernd Kramer: Ja, hallo!

Hanselmann: Erst mal, was machen Sie eigentlich im normalen Leben?

Kramer: Im normalen Leben bin ich kein Guru, sondern ganz normal Journalist, und hab mich in der Funktion immer mal wieder mit den Seltsamkeiten der Esoterik beschäftigt, die sich in verschiedensten Weisen manifestieren sozusagen.

Hanselmann: Wie sind Sie darauf gekommen, gab es besondere Anlässe, sich in der Esoterikszene umzutun und die von unten kennenzulernen?

Kramer: Also erst mal hatte ich immer so das Gefühl, das greift irgendwie um sich und jeder kennt so irgendjemanden, der auf seltsame Dinge schwört, und selbst, wo man sie eigentlich nicht vermuten würde, findet man heute Esoterik. Es gibt halt Berichte darüber, dass die Arbeitsagentur eine Weiterbildung zum Astrologen fördert oder dass sich Universitäten mit dem Thema Hellsehen beschäftigen – allen Ernstes. Und dem wollte ich einfach mal nachgehen, warum das so ist und was dahintersteckt und was es letztlich auch mit den Leuten macht und mit der Gesellschaft danach.

Hanselmann: Jetzt sind wir gespannt: Welche Art von Selbstversuchen haben Sie unternommen und wie ist es Ihnen dabei gegangen?

Kramer: Ich hab einfach verschiedene Sachen gemacht. Ich hab versucht, mich einfach mal so als Konsument dem Ganzen hinzugeben und hab ganz klassisch eine Esoterikmesse besucht, mich da bei einem Astrologen beraten lassen, der da hinter seinem Laptop saß und mein Sternzeichen berechnet hat. Ich war bei einer Reinkarnationstherapeutin, die dann irgendwie herausgefunden hat, dass ich in meinem früheren Leben doch mal Mönch gewesen sei. Also man musste sich da in so einen Sessel setzen und zwei Stunden lang die Augen geschlossen halten, und hinterher glaubt man dann selbst, man hätte schon mal früher gelebt. Also man muss sich dann diese Bilder vergegenwärtigen und …

Hanselmann: Aber man spricht nicht auf einmal Latein?

Kramer: Nee, das interessanterweise nicht. Ich hab das hinterher auch noch mal nachgeforscht, ob sich die historischen Fakten einigermaßen bestätigen ließen, aber in dem Ort, den ich angegeben hab, wo ich mal Mönch gewesen bin, hab ich jetzt irgendwie kein Kloster gefunden oder so was in der Art. Dann hab ich natürlich auch versucht, selbst mal als Anbieter so in die Szene einzusteigen, und hab mich bei einer Astro-Hotline beworben – also das ist das, was man auch abends im Fernsehen manchmal vielleicht kennt, wo dann Leute anrufen, dann sitzt da ein Kartenleger und erzählt denen irgendwas. Also das hab ich gemacht, nicht im Fernsehen, aber am Telefon, und hab mich als Aussteller auch bei einer Esoterikmesse versucht und vorher noch einen Kurs im Hellsehen belegt.

Hanselmann: Wie hat sich das für Sie gestaltet?

Kramer: Es ist im Prinzip so, es gibt unzählige Anbieter, so Portale im Internet, über die man sich dann einloggen kann und dann anrufen kann und eben einen Berater sprechen kann, der Kontakt zu Engeln hat oder Karten legt oder was auch immer. Ich hab mich einfach mal bei einem dieser Portale beworben, und das ging relativ einfach. Man musste einfach nur kurze Formulare im Internet auf der Homepage ausfüllen, dann rief eine Frau an und hat gefragt, was denn meine Kontonummer ist und wann das Geld kommt, und dann konnte ich im Prinzip schon fast loslegen.

Hanselmann: Als Berater?

Kramer: Als Berater!

Hanselmann: Ja, und welche Qualifikation haben Sie denn mitgebracht?

Kramer: Ich hab behauptet, ich hätte seit meinem sechsten Lebensjahr Kontakt zu Engeln und schon als Kind immer im Wald gespielt mit Elfen und Trollen um mich herum.

Hanselmann: Also eine gewisse Dreistigkeit mussten Sie da schon an den Tag legen.

Kramer: Ja, und Fantasie auf jeden Fall, ja.

Hanselmann: Gut, und dann haben Sie als Esoterikberater Menschen beraten – welche denn und hatten die was davon?

Kramer: Subjektiv hatten die anscheinend wohl was davon. Interessant war erst mal, dass es nur Frauen waren, und dann drehte sich das eigentlich immer so um drei verschiedene Themen, ganz im Wesentlichen nämlich um Geld, Job und Liebe. Im Prinzip gibt es eigentlich relativ banale Regeln, die man da beachten muss, nämlich dass man den Leuten – das klingt total trivial, aber es wirkt ziemlich gut – einfach nur das sagt, was sie hören wollen. Also wenn jetzt jemand fragt, wann treffe ich meinen Herzensmann, dann sagt man nicht, hm, sieht schlecht aus, sondern klar, sagt natürlich hm, da gibt es gute Gelegenheiten im nächsten halben Jahr, einen vagen Zeitraum nennt man vielleicht noch, macht das dann aber noch mal abhängig vom Klienten selbst. Dann funktioniert das eigentlich relativ gut. Man ist dann erstens auf der sicheren Seite, weil man nichts Definitives versprochen hat, man hat aber trotzdem gesagt, also dem Anrufer, was er hören möchte. Man erzählt den Leuten erst mal so einen ganzen Schwang an Dingen, die möglichst vage sind, wo vieles davon auf jeden irgendwie zutreffen kann, und dann suchen sie halt ihr Leben ab die nächsten Tage und finden dann natürlich irgendwas, was zutrifft, und das merken sie sich, aber den ganzen Rest natürlich nicht.

Hanselmann: Wie ging es eigentlich Ihrem Gewissen dabei, Menschen zu beraten, ohne wirklich eine geringste Ahnung davon zu haben, wie man das tut?

Kramer: Das war, ehrlich gesagt, wirklich so ein kleiner innerer Konflikt, den ich da hatte. Ich hab dann auch erst mal als Minutenpreis – man kann einen Preis festlegen, wie viel die Kunden da zahlen sollen, und hab den niedrigsten genommen, damit ich irgendwie …

Hanselmann: Das war wie viel?

Kramer: Das waren, glaube ich, 83 Cent pro Minute für den Kunden, und ich hab dann irgendwie 23 bekommen. Der Rest ging dann an das Portal, das nichts gemacht hat und auch in seinen Geschäftsbedingungen schreibt, dass es für nichts Verantwortung übernimmt, also ein gutes Geschäftsmodell in dem Sinne. Nein … Und ich hatte wirklich als erste Kundin eine, die anrief, die war wirklich ganz verzweifelt und hatte nur noch, sie meinte, sie hätte nur noch zehn Euro, mit denen sie jetzt über die nächste Woche kommen muss, und wollte einfach von mir wissen, wann es jetzt mal wieder bergauf geht mit dem Geld und finanziell. Das konnte ich ihr natürlich nicht sagen, ich wollte sie am liebsten irgendwie ans Sozialamt oder an die Arbeitsagentur oder sonst wohin verweisen, konnte es aber im Prinzip natürlich nicht, weil ich dann, wenn ich ihr schon nicht helfen kann, wie soll ich ihr dann Glauben machen, dass eine Behörde es könnte oder so. Es war schon irgendwie wirklich so ein Konflikt, und ja, der Anruf hat sie dann letztlich dann sieben Euro gekostet.

Hanselmann: Dann hatte sie noch drei Euro übrig zum Leben. Da müssen Sie doch wirklich ein schlechtes Gewissen gehabt haben.

Kramer: Ja, hatte ich auch, ja.

Hanselmann: Kann ich mir vorstellen. Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit dem Journalisten Bernd Kramer, der sich in die Esoterikszene begeben hat und in mehreren Bereichen Selbstversuche unternommen hat. Was war eigentlich so das für Sie, sagen wir mal, das Krasseste, was Sie erlebt haben bei Ihrer Tournee durch die Esoterik?

Kramer: Ja, es gibt natürlich viele Sachen. Was ich auch ziemlich interessant fand: Ich hab mal auf einer Esoterikmesse mich versucht als Aussteller und hatte eine abstruse Theorie und abstruse, fiktive Heilslehre, die ich da angeboten habe. Ich hatte einfach irgendwie so einen Rückenkratzer genommen und behauptet, damit könnte ich die Aura der Kunden von negativen Energien auskämmen sozusagen.

Hanselmann: Mit einem Rückenkratzer?

Kramer: Mit einem Rückkratzer! Das hab ich dann irgendwie so am Körper ein bisschen entlang. Und interessanterweise haben sie sich dann besser gefühlt, also ganz ähnlich wie auch bei der Astro-Hotline, und haben mir dann sogar freiwillig Geld gegeben, das fand ich wirklich irgendwie irritierend. Also ich hab kein Geld genommen, und sie haben mir dann trotzdem – "hier, zehn Euro, kannst das ja nicht umsonst machen" – in die Hand gedrückt. Das habe ich dann wieder beim Astrologen ausgegeben. Aber das fand ich interessant. Und dann haben auch noch wirklich Kunden nachgefragt, ob ich ausbilde, und wollten ein Kärtchen von mir und mit mir in Kontakt bleiben und so weiter.

Hanselmann: Sie hätten ja Karriere machen können.

Kramer: Ich hätte irgendwie Seminare geben können, ich hätte wahrscheinlich dann irgendwie so ein paar Leute noch um mich scharen können, ja. Das fand ich dann wirklich erschreckend, dass man so schnell irgendwie doch Macht über Leute ausüben kann.

Hanselmann: Absolut, da stellt man sich Fragen. Und das ist eine gute Gelegenheit, Sie zu fragen, als Skeptiker, als der Sie an die Sache rangegangen sind: Gab es auch mal einen Moment, wo Sie dachten, vielleicht ist da doch was dran, vielleicht ist das doch keine Scharlatanerie?

Kramer: Ja … Es gab jetzt keinen Moment, wo ich jetzt richtig davon überzeugt war, insofern ist es natürlich ein voreingenommener Versuch, den ich gemacht hab, das ist klar. Aber ich hatte schon gelegentlich mal so das Gefühl, hoppla, kann da nicht vielleicht doch ein bisschen mehr sein. Zum Beispiel bei der Astro-Hotline da bekam ich dann irgendwie wirklich diese ganz überschwänglichen Rückmeldungen von den Kunden und hab eigentlich nur aus dem Psychologielehrbuch bestimmte Sachen abgeklappert und durchgeführt. Aber das war dann doch so überschwänglich, dass ich gedacht habe, hm, vielleicht ist doch ein bisschen mehr dran, vielleicht tu ich doch noch etwas dazu hinein, was jetzt nicht einfache Technik ist. Also ich hab’s nicht wirklich gedacht, aber diese Versuchung war einfach irgendwie doch relativ greifbar, das glauben zu wollen dann auch.

Hanselmann: Also wo man schon sehen kann, die Übergänge sind manchmal fließend, und man kann manchmal die Vernunft noch so sehr anstrengen, man ist auch ein Gefühlsmensch und anfällig für solche Dinge. Was würden Sie Menschen raten, die in esoterische Kreise geraten?

Kramer: Das Problem ist natürlich, wenn man jetzt wirklich daran glaubt … also das verläuft ja sehr fließend, dass man wirklich das dann plötzlich beginnt, zu akzeptieren und dann auch wirklich nicht mehr wirklich ansprechbar ist für Außenstehende. Also es gibt Beratungsstellen, an die kann man sich irgendwie wenden, Sektenberatungsstellen, da kann man hingehen, auch wenn man als Angehöriger das Gefühl hat, hier stimmt irgendwas nicht mehr. Ansonsten würde ich immer raten, es möglichst nicht zu machen. Auch wenn man es einfach nur mal ausprobieren möchte.

Hanselmann: "Nach dem Lesen dieser Reportage freut man sich wieder auf den gesunden Menschenverstand", heißt es am Ende des Klappentextes zu Ihrem Buch. Vielen Dank, Bernd Kramer, Autor von "Erleuchtung gefällig? Ein esoterischer Selbstversuch ", erschienen im Christoph-Links-Verlag zum Preis von 16,90 Euro. Danke schön und ein angenehmes Leben weiterhin!

Kramer: Danke, bitte!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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