Mit 3D in eine andere Welt

Von Georg Gruber · 10.12.2012
Am Leibniz-Rechenzentrum in München eröffnete vor kurzem ein Zentrum für Virtuelle Realität und Visualisierung. Dort kann man via 3D-Technologie eintreten in dreidimensionale virtuelle Welten, eine antike Grabkammer beispielsweise. Georg Gruber war für uns in München - und in der Grabkammer.
Bevor man ungeahnte virtuelle Welten betreten darf, muss man sich erst einmal Filzpantoffeln über die Straßenschuhe ziehen, denn der Boden dieser Welt ist aus Glas, das nicht zerkratzt werden soll. Auch die Seitenwände sind aus Glas, 2 Meter 70 auf 2 Meter 70. Ein Würfel, der nur zu einer Seite hin offen ist, auch "Cave" genannt, Höhle. Von hinten werden Bilder auf die Glaswände, die Decke und den Boden projiziert, erklärt Christoph Anthes vom Leibniz Rechenzentrum in München. Er leitet das Team für "Virtuelle Realität und Visualisierung".

"Im Großen und Ganzen braucht man schlussendlich drei Stockwerke vom Aufbau her, wir haben unten im Keller im Geschoß unter diesem Raum noch einen Projektor installiert, damit wir die Bodenfläche von unten projizieren können, und ein Stockwerk drüber im oberen Bereich noch einen Projektor, damit wir die Deckenfläche projizieren können. Deswegen brauchen sie drei Stockwerke, zu groß fürs Wohnzimmer."

Zu groß fürs Wohnzimmer - das ist bitter. Denn durch eine spezielle 3D-Brille betrachtet entsteht durch die Projektionen eine dreidimensionale Welt, die so echt wirkt, dass man denkt, man sei weit fort, nicht mehr am Rand von München, sondern in der Türkei beispielsweise. Eine Ausgrabungsstätte, der Himmel über mir ist blau, tiefblau, vor mir liegt eine Grabkammer aus dem 5. Jahrhundert vor Christus.

"Sie sehen also jetzt im Moment den Eingangsbereich zu dieser Grabkammer." - "Komm ich in die Grabkammer rein?" - "Ja sicher, das ist jetzt also eine Visualisierung der Grabkammer, die auf Basis von Fotografien erstellt wurde, und wenn wir uns gleich durch den Eingang in die Kammer reinbewegen, sieht man Fresken an den Wänden, die auf Basis der Fotos erstellt sind, das Ganze wirkt sehr realistisch."

Es ist verblüffend: Ich kann in die Grabkammer hineingehen. Bücke mich, um nicht gegen einen Deckenbalken zu stoßen. Kann mich drehen, kann näher an die Wand herantreten, um die bunten Fresken genauer zu betrachten:

"Man muss dazu sagen, das Ganze ist in Echtzeit berechnet, es ist kein Film, wie man es aus dem 3-D-Kino kennt. Sie haben auch die Möglichkeit bei dieser Kamerafahrt, dieser Animation in die Grabkammer hinein, sich auch frei zu bewegen, die Perspektive zu ändern." - "Je weiter ich jetzt da reingehe, dann stoß ich doch dann irgendwann gegen die Projektionsfläche oder?" - "Das ist durchaus richtig, ist auch ein, ich sag mal, gängiges Problem: Auf der einen Seite ist es natürlich sehr schön, weil es auch illustriert, wie realistisch diese Technologie wirkt, dadurch dass man die Installation als solches vergisst, das Gefühl hat, sich wirklich in der Szene zu befinden. Auf der anderen Seite ist es natürlich tatsächlich ein Problem, dass man sich öfter mal die Nase stoßen kann, wenn man zu nah an die Projektionswand kommt."

An der Brille sind kleine Reflektoren angebracht, die nicht sichtbares Infrarotlicht wiederspiegeln. Spezielle Kameras in den Ecken der Cave können so erfassen, wo ich mich befinde. Und je nachdem wohin ich gehe und wie ich meinen Kopf bewege, werden über dieses Tracking-System die Perspektiven, die Bilder, die ich sehe, dynamisch angepasst.

All das ist weit mehr als eine Spielerei. Das "Zentrum für Virtuelle Realität und Visualisierung" bietet Wissenschaftlern verschiedenster Fachrichtungen damit neuartige Möglichkeiten Simulationen durchzuführen, auf dem schnellsten Rechner Europas, dem "SuperMUC", der im Sommer 2012 am LRZ in Betrieb genommen wurde. Interessant nicht nur für Archäologen, Architekten oder Produktdesigner. In der Automobilindustrie beispielsweise werden ähnliche Installationen bereits genutzt. Professor Dieter Kranzlmüller vom Direktorium des Leibniz Rechenzentrums:


"Es geht dann weiter über Dinge die zu groß sind, um sie anzusehen, die können wir entsprechend verkleinern oder auch umgekehrt, etwas aus dem mikroskopischen Bereich, was wir entsprechend vergrößern, wenn sie Moleküle sich vorstellen oder das Weltall als umgekehrtes Beispiel. Und dann können wir noch Anwendungen machen, die in der Realität zu gefährlich sind, ein Beispiel ist ja immer Sicherheitstraining für irgendwelche Installationen oder Anlagen, dann können wir die nachbilden und dort entsprechend Trainings durchführen, das beschreibt in etwa die Anwendungspalette, was man damit tun kann."

Auch Kunstpädagogikstudenten haben sich bereits an dreidimensionalen Räumen versucht. Eine psychodelische Erlebnis, die Cave wird zu einer riesengroßen Halle, in der ich schwebe, über und unter mir seltsame Quadergebilde in lila, orange, grau. Der Phantasie scheinen einmal wirklich keine Grenzen gesetzt. Warum zurück in die reale Welt, wenn doch hier alles möglich erscheint? Auch die Begegnung mit anderen, die irgendwo tausende Kilometer entfernt auch so einen virtuellen Raum betreten und als digitale Avatare zu mir kommen - und ich als Avatar zu ihnen. Christoph Anthes:

"Es gibt da ganz ganz viele Fragestellungen, die auch in den psychologischen Bereich rein gehen. Ist es geschickter, eine Videorepräsentation zu haben, das Gegenüber abstrakter zu gestalten, das Gegenüber realistischer zu gestalten. Der spielt eine ganz große Rolle, wie übertrage ich das am besten auf meinen Charakter. Da gibt es die verschiedensten Ansätze, die man gehen kann. Und da ist noch eine ganze Menge an Forschungsarbeit zu leisten."
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