Mit 18 Jahren an die Urne

Von Karl-Heinz Heinemann · 31.07.2010
"Sollen Teenager wählen?", fragte 1966 die "Zeit" und bezweifelte, dass "ein 18-Jähriger die Wahlreife besitzt". Laut Grundgesetz war damals das aktive Wahlrecht auf 21 und das passive auf 25 Jahre festgesetzt. Am 31. Juli 1970 trat dann die kurz zuvor beschlossene Grundgesetzänderung in Kraft. Seither dürfen Jugendliche ab 18 Jahren wählen.
"Den Heranwachsenden fehlt eine gewisse Reife des Staatsbürgers", befand 1966 der 90-jährige Ex-Bundeskanzler Konrad Adenauer. Wählen durfte damals erst, wer das 21. Lebensjahr erreicht hatte. Nur einzelne Abgeordnete von FDP und CDU machten sich für eine Senkung des Wahlalters stark. Doch dann änderte sich die Meinung der Bevölkerung und auch der Politiker rasch.

(Barry McGuire: Eve of destruction)
The eastern world, it is exploding
Violence flarin', bullets loadin'
You're old enough to kill, but not for votin'


Mit diesem Lied beschrieb der Protestsänger Barry McGuire 1965 den Zusammenhang, in dem die Debatte um das Wahlalter stand: Die jungen amerikanischen Soldaten im Vietnamkrieg waren alt genug zu töten, aber nicht zu wählen. Im selben Jahr wurde auch in der Bundesrepublik das Wehrdienstalter auf 18 Jahre gesenkt.
Im November 1968 brachte der stellvertretende Vorsitzende der damals oppositionellen FDP, Hans-Dietrich Genscher, ein Gesetz zur Herabsetzung des Wahlalters im Deutschen Bundestag ein. Mit seinen 40 Jahren zählte er noch zu den jungen Abgeordneten.

"Wir wollen nicht nur Soldaten haben, die einer gesetzlichen Wehrpflicht genügen, die einem gesetzlichen Zwang nachkommen, sondern wir wünschen Soldaten, die die demokratische Ordnung, die sie mit ihrem Wehrdienst verteidigen sollen, auch innerlich bejahen und die Möglichkeit haben, über den Inhalt dieser Ordnung auch mit dem Stimmzettel mitzuentscheiden."

Die Jugend besitze eine größere Reife und politische Kenntnis als in früheren Jahren, unterstützten Jugendsoziologen und Pädagogen die Argumentation für das frühere Wahlalter in einer Bundestagsanhörung. Denn spätestens 1968 war unübersehbar, dass Jugendliche ihre politischen Interessen auch auf der Straße artikulierten. Mit der Wahlrechtsänderung sollte die Jugend stärker an die demokratischen Institutionen und das etablierte Parteiensystem gebunden werden. Hans Dietrich Genscher:

"Unser Ziel ist es dagegen, den jungen Menschen, die sich aus ehrlicher Besorgnis um unsere Demokratie an den Demonstrationen dieses Jahres beteiligt haben, zu zeigen, dass dieser demokratische Staat für die offen ist, dass sie nicht über eine Zeit hinaus mit der Ausübung ihrer Rechte warten müssen, in der sie längst staatsbürgerliche Pflichten, zum Beispiel in der Form des Wehrdienstes, übernommen haben."

1969 bekam dann die sozialliberale Koalition die Mehrheit. Für Willy Brandt war die Herabsetzung des Wahlalters ein Teil seines Programms, "mehr Demokratie" zu wagen. Bei der Verabschiedung der entsprechenden Grundgesetzänderung im Juni 1970 gab es dann auch keine Gegenstimmen, lediglich zehn Enthaltungen, die aus allen Parteien kamen. Für die Skeptiker begründete der sozialdemokratische Abgeordnete Klaus-Peter Schulz seine Stimmenthaltung damit, dass die demonstrierende Jugend ihn nicht von ihrer demokratischen Reife überzeugt hätte:

"Die überwiegende Mehrheit des Deutschen Bundestages hat damit einem Phänomen Rechnung getragen, das man in der Regel als politisches Engagement der jungen Generation bezeichnet. Der größte Teil der jungen Generation steht, wie sich aus allen Umfragen und wissenschaftlichen Erhebungen ergibt, der Politik indifferent, oft mit einer geradezu erschreckenden Unkenntnis gegenüber. Ein Zugewinn für unsere demokratische Ordnung ist infolgedessen von der Herabsetzung des Wahlalters nicht zu erwarten."

Am 31. Juli 1970 trat die beschlossene Wahlrechtsänderung in Kraft. Bei der nächsten Bundestagswahl 1972 bestätigte sich die Befürchtung konservativer Skeptiker, dass die Senkung des Wahlalters auf Kosten ihrer Parteien gehen würde: Zwei Drittel der 4 Millionen Jungwähler wählten sozialliberal.
1975 wurde dann auch das Volljährigkeitsalter von 21 auf 18 Jahre herab gesetzt. Heute wirbt der Jugendforscher Klaus Hurrelmann, neben etlichen jüngeren Abgeordneten aller Parteien, für eine weitere Herabsetzung des Wahlalters. In der Tageszeitung "taz" schrieb er am 12. Juni:

Einschätzen zu können, was bei einem Wahlvorgang passiert - das ist (...) spätestens mit vierzehn Jahren ohne Einschränkungen möglich. Ein Mindestwahlalter von sechzehn Jahren würde der veränderten Lage endlich Rechnung tragen.