Misshandlung von Flüchtlingen

NRW-Innenministerium war über Zustände informiert

Das Flüchtlingsheim auf dem Gelände der ehemaligen Siegerland-Kaserne in Burbach
Misshandlungen in Burbach: Das Flüchtlingsheim liegt auf dem Gelände der ehemaligen Siegerland-Kaserne. © picture-alliance / dpa / Federico Gambarini
Von Barbara Schmidt-Mattern · 02.10.2014
Fehlende Hygiene, schlechtes Essen, keine Privatsphäre: Schon lange haben Asylverbände über die schlechten Lebensbedingungen in den Flüchtlingsheimen in Nordrhein-Westfalen berichtet. Die rot-grüne Landesregierung hätte reagieren können. Warnungen gab es genug.
Ein Hilfsangebot kommt nun aus Berlin: Bundesbauministerin Barbara Hendricks von der SPD, die selbst aus Nordrhein-Westfalen, stammt, kündigt an, das Baurecht zu lockern, damit Städte und Gemeinden schneller geeignete Unterkünfte für Flüchtlinge bauen können. Die aktuelle Notsituation gerade in NRW wird das aber kaum entschärfen. 40.000 Flüchtlinge werden allein in diesem Jahr an Rhein und Ruhr erwartet. Das arg strapazierte Wort Willkommenskultur verwendet in diesen Tagen kaum mehr jemand in Düsseldorf. Im Gegenteil, der zuständige Regierungspräsident Gerd Bollermann von der Arnsberger Bezirksregierung klingt eher alarmiert, und überfordert:
"Das ist noch nicht zu Ende! Wir rechnen mit deutlich mehr Flüchtlingszugängen, so dass wir auch mit den 19 oder 20 Einrichtungen nicht zurechtkommen werden."
Als bevölkerungsreichstes Bundesland nimmt NRW nach dem Königsteiner Schlüssel, der die bundesweite Verteilung der Asylbewerber festlegt, die meisten Hilfe suchenden Menschen auf. Seit langem schon berichten die Asylverbände über schlimme Verhältnisse in den Heimen: fehlende Hygiene, schlechtes Essen, keine Privatsphäre. Journalisten wird der Zugang verwehrt – um die Flüchtlinge zu schützen, hieß es bisher. Das war, bevor die Übergriffe in den Heimen selbst bekannt wurden. Die Öffentlichkeit erfahre nicht, was in den Unterkünften los sei, kritisiert Birgit Naujoks. Die Geschäftsführerin vom Flüchtlingsrat NRW trat kürzlich bei einer Abendveranstaltung in Duisburg auf:
"Es mag Ausnahmen geben, da wo sich Nachbarn zusammenfinden, auf eine Unterkunft zugehen, mit den Flüchtlingen in Kontakt kommen und dort eine Art ehrenamtliche Betreuung aufbauen. Grundsätzlich sind solche Unterkünfte aber sehr gemeinschaftsfeindlich. Die Flüchtlinge kommen nicht in Kontakt mit der deutschen Gesellschaft."
Die Lage für Flüchtlinge in NRW ist besonders prekär
Die jetzt bekannt gewordenen Misshandlungen werfen jetzt ein Schlaglicht auf die Zustände. Alle Übergriffe geschahen in Nordrhein-Westfalen. Gefragt, warum die Situation offenbar gerade hier so prekär ist, weicht Innenminister Ralf Jäger aus:
"Ich will’s mal deutlich sagen, ich weiß nicht, wie die Situation in anderen Bundesländern ist. Ich weiß auch nicht, ob in anderen Ländern durchaus etwas bekannt sein könnte."
Abgesehen von Maßnahmen gegen weitere Gewaltexzesse in den Heimen nennt die rot-grüne Landesregierung bisher kein Konzept, wie sie ihre Flüchtlingspolitik grundlegend ändern will, um die Zustände zu verbessern. Strukturelle Probleme mag Innenminister Jäger nicht erkennen, er ordnet die Übergriffe des Wachpersonals in drei Heimen als Ausnahmen ein:
"Es sind Fehler einzelner Krimineller, und wir müssen dafür sorgen, dass solche Kriminellen nicht mehr in unsere Einrichtungen kommen."
Bürgermeister schlug schon vor Monaten Alarm
Doch die rot-grüne Landesregierung hätte offenbar längst reagieren können. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung ist der Bürgermeister der siegerländischen Gemeinde Burbach, wo Flüchtlinge gedemütigt und geschlagen wurden, schon vor Monaten in Düsseldorf gewesen und berichtete einem Staatssekretär im Innenministerium über die schlimmen Zustände in der Flüchtlingsunterkunft. Nichts geschah. Tim Plachner, Chefredakteur der Lokalzeitung "Siegerlandkurier", ist nicht überrascht über die Gewalt in jenem Flüchtlingsheim in seiner eigenen Stadt:
"Die Umstände dort oben sind in allen Belangen so katastrophal, und das Personal ist dermaßen unterbesetzt, dass es früher oder später zu solchen Umständen kommen musste."
Zudem gab es in Burbach offenbar einen so genannten "Problemraum", in dem angetrunkene oder randalierende Heimbewohner eingesperrt wurden. Die zuständigen Wachdienste hätten sich selbst als "SS-Trupps" bezeichnet. Das berichtete einer der jetzt beschuldigten Wachleute gegenüber dem "Siegerlandkurier". Chefredakteur Tim Plachner:
"In diesem Problemzimmer hat es also keine sanitären Einrichtungen gegeben, keine Toiletten. Er sagte weiterhin, wenn gerade keiner dagewesen wäre, um aufzuschließen, dann hätten die Flüchtlinge auch zum Teil aus dem Fenster urinieren müssen."
Eine zentrale Anlaufstelle für Beschwerden will die zuständige Bezirksregierung bisher nicht einrichten. Betroffene Heimbewohner konnten sich auch bisher schon an die Bezirksregierung oder die Heimleitung wenden, heißt es. Das sei geübte Praxis, sagt Regierungspräsident Gerd Bollermann. Warum keines der misshandelten Opfer sich meldete, weiß er nicht. Jetzt also neue Anlaufstelle einzurichten – unbürokratisch, einfach und im Notfall auch tatsächlich schnell erreichbar, das würde nichts nützen, glaubt Bollermann. Denn:
"Eine zentrale Beschwerdestelle, die wir in Arnsberg oder wo auch immer einrichten würden, würde, ich glaube, von den Bewohnerinnen und Bewohnern, glaube ich, auch nicht akzeptiert."
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