Missbrauchs-Geschichte

"Tore tanzt"

27.11.2013
Der junge Tore sucht nach Halt in einem religiösen Heilsversprechen. Das führt ihn in die Familie, in der er zum Missbrauchsopfer wird. Doch Tore wehrt sich nicht, er geht freiwillig den Golgathaweg. Das Filmdebüt von Katrin Gebbe erzählt vom Martyrium eines modernen Jesus.
"Tore tanzt", das Langspielfilmdebüt der jungen Regisseurin Katrin Gebbe, repräsentierte den deutschen Film in Cannes in der renommierten Reihe "Un certain regard". Dort stieß er auf ein sehr geteiltes Publikum, denn es gab Beifall wie Buhrufe. Das ist verständlich, denn der Film ist sowohl die unbarmherzige Geschichte eines Missbrauches - nach einem wahren Fall ,wie wir am Ende erfahren -, als auch ein parabelhaft-religiöses Gleichnis, das das Martyrium eines modernen Jesus erzählt.
Wie schon der Österreicher Ulrich Seidl in seiner Filmtrilogie teilt die Regisseurin und Autorin Katrin Gebbe das realistisch erzählte Geschehen in die drei Kapitel Glaube – Liebe – Hoffnung. Doch vom religiösen Heilsversprechen, an dem der blondgelockte Tore festhält, was ihm auch geschehen mag, bleibt dem Zuschauer nichts, im Gegenteil. Wir begegnen dem jungen entwurzelten Mann in einer Punkgemeinde von Jesus-Jüngern , sehen ihn Halt suchen. Als sie seinen strengen Anforderungen an christliches Leben nicht genügen, folgt er dem Hilfsangebot von Benno (Sascha Alexander Gersak), einer Zufallsbekanntschaft, die ihm inmitten seiner Familie in einer Gartenlaube Asyl gibt. Dafür kümmert sich Tore um den Garten und entwickelt Zuneigung zur 15-jährigen Tochter der Familie (Swantje Kohlhoff).
Bewunderung für die schauspielerische Leistung
Da glaubten wir mit Tore noch an ein Gelingen, eilte dem Film nicht schon der Ruf voraus, unbarmherzig den Missbrauch des gewalttätigen, ja sadistischen Mannes an Tochter und zunehmend auch am "Ziehsohn" Tore zu zeigen. Liebe gibt es hier nicht, nur das Ausleben von Machtgelüsten, das durch Tores Demut immer weiter angestachelt wird. Dem Sadisten zur Seite stehen die ihm hörige Frau (Annika Kuhl), die bei den Torturen seine Komplizin ist, und das wehrlosen Objekt seiner Manipulation, der kleine Dennis (Daniel Michel). Tore selbst wehrt sich nicht, er geht stoisch den von ihm angenommenen Golgathaweg und Erlösung oder Hoffnung kann es folgerichtig nur in seiner Opferung geben.
Katrin Gebbe stattet ihre Filmfiguren weder mit einem sozialen Hintergrund aus noch gibt sie psychologische Erklärungsmuster. Immerhin hat Tore einen nachvollziehbaren Grund, sich den Torturen nicht zu entziehen – es ist seine Entscheidung, die anderen Opfer nicht zu verlassen. Ansonsten ist man als Zuschauer bei einer sehr direkten Kameraführung zum Mitleiden verdammt und zur Bewunderung sowohl der erzählerischen Konsequenz als auch der schauspielerischen Bewältigung.

"Tore tanzt"
BRD 2013
Regie: Katrin Gebbe
Darsteller: Julius Feldmeier, Sascha Alexander Gersak, Annika Kuhl, Swantje Kohlhoff, Daniel Michel
110 Minuten, ab 16 Jahren

Mehr zum Thema