Miss Baas

Russischer Reggae gegen die Repression

Die russische Reggae/Dancehall-Künstlerin Miss Baas.
Die russische Reggae/Dancehall-Künstlerin Miss Baas. © Julia Rvantseva
Von Martin Risel · 07.07.2016
Hierzulande sind nicht viele Reggae-Künstler aus Russland bekannt. Das könnte sich mit Miss Baas ändern: die 30-Jährige mausert sich zur russischen Dancehall Queen – mit explizit politischen Texten, die sich gegen staatliche Willkür wehren.
Sie hat Power in der souligen Stimme und ein Funkeln in den stahlblauen Augen – wenn die nicht gerade hinter einer großen Sonnenbrille versteckt sind. Denn die gehört bei Miss Baas zum bunten Outfit auf ihrem Weg hinaus in die Welt. In Deutschland und Rest-West-Europa sucht sie gerade musikalische Partner für ihr Debutalbum, für das sie selbst ziemlich professionell Beats und Sounds schraubt.
Die Thirty-Something erfindet sich gerade neu als angehende russische Reggae/Dancehall-Underground-Queen. Dabei war sie zuvor schon mit russisch gesungenen R’n’B-Songs in den Charts …
"Ich mochte es, aber das war nicht, was ich wollte: nämlich ein internationales Projekt. Also hab ich die Sprache gewechselt, den Stil, meinen Künstlernamen – und hier bin ich!"
"Miss Baas…Miss Baas …"
Geboren ist Nastja Staischa in einer noch sowjetischen Kleinstadt, mit sieben zieht die Künstlerfamilie nach Moskau. Die Schauspieler-Tochter kommt als Backstage-Kind auf vielen Bühnen herum, lernt Piano, singt im Bolschoi-Kinderchor, begeistert sich bei einer US-Tour für Gospel, geht an ein russisches Popjazz-College – und dann vor drei Jahren zu einer dieser Casting-Shows:
"Ja, ich war bei 'The Voice of Ukraine', aber diese Show hat mir nichts gegeben. Ich konnte nicht singen, was ich wollte. Ausnahme: Meinen Lieblings Dancehall-Hit 'Shy guy' von Diana King."

Ihr eigener Slang

Ja, Miss Baas kann richtig gut singen, hat ihren eigenen Patois-Stil gefunden: Jamaikanischer Slang mit russisch-englischer Note.
Auch wenn die russische Reggae-Szene klein ist: Die karibischen Offbeats haben es ihr schon lange angetan, auch schon als vor sechs Jahren ihre Schwester bei einem tragischen Autounfall totgefahren wurde. Mitten in Moskau, an einer belebten Straßenkreuzung:
"Der Fahrer ist Topmanager einer großen Ölfirma, ein Freund von Putin. Wahrscheinlich konnten wir deshalb nichts beweisen. Es gab keine Bilder der Überwachungskameras, keine Zeugen, die aussagen wollten."
Dabei hatten viele den tödlichen Unfall beobachtet und Kameras die Kreuzung überwacht - angeblich nicht an diesem Tag. Dafür waren jede Menge Sicherheitskräfte da, der Fall sollte zunächst vertuscht werden. Weil ihre Familie aber von Künstlern und Journalisten unterstützt wurde, kam es zu zwei Gerichtsverfahren. Die wurden jedoch aus Mangel an Beweisen eingestellt.
Persönlich UND politisch motiviert ist vor allem Miss Baas' Song "Barb wire", in dem sie die Informationspolitik der Herrschenden anprangert:
"In 'Barb wire' geht’s um diesen Informationskrieg. Unsere Politiker verbreiten Hass zwischen Menschen und Religionen – sie stellen diesen Stacheldraht zwischen uns. Aber ich singe hier: 'Wir können zusammen sein, kein Zaun oder Glaube kann uns trennen'."

"Englische Texte werden nicht so kontrolliert"

Auch wenn Miss Baas hier keine Namen nennt – die Anspielungen auch im dazugehörigen Video sind deutlich. Warum sowas in Russland trotzdem möglich ist, weiß ihr Produzent RasKar, einer der führenden Figuren der russischen Reggae-Szene:
"Englische Texte werden nicht so kontrolliert - und viele Russen verstehen sie nicht. Aber auch dabei musst du aufpassen, wenn du in den Medien vertreten sein willst oder bei einem großen Festival. Als Untergrundkünstler spielt das nicht so eine Rolle. Aber wir kommen immer mehr in sowjetische Zeiten."
Und das ist noch nicht einmal die größte Sorge der jungen Musikszene in Russland. Kreative Leute wie RasKar denken schon weiter als nur an Frust und Verfolgung unter Putin:
"Er ist nicht Stalin oder Mao Zedong, nur ein Dritte-Welt-Diktator mit so einem korrupten System. All die wichtigen Köpfe verlassen Russland und investieren hier nichts – deshalb wird Putin nicht ewig herrschen. Aber danach wird es noch schlimmer. Weil dann der mit dem größten Gewehr an die Macht kommt - und das macht uns Sorgen."
Ganz im Pessimismus versinken will Miss Baas dagegen nicht. Und nicht nur ihrem fünfjährigen Sohn ein bisschen Hoffnung mitgeben:
"In meinem Song 'Palm shot' geht’s um Hoffnung: Um einfache Leute, die kein Gewehr haben, aber ein Gehirn. Und man kann einen von uns töten, aber nicht alle. Wir haben die Macht in unseren Händen. Ja, es gibt Hoffnung!"
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