Mira Gonzalez

Poetischer Flirt mit dem Zeitgeist

Eine 13-jährige Jugendliche spieltauf ihrem Smartphone das Spiel "Candy Crush".
Eine 13-jährige Jugendliche spielt auf ihrem Smartphone das Spiel "Candy Crush". © picture alliance / dpa / Henning Kaiser
Von Claudia Kramatschek · 08.08.2015
Ihre Gedichte sind abgründig und philosophisch überhöht, herzzerreißend traurig und herzzerreißend komisch zugleich. Die US-Autorin Mira Gonzalez fängt das Lebensgefühl einer ganzen Generation ein.
Schon der Titel dieses Gedichtbandes der 1992 in Los Angeles geborenen Autorin Mira Gonzalez lässt aufhorchen. Er spielt mit der Selbstverliebtheit ihrer Generation, die den Mythos des Narziss mit Smartphone-Selfies wiederbelebt – und bricht den schlechten Ruf der Selbstverliebtheit zugleich in stupender Weise. "Mortal Kombat" heißt denn auch gleich das erste dieser Gedichte, die allesamt um die Sehnsucht nach Nähe, Liebe und Verschmelzung kreisen. Doch diese bleibt verwehrt: Hier offenbart sich das Lebensgefühl postmoderner Monaden, die umso lauter "Ich" rufen, je weniger sie noch in der Lage sind, den Abstand zum Anderen zu überbrücken:
"Wir werden uns an einen warmen Morgen erinnern / an dem wir die Taubheit im Zwischenraum der Atome fühlten / und unsere Münder schmeckten nach der unerreichbaren Nähe früherer Jahre"
Überall Verlorenheit
Verlorenheit spricht aus allen Gedichten: wie die Muscheln im Sand – ein wiederkehrendes Motiv –, die sich eingraben haben oder bereits vor Jahren gestorben sind, umgibt ein Panzer das lyrische Ich. Dieser Panzer schützt und trennt zugleich. Diesem Widerspruch entspricht die Reibungskraft aller Gedichte: Sie sind herzzerreißend traurig und herzzerreißend komisch zugleich. Die Überschriften flirten mit dem philosophischen Zeitgeist – und erzählen manchmal mehr als die Gedichte selbst. Emotionen werden wie in einem Tweet kurz angerissen, verlieren sich dann aber wieder im Dunkeln. Der mündliche Gestus dieser Prosaminiaturen, die ohne Punkt und mit nur sehr wenig Kommata daherkommen, nimmt einen sofort in Bann. Die Szenen aus dem alltäglichen Leben – der Moment, nicht einschlafen zu können; Erinnerungen an ein trauriges Weihnachtsfest; misslungener Sex auf der Rückbank eines Autos – werden ins Abgründige gewendet durch Anklänge an eine philosophisch überhöhte Sprache:
"Ich werde durch operante Konditionierung darauf ausgerichtet / negativ auf romantische Gefühlsreize zu reagieren",
gesteht das Ich an einer Stelle. Dieses Ich ist hier nicht mehr als ein Atom, ein mikroskopisches Teilchen im Raum:
"eine Einheit Substanz, / die sich durch die Zeit bewegt / in dieser unfassbaren Geschwindigkeit".
Mit großer Lakonie und Zärtlichkeit
Wo Annäherung stattfindet, löst sie Fluchtreflexe aus: "ein paar Bauchgefühle erzeugen ein kleines schweres Ding", heißt es in "Selbstzerstörerische Persönlichkeitsstörung".
Dass Mira Gonzalez mit großer Lakonie wie auch Zärtlichkeit dichtet, vergrößert die Wucht der darin waltenden Traurigkeit. Gegen Ende des schmalen Gedichtbandes, dessen deutsche Übertragung durch Jo Lendle an nur wenigen Stellen nicht überzeugt, hört man sie dann auch: die verletzte Kinderseele, die noch immer fünf Jahre alt ist und den "Kampf zwischen Vertrauen und Misstrauen" nur zu beantworten weiß in einer Geste der nach Zuwendung schreienden Aggression:
"Am Ende werde ich alles zerstören / ich hoffe du kannst etwas damit anfangen".
Wenn diese Gedichte porträtartig das Lebensgefühl einer ganzen Generation einfangen, kann einem also froh und bang ums Herz zugleich werden.

Mira Gonzalez: Ich werde niemals schön genug sein, um mit dir schön sein zu können
Aus dem Englischen von Jo Lendle
Hanser Verlag, München 2015
105 Seiten, 16,90 Euro

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