Minnesang und DDR

Von Carola Wiemers · 12.07.2010
Die mehrfach ausgezeichnete Schriftstellerin Irmtraud Morgner verbindet in ihren Werken Epochen der Zeitgeschichte, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben. Minnesang und DDR, Studentenrevolte und Dornröschen-Motive. Grenzen waren für die 1990 verstorbene Literatin ein Fremdwort.
Walter Jens nannte sie eine "Tausendsassa", Alice Schwarzer sah in ihr einen "weiblichen Querkopf" und für Kerstin Hensel war sie eine "geniale Ketzerin", deren Ruhm ein ausschließlich literarischer ist.

Das literarische Werk Irmtraud Morgners (1933-1990) ist überschaubar, doch sie hat damit neue literarische Maßstäbe gesetzt. Neben den frühen Romanen "Rumba auf einen Herbst" (posthum 1992) und "Die wundersamen Reisen Gustavs des Weltfahrers" (1972) sowie einigen Erzählungen, die zum großen Teil in die Romane integriert wurden, entwickelte sie mit ihrem "Salman"-Projekt eine epische Großform, die einzigartig ist. Als Roman-Trilogie konzipiert, konnten nur Teil Eins ("Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura", 1974) und Zwei ("Amanda. Ein Hexenroman", 1983) realisiert werden, da die Autorin 1990 einem Krebsleiden erlag.

Der dritte Teil wurde aus dem umfangreichen Nachlass von Rudolf Bussmann rekonstruiert und erschien 1998 unter dem Titel "Das heroische Testament" als ein "Roman in Fragmenten" bei Luchterhand. Denn das einst im Aufbau-Verlag (Ost) publizierte Werk war auf Wunsch der Autorin 1990 vom Luchterhand Literaturverlag übernommen worden. Da der Verlag ihre Bücher zur Jahrtausendwende aus ökonomischen Gründen aus dem Programm nahm, ist es zu begrüßen, dass der erste Teil der "Salman"-Trilogie nun nach Jahren der Abstinenz wieder verfügbar ist.

Im Mittelpunkt des Romans "Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz" steht eine aparte Figur. Beatriz de Dia ist eine provenzalische Minnesängerin (Troubadourin), die – da ihre Kanzonen im 12. Jahrhundert unerwidert verhallten - enttäuscht der mittelalterlichen Männerwelt entflohen ist. Von der Göttin Persephone in einen 808-jährigen Schlaf versetzt, wacht sie 1968 auf und gerät in die Pariser Studentenrevolte. Erneut erfährt sie allerorten Gewalt und Verachtung, bis sie hört, dass das Leben einer Frau als ganzer Mensch im "gelobten Land" DDR gewährleistet sein soll. Beatriz macht sich auf und begegnet dort einer gewissen Laura Salman. Laura ist allein erziehende Mutter, Germanistin und arbeitet als S-Bahn-Triebwagenführerin. Beatriz ist von ihr begeistert und ernennt sie zu ihrer "Spielfrau". Was Beatriz an der Seite Lauras erlebt ist in "dreizehn Büchern und sieben Intermezzos" (dieser wichtige Untertitel fehlt in der neuen Ausgabe) festgehalten. Phantasievoll und mit reichlich Humor werden die Alltagsprobleme im "gelobten Land" mit mythischen Exkursen, Zeitdokumenten sowie Versatzstücken aus Sagen, Märchen und Liedern zu einem bunten Erzählteppich verwoben. Es entsteht eine operative Montagetechnik, mit der Morgner nicht nur auf die politischen Bewegungen der Zeit reagiert, sondern auch die Geschichte der weiblichen Hälfte der Menschheit ins Zentrum setzt. Die Hoffnung, dass der "Scheißkrieg zwischen den Geschlechtern" in historisch absehbarer Zeit aufhören muss, ist der Romanstruktur als sehnsuchtsvolle Utopie eingeschrieben. Denn, so Morgner, die "Utopie Mensch muss entziffert werden" und "wenn ich schreibe, dann erinnere ich mich dieses Entwurfs".

Besprochen von Carola Wiemers

Irmtraud Morgner: "Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura", Roman, Luchterhand Literaturverlag, München 2010, 681 Seiten, 12 Euro