"Mindestlöhne kosten Arbeitsplätze"

Moderation: Hanns Ostermann · 19.01.2007
FDP-Generalsekretär Dirk Niebel hat vor einer Einführung von Mindestlöhnen gewarnt. Es sei falsch, in den 27 EU-Ländern alles einheitlich regeln zu wollen, sagte Niebel. Man könne die Arbeitsmärkte von Rumänien und Deutschland nicht gleichsetzen.
Ostermann: Auch wenn es heute wahrscheinlich nur wenige oder keine handfesten Ergebnisse beim Treffen der europäischen Arbeits- und Sozialminister gibt, die Themen dürften die rund 220 Millionen Beschäftigten in Europa schon interessieren. Es ging und geht um "gute Arbeit". Aber was sind gute Arbeitsbedingungen? Brauchen wir eine gemeinsame Arbeitszeitrichtlinie, gemeinsame Regeln für die Arbeitswelt? Wir wollen darüber im Deutschlandradio Kultur mit Dirk Niebel sprechen, dem Generalsekretär der FDP und ihrem arbeitsmarktpolitischen Sprecher. Guten Morgen, Herr Niebel!

Niebel: Guten Morgen!

Ostermann: Berlin strebt eher Spielräume an für die Mitgliedstaaten, wenn man so will also, eine lange Leine. Halten Sie das für richtig?

Niebel: Es wäre völlig falsch, bei 27 sehr unterschiedlich strukturierten Nationen innerhalb der Europäischen Union alles gleich regeln zu wollen. Die Lebensbedingungen, die Arbeitsbedingungen, aber auch die Mentalität in diesen 27 verschiedenen Staaten ist doch so unterschiedlich, dass man eine einheitliche Regelung mit Sicherheit nicht durchsetzen könnte.

Ostermann: Also steht da die FDP an der Seite des deutschen Bundesarbeitsministers, so häufig haben wir das ja auch nicht.

Niebel: Was die Flexibilität untereinander anbetrifft, ja. Wenn man mehr ins Detail guckt, befürchte ich, dass es einige Unterschiede zu finden gibt.

Ostermann: Brauchen wir nicht trotzdem Mindeststandards in der Arbeitswelt, Mindeststandards, die für alle europäischen Mitgliedstaaten gelten?

Niebel: Die haben wir schon. Es gibt innerhalb Europas Mindeststandards, die in erster Linie durch die europäische Menschenrechtskonvention gewährleistet sind, so dass Ausbeutung, Zwangsarbeit und Ähnliches zum Glück in unserer Region nicht mehr möglich ist. Es gibt genügend Regionen in der Welt, wo das das Problem ist, das die Menschen noch haben, wo unter unerträglichen gesundheitlichen Rahmenbedingungen Menschen schlichtweg ausgebeutet werden. Das ist zum Glück schon seit vielen Jahren in Europa nicht mehr (…) nicht mehr aktuell, und was ansonsten eine Angleichung anbetrifft, muss ich sagen, da müssen Sie auch immer die unterschiedlichen Lebensbedingungen, die unterschiedliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sehen. Wir werden den Arbeitsmarkt von Rumänien mit dem Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland nicht gleichschalten können, das wird schlichtweg nicht funktionieren, und Politik ist ja dann immer noch die Kunst des Machbaren.

Ostermann: Aber Sie werden mir zustimmen, auch in Rumänien darf Kinderarbeit beispielsweise nicht geleistet werden?

Niebel: Selbstverständlich. Kinderarbeit soll weltweit geächtet werden, obwohl ich weiß, dass viele Familien davon abhängen, dass Kinder überhaupt irgendetwas zum Unterhalt der Familie beitragen. Hier ist es notwendig über Bildungschancen zu schaffen, dass hinterher Teilhabemöglichkeiten im gesellschaftlichen Leben sind. Ein Land innerhalb der Europäischen Union, das Kinderarbeit zulassen würde, würde nicht unseren Werten und Normen entsprechen.

Ostermann: Herr Niebel, gehört zu guter Arbeit nicht auch, dass sie entsprechend honoriert wird, dass man davon leben kann? Mit anderen Worten: Brauchen wir nicht Mindestlöhne?

Niebel: Mindestlöhne, wie sie jetzt diskutiert werden, auch gerade von Seiten des Bundesarbeitsministers, vernichten reguläre Arbeit in Deutschland. Mindestlöhne kosten Arbeitsplätze, zumindest im Inland oder aber in der legalen Wirtschaft, weil, wenn der Mindestlohn zu niedrig ist, wirkt er nicht, und wenn er zu hoch ist, dann wird der Arbeitsplatz entweder ins Ausland verlagert, wegrationalisiert oder geht in die Schwarzarbeit. Es klingt gut, ich verstehe das sehr, wenn man sagt, wer arbeitet, muss davon auch leben können, das ist auch mein Wunsch. Auf der anderen Seite, ein Arbeitsplatz wird immer nur dann angeboten, wenn er mindestens mal die Kosten einspielt. Das bedeutet, die Kosten des Arbeitsplatzes dürfen nicht oberhalb der Produktivität dieses Arbeitsplatzes liegen, ansonsten wird er nicht angeboten, und wenn wir über gute Arbeit reden, dann muss man sagen, gute Arbeit besteht unter anderem doch darin, eine Chance zu kriegen, überhaupt arbeiten zu dürfen. Das ist der erste Schritt, und dann ist das Entscheidende, worum sich auch die Frage von Einkommensmöglichkeiten dreht, die Frage der Qualifikation, also eine Bildungsfrage in erster Linie.

Ostermann: Ganz sicher, und trotzdem, Sie haben das Beispiel gerade genannt, wenn jemand 3,18 Euro verdient, dann muss doch etwas passieren.

Niebel: Wir halten, wie gesagt, bei Mindestlöhnen, wenn sie mehr Kosten als die Produktivität eines Arbeitsplatzes mit sich bringen, Arbeit vernichten, das für den falschen Weg. Wir haben als Liberale ein Bürgergeldkonzept vor vielen Jahren vorgestellt, ein System der negativen Einkommenssteuer. Das ähnelt dem, was die SPD jetzt andeutet, geht allerdings in wesentlichen Punkten doch viel weiter, denn die SPD schlägt ja nur vor, in schlecht bezahlten Tätigkeiten die Sozialversicherungsbeiträge durch den Staat zu finanzieren, also eine Steuerfinanzierung der Sozialversicherung. Unser Bürgergeldkonzept sieht vor, diese vielen steuerfinanzierten Transferleistungen, die wir heute haben, ungefähr 150, 153 an der Zahl, die von 44 verschiedenen Behörden verwaltet werden, zusammenzufassen, denn dieses Geld ist vorhanden, damit Menschen, die zu wenig Einkommen haben, ein Existenz sicherndes und würdevolles Leben führen können, und bei 153 Transferleistungen, die 44 Behörden verwalten, muss man sagen, derjenige, der da noch durchblickt, ist clever genug, um die Hilfe nicht zu benötigen, aber der, der die Hilfe braucht, der blickt nicht durch. Und in diesem System einer negativen Einkommenssteuer, wo jemand produktivitätsorientiert entlohnt wird für seiner Hände Arbeit und dann im Steuersystem einen Ausgleich bekommen, ohne dass es diese Mitnahmeeffekte, die es normalerweise gibt, wenn Sie einen Arbeitsplatz oder einen Arbeitgeber subventionieren, das halten wir für den richtigen Weg.

Ostermann: Nur ist das ja im Augenblick nicht durchsetzbar, was Sie da vorhaben, und heißt das, dass Sie der Arbeitsmarktpolitik jetzt der Großen Koalition insgesamt ein schlechtes Zeugnis ausstellen?

Niebel: Das eine würde ich von dem anderen trennen. Was die Durchsetzbarkeit anbetrifft, stelle ich mit großer Freude fest, dass immer mehr Politiker auch anderer Parteien in diese Richtung vom Grundsatz her denken, nicht in den Details, da sind wir sehr verschieden. Ich habe gesagt, die SPD spricht von einer negativen Einkommenssteuer, obwohl sie eigentlich eine Umfinanzierung der Sozialversicherungsbeiträge hin zum Steuersystem vorschlägt. Herr Althaus hat mal gesprochen von einem, er nannte es auch Bürgergeld, aber anders als unseres in der Ausgestaltung, ein leistungsloses Grundeinkommen im Prinzip, wie es auch die Grünen fordern, das jedem zusteht. Also von der Tendenz her hat jeder erkannt, man kann nicht für einen Arbeitsplatz so viel Geld zahlen, dass man davon gut leben kann, wenn dieses Geld nicht erwirtschaftet wird. Auf der anderen Seite müssen diejenigen, die arbeiten, mehr Geld übrig haben als die, die nicht arbeiten. Deswegen ist es ein sehr cleverer Weg, die Mittel, die wir heute ohnehin schon für Transferleistungen zur Verfügung stellen, so zu verteilen, dass sie denjenigen nützen, die bereit sind, eine Leistung zu erbringen und dazu in der Lage sind, auch selbst wenn es eine schlecht bezahlte Arbeit ist.

Ostermann: Lassen Sie uns am Ende über ein anderes Ende sprechen, das des bayrischen Ministerpräsidenten. Hatten Sie mit einem so schnellen Ende gerechnet?

Niebel: Ich fand eher, dass es ein tragisch langer "Tod" gewesen ist, ein "politischer Tod". Es ist tatsächlich so, dass das Schauspiel, das aus Bayern geliefert worden ist von der Führung der CSU, so muss man das sagen, erbärmlich gewesen ist, dass es die Wählerinnen und Wähler der CSU genauso wie die Mitglieder dieser Partei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit maßlos abschreckt vom politischen Handeln, und was man da erkennen konnte, ist ein klassisches Negativbeispiel, wie man am Amt kleben kann und wie man Politik den Menschen verleiden kann.