Milo Raus Kongo-Tribunal

Ein symbolisches Verfahren

Der Schweizer Theatermacher Milo Rau im Oktober 2012 vor einer Lesung von "Breiviks Erklärung" in Weimar
Milo Rau, Theatermacher aus der Schweiz © dpa / Michael Reichel
Von Simone Schlindwein  · 31.05.2015
Es ist zwar "nur" gedacht als Kunstprojekt, trotzdem sagen in Milo Raus "Kongo-Tribunal" echte Augenzeugen aus und verhandeln echte Juristen über reale Massaker. Am Wochenende wurde das "Kongo-Tribunal" erstmals in der Demokratischen Republik Kongo aufgeführt.
Als die Richter eintreten, stehen die Zuschauer auf, wie bei einem Gerichtsverfahren. Der große Saal in der Universität in Bukavu im Osten der Demokratischen Republik Kongo ist bis auf den letzten Platz besetzt. Regierungsvertreter, Oppositionelle, Vertreter der Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisationen sind gekommen. An diesem Wochenende verwandelte sich die Bühne der Aula in einen Gerichtssaal. Auf der Anklagebank: Die internationalen Konzerne, die die Rohstoffe des Kongo ausbeuten – und damit für den 20-jährigen Konflikt mit verantwortlich sind.
"Sie wissen, es ist ein fiktives und symbolisches Tribunal."
Einmaliges Kunstprojekt
Der Schweizer Theater- und Filmemacher Milo Rau erklärt in seiner Eröffnungsrede die Idee dieses einmaligen Kunstprojekts: Ein fiktives und symbolisches Verfahren, in welchem zum ersten Mal in der Geschichte die Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Kongo vor einem Gericht verhandelt werden.
Milo Rau: "Wir bekommen dauernd Beweismaterial zugestellt von allen Seiten der kongolesischen Gesellschaft. Die Kongolesen nehmen das Tribunal also ernst. Die Künstlichkeit besteht darin, dass wir Künstler eben entschieden haben, dass es stattfinden soll zusammen mit Juristen. Das ist also ein Zwischenbereich. Die Künstlichkeit ist schön, weil viele unserer Teilnehmer auch in der Realität versuchen, ein solches Tribunal zu machen. Als Juristen und Aktivisten oder auch als Bürger. Hier im Kongo muss man ja nicht suchen nach Verbrechen oder der Tatsache, dass es keine Gerechtigkeit gibt."
Stimmen wurde verstellt
In zwei Tagen wurden vier konkrete Verbrechen verhandelt: Die zwanghafte Vertreibung der lokalen Bevölkerung aus einem Minengebiet durch internationale Firmen – oft gar ohne Entschädigung. Ein Massaker unweit von Bukavu im Juni 2014, das von Kongos Armee und UN-Blauhelmen nicht verhindert wurde, obwohl sie informiert waren. Dutzende von Zeugen sagten aus. Einige mussten zu ihrem Schutz vermummt auftreten. Ihre Stimme wurde verstellt, um sie nicht zu gefährden.
"Ruhe, ich habe dem Publikum keine Redeerlaubnis erteilt"
Der oberste Richter ermahnt. Jean-Louis Gilissen hat als belgischer Anwalt zahlreichen Menschenrechtsverbrechen in Afrika behandelt. In diesem Theatersaal spielt er halb Theater, halb einen Lehrer, der zur Ordnung aufruft. Im Publikum sitzen hohe Vertreter des Staates und der Armee. Auch sie werden in den Zeugenstand gerufen, erhalten genauso viel Redezeit – genau fünf Minuten – wie die arme Bäuerin, die ihrem Acker und ihrem Haus beraubt wurde, weil im Boden Mineralien gefunden wurden.
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In diesem Theatersaal spielte Milo Raus "Kongo-Tribunal".© IIPM
Die Fälle sind real
Zum ersten Mal sind alle Menschen im Saal gleich. Eine Seltenheit im Kongo, sagt Frauenrechtlerin Solange Lwashiga:
"Für mich ist dieses Tribunal ein Raum in welchem sich endlich einmal die Bürger, die einfachen Leute, äußern können. Die Themen und Fragen, die hier aufgegriffen werden, sind für uns einfache Kongolesen sehr bedeutend. Doch wir haben nirgendwo einen Raum, in welchem wir uns dazu äußern können. In diesem Theatersaal findet zum ersten Mal eine Debatte statt – und wir einfachen Menschen können die Autoritäten zum ersten Mal sagen: 'Wartet, was ihr da oben entscheidet – das betrifft uns hier in unseren Dörfern.' Ich bin überzeugt, wenn man eine Umfrage im Publikum machen würde, würde die Mehrheit sagen: 'Die Fragen und Fälle sind real – schade, dass das Gerichtsverfahren nur eine Fiktion ist.' Dennoch hat das Projekt einen positiven Effekt für uns: Wir können den Autoritäten zum ersten Mal ins Gesicht sagen: 'Wir wissen was ihr tut, wir beobachten euch und eure Machenschaften sehr genau, wir wissen was ihr tut!'."
Ende Juni wird das Tribunal in Berlin fortgesetzt – in derjenigen Stadt, in welcher 1884 die Grenzen Afrikas am Reißbrett gezogen wurden. In Berlin wird die Frage verhandelt, welche Verantwortung die Weltgemeinschaft und die internationalen Firmen haben, die von den Rohstoffen im Kongo profitieren.
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