Militäreinsätze

Mehr Selbstbewusstsein in Sicherheitsfragen

Der SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels
Militäreinsätze sollte es als "Ultima Ratio" geben, sagt Hans-Peter Bartels. © dpa / picture alliance / Stephanie Pilick
Hans-Peter Bartels im Gespräch mit Nana Brink · 26.02.2014
Bislang habe Deutschland in Bezug auf Militäreinsätze zögerlich reagiert und die Entscheidungen der anderen NATO-Partner abgewartet. "So muss man nicht auftreten als zweitgrößtes Land in der NATO", sagt Hans-Peter Bartels (SPD).
Nana Brink: Genau betrachtet, ist es schon eine kleine Sensation: Bundespräsident, Außenminister und Verteidigungsministerin haben unisono gefordert, Deutschland muss sich sicherheitspolitisch mehr engagieren. Wir müssen Verantwortung übernehmen, erklärte Außenminister Steinmeier erst wieder Anfang dieser Woche. Eine Große Koalition für mehr Militäreinsätze? Die Mehrheit der Deutschen lehnt das ab. Das Ausland, gerade die Amerikaner, aber auch die Franzosen und Briten sähen es nur zu gerne, wenn sich Deutschland mehr engagieren würde wie zum Beispiel jetzt in Mali, wo die Bundeswehr die dortige Armee in ihrer Ausbildung unterstützt.
Momentan beraten in Brüssel die NATO-Verteidigungsminister über den Einsatz ausländischer Truppen in Afghanistan nach dem offiziellen Abzugsdatum Ende dieses Jahres, und auch die Deutschen werden gefragt, vor allem als Ausbilder. Hans Peter Bartels, SPD-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Verteidigungsausschusses. Schönen guten Morgen, Herr Bartels!
Hans-Peter Bartels: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Ob es diese Mission in Afghanistan geben wird, ist ja noch unklar. Die USA prüfen gerade einen Totalabzug. Da hätten die Deutschen ja Glück gehabt - keiner möchte Soldaten von ihnen.
Bartels: Na ja, ob das ein Glück für Afghanistan wäre, ist die andere Frage. Wir haben eigentlich nicht vor, Afghanistan nach diesem langen Einsatz seit 2001 nun im Stich zu lassen, sondern rechnen schon damit, dass es eine Folgemission geben wird. Aber Präsident Karsai hat bisher das dafür nötige Truppenstatut nicht unterzeichnen wollen. Vielleicht wird das dann auch erst sein Nachfolger tun.
Brink: Also, dieser Einsatz scheint ja unstreitig zu sein. In der Vergangenheit sind ja deutsche Regierungen immer abwartend bis ablehnend aufgetreten, wenn es um internationale Militäreinsätze ging, Stichwort Libyen. Wird sich das jetzt ändern?
Bartels: Ja, ich hoffe, dass wir etwas ehrlicher uns machen und nicht erst immer so tun, als ob wir mit den Bündnissen, in denen wir Mitglied sind, so gar nichts zu schaffen haben. Als ob da in Brüssel die NATO oder die EU irgendetwas berät und uns dann Bescheid sagt, was dabei rauskommt.
Wir sind von allem Anfang an dabei und müssen selbst eine deutsche Position einbringen in solche Beratungen über Einsätze von Militär. Das ist nicht die Frage, die sich erst am Ende stellt, sondern das ist etwas, wozu Deutschland von vornherein eine Position haben kann.
"So muss man nicht auftreten als größtes Land in der EU"
Brink: Also ist Deutschland vorher nicht selbstbewusst aufgetreten?
Bartels: Nein, das hat sich ja manchmal ganz anders angehört: Wir wissen noch nicht, was die NATO beschließt, wir warten erst mal ab, was die EU will; wir kennen noch nicht das UN-Mandat - so muss man nicht auftreten als größtes Land in der EU und als zweitgrößtes Land in der NATO, sondern man muss selber etwas wollen, selbst die Politik dieser Bündnisse mit formulieren wollen. Das ist, glaube ich, die Initiative von Steinmeier, von der Leyen.
Brink: Die auch keine militärischen Einsätze per se ausschließt?
Bartels: Das kann auch - dabei kann es auch um militärische Einsätze gehen. Aber wir sehen zum Beispiel in der vergangenen Woche das Engagement von Außenminister Steinmeier in der Ukraine mit seinen französischen und polnischen Amtskollegen. Das hatte mit Militär gar nichts zu tun, war aber wirklich selbstbewusst und nicht abwartend, sondern zum richtigen Zeitpunkt mit diplomatischen Mitteln eingreifen.
Brink: Steinmeier, weil Sie ihn gerade erwähnt haben, sagt ja auch, Deutschland sollte eine sichtbare und selbstbewusste Rolle spielen, wenn es um Friedensfragen in Europa geht. Was heißt denn das konkret? Gibt es da eine rote Linie, zum Beispiel für Militäreinsätze?
Bartels: Na ja, das heißt konkret eben genau das, was letzte Woche passiert ist in Kiew, also sich einmischen, wenn es zum Nutzen des Friedens in Europa sein kann. Aber Militäreinsätze können als Ultima Ratio dazu kommen oder, wie in Mali, gar nicht Ultima Ratio sein, sondern eine stabilisierende, eine unterstützende Funktion haben.
Wir sind da ja nicht, um die Sicherheitsverantwortung für ein ganzes Land mit der Europäischen Union zu übernehmen, sondern wir sind da mit einigen Hundert Ausbildern aus mehreren europäischen Ländern, die dafür sorgen, dass es überhaupt eine malische Armee wieder gibt. Die war ja auseinandergelaufen nach dem Militärputsch vor eineinhalb Jahren.
Brink: Kann es dann sein, dass Sie ein Vermittlungsproblem haben? Weil Sie gerade Mali ansprechen. Dort geht es zwar um einen Militäreinsatz im Sinne von "wir schicken Soldaten, aber es sind Ausbilder", und keine Kampfmissionen.
Bartels: Ja, das kann schon sein, dass da Dinge manchmal durcheinander gehen. Es ist nicht so, dass jetzt in Afghanistan das Engagement kleiner wird und dafür in Afrika größer. Afrika hat ganz unterschiedliche Probleme, aber die Staaten, in denen sich im Moment EU oder UNO in Afrika engagieren, sind nicht Staaten, wo man die Sicherheitsverantwortung komplett übernimmt, sondern wo man Unterstützungsleistungen für andere - sei es die nationale Armee, sei es auch ein Bündnis - übernimmt, also die Afrikanische Union selbst kann in Afrika Sicherheitsverantwortung übernehmen, nicht die EU.
Brink: Also wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, dann ist die neue Linie: Wir haben den ganzen Instrumentenkoffer. Das sind also Friedensbemühungen, aber letztendlich auch militärische Einsätze. Die Mehrheit der Bevölkerung aber scheint diesen Schritt noch nicht gegangen zu sein - die ganz überwiegende Mehrheit.
Bartels: Ach, wenn man konkret fragt, dann immer schon. Also, wenn Sie fragen, ob der Einsatz deutscher Soldaten im Ausland also für das Ansehen Deutschlands gut oder schlecht ist, dann haben Sie eine deutliche Mehrheit, die sagt, doch, das ist gut.
Brink: Aber in Afghanistan - pardon, wenn ich Sie unterbreche - war das ganz anders. Die Mehrheit der Deutschen lehnt diesen Einsatz ab.
Bundeswehrsoldaten in Kundus
Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan© dpa / picture-alliance / Michael Kappeler
Bartels: Ja - also, wie gesagt, das hängt manchmal sehr davon ab, wie gefragt wird. Wir hatten auch schon Umfragen, wo es darum ging, sollen deutsche Soldaten in Afghanistan kämpfen, wenn Terroristen sonst die Oberhand gewinnen würden, dann haben Sie plötzlich die Mehrheit, die sagt, ja, das muss man dann wohl tun.
Was ich richtig finde, ist, dass wir in Deutschland eine sehr zurückhaltende Einstellung in der Bevölkerung und auch in der Politik gegenüber dem Einsatz von Militär haben. Wir machen uns das nicht leicht. Es gibt hier keinen Hurra-Patriotismus, sondern das ist ein Mittel, nicht das bevorzugte Mittel deutscher Außenpolitik.
"Auch erklären, warum wir das tun"
Brink: Aber Sie sagen ja selbst, es gibt ein Desinteresse – man kann es auch Zurückhaltung formulieren – der Deutschen an Sicherheitspolitik. Wie muss dann die Politik die Menschen überzeugen? Wie kriegen Sie das hin?
Bartels: Ja, eben genau, indem man nicht so verschämt, wie das in der Vergangenheit gelegentlich der Fall gewesen ist, erst so tut, als ob man sich nicht beteiligen wolle, und am Ende dann eben doch Beiträge leistet. Dann kann man auch schwerer erklären, warum man das tut.
Sondern wenn man sieht, es muss von einem Bündnis, EU, NATO, UNO ein Einsatz auch mit militärischen Mitteln geführt werden und wir wollen uns daran beteiligen, dann sollten wir auch erklären, warum wir das tun. Und dafür gibt es natürlich immer gute Gründe, sonst darf man es nicht tun. Das können unterschiedliche Gründe sein.
Vor der Küste des Libanon, die UNO-Mission, die maritime UNO-Mission zur Sicherung der Küste des Libanon und Ablösung der israelischen Seeblockade, war ein Schritt, der dort wieder neues Vertrauen geschaffen hat, der dort eine hochgefährliche Konfrontation aufgelöst hat. Das ist nicht spektakulär, da guckt heute niemand mehr hin, aber es ist ein Einsatz, an dem wir uns seit einigen Jahren ganz selbstverständlich und erfolgreich beteiligen.
Brink: Hans-Peter Bartels, der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag. Schönen Dank, Herr Bartels, für das Gespräch!
Bartels: Ja, sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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