Milchpreis

Warum die Bauern keinen Grund zum Jammern haben

Eine Kuh schaut in einem Stall hinter vier mit Milch gefüllten Flaschen hervor.
Eine Kuh schaut in einem Stall hinter vier mit Milch gefüllten Flaschen hervor. © Karl-Josef Hildenbrand, dpa picture-alliance
Von Udo Pollmer · 24.06.2016
Der Milchpreis ist abgestürzt und viele Bauern fürchten um ihre Existenz. Sie fordern mehr Geld. Dabei tragen sie selbst einen Teil der Schuld, meint Kolumnist Udo Pollmer.
"Vor siebenköpfigen Drachen fürchte dich nicht, aber fürchte dich vor Heuchlern", so lautet eine persische Weisheit. Sie passt perfekt auf die rührende Seifenoper, die dem Publikum als "Milchkrise" vorgespielt wird. Was denn sonst als Heuchelei ist es, wenn die Milch erst in gut orchestrierten Kampagnen als Gefahr für Leib und Leben gebrandmarkt wird, sie mache Kinder krank, sie erhöhe "das Krebs- und Sterberisiko". Kaum spricht sich jedoch herum, dass viele Landwirte ihre Ställe für immer schließen müssen, kullern bei den Kritikern die Krokodilstränen ob des herben Verlustes.
Mit der Milchkrise haben jene ihr Herz für die Rinderhalter entdeckt, die noch bis vor kurzem die Landwirte als Tierquäler denunziert haben, sie haben sie als Klimavergifter geschmäht, weil ihr Vieh Methan ausatmet und als Wasserverschmutzer, weil dieses neben Milch auch noch Naturdünger erzeugt. Angesichts der politischen Entwicklung wurden die Kampagnen um 180° gedreht, nun sind sie voll des Mitleids für die Bauern, die, wie es heißt, zu wenig Geld für ihre wunderbare und gesunde Milch bekommen.
Der Verbraucher soll gefälligst mehr bezahlen. Doch warum greift der seltener zur teureren Milch? Weil er da nicht unbedingt eine bessere Milch bekommt, sondern die Werbung bezahlen darf.
Milchbauern kaufen selbst gern die billigste Milch im Discounter - die sogenannte "Faire Milch" ist für die anderen. Ihre Rohmilch liefern sie – falls sie noch die Wahl haben – an die Molkerei, die ihnen mehr Milchgeld bietet. Kaufen sie Futter für ihr Vieh, dann kann es vielen nicht billig genug sein.
Futtermittelhändler können über die Phrase vom "gerechten Preis" nur müde lächeln. Ein solches Geschäftsgebaren ist normal, aber dies dem Kunden an der Käsetheke vorzuhalten, ist dreist.

Fallende Weltmarktpreise sind verantwortlich

Ursache des Preisverfalls ist ja nicht ein geiziger Kundenstamm, sondern fallende Weltmarktpreise, ausgelöst durch die Handelsembargos zwischen der EU und Russland. Russland war früher ein wichtiger Exportmarkt. Der fällt jetzt weg, die Milchflut muss in anderen Kanälen versickern.
Und was machen die Russen? Sie versuchen die Produktion im eigenen Land aufzubauen, mit Milliardeninvestitionen aus Asien. Das gibt dann noch mehr Milch. Wer einen Wirtschaftskrieg anfängt, muss mit Folgen rechnen. Die Politik wäscht ihre Hände in Unschuld und verweist auf die Eigendynamik des Weltmarktes, auf die man keinen Einfluss habe.
Die Landwirte fordern deshalb von der Regierung eine Drosselung der Produktion. Doch die Produktion hatten die Landwirte nach dem Ende der Milchquote aus freien Stücken hochgefahren – weil die Milch vor dem Embargo für fast 40 Cent pro Liter wegging.
Der Ölpreisverfall senkt nun die Milchpulver-Exporte in Öl-Exportländer. Nun sinkt auch noch die Nachfrage in China. Indien stieg derweil zum größten Milcherzeuger weltweit auf. Und nun soll der deutsche Staat, so der Wunsch der Bauern, die eigenen Kollegen zu wirtschaftlicher Vernunft zwingen? Glaubt man wirklich, dass weniger Milch aus Deutschland den Weltmarkt wieder auf Kurs bringt?

Wirtschaftsfachleute entscheiden, nicht Funktionäre

Auf dem Inlandsmarkt gibt es mehr Optionen. Das zeigen unsere Hähnchenmäster. Sie produzieren in voll integrierten Ketten nach dem Vorbild der holländischen Landwirtschaft. Sinkt die Nachfrage, bleibt ein Teil der Ställe ungenutzt. Die Entscheidungen treffen Wirtschaftsfachleute und keine Agrarfunktionäre. Seither verdienen die Hähnchenmäster gutes Geld.
Natürlich ist der Produktionszyklus von Hähnchen kürzer als der von Milch, weil Rinder erst mal kalben müssen, bevor sie Milch geben. Aber es gelten die gleichen Marktgesetze.
Es genügt halt nicht, Milch zu produzieren und dann zu jammern und Subventionen zu fordern. Wer duldet, dass im eigenen Land fragwürdige Sojamilch als "gesunde Alternative" zur Milch beworben wird, wer tatenlos zusieht, wenn ökologisch zweifelhaftes Tofu dem Käse Marktanteile abjagt, der braucht sich nicht beschweren, wenn’s bergab geht.
Mit dem Imageverlust geht das Vertrauen verloren und damit auch der Preis in den Keller. Mahlzeit!
Literatur
Heinrich Friedrich von Diez: Buch des Kabus oder Lehren des persischen Königs Kjekjawus für seinen Sohn Ghilan Schach. Ein Werk für alle Zeitalter aus dem Türkisch-Persisch-Arabischen übersetzt und durch Abhandlungen und Anmerkungen erläutert. Berlin, Nicolaische Buchhandlung, 1811
Anon: Milch verursacht Krankheiten. Zentrum der Gesundheit Online 22. Januar 2016
Keckl G: Rein oder Raus aus der Milch? Klargelegt, dlz 26. Mai 2016
Witsch K: Die Schuldfrage im Kampf um die Milch. Wirtschaftswoche 19. Mai 2016
Bauer Willi: Liebe Milchbauern, was für eine Milch soll ich kaufen? Blog vom 24. Februar 2016
Anon: Faire Milch läuft nicht. SWR Info, 8. Juni 2016
Grossarth J: Not-Millionen für die Milchbauern. FAZ Online 30. Mai 2016
Liljeheden A: Calls for more EU support for struggling farmers. Euranet Plus News Agency, 17. May 2016
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