Miguel Gomes über Trilogie "1001 Nacht"

Märchenhaftes Portugal

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Eine Szene aus "Der Ruhelose", dem ersten Teil der Trilogie "1001 Nacht" von Miguel Gomes © Real Fiction
Miguel Gomes im Gespräch mit Patrick Wellinski · 30.07.2016
Am Donnerstag kommt der erste Teil von Miguel Gomes' Trilogie "1001 Nacht" in die Kinos. Es ist ein Porträt der heutigen portugiesischen Gesellschaft, das Realität und Fiktion vermischt. Mit dem Film habe er seine Meinung sagen wollen, so Gomes.
Patrick Wellinski: Es ist gar nicht so leicht, sich jetzt von den ganzen Schlagzeilen, die uns so umgeben, etwas freizuschwimmen. Aber vielleicht ist ja gerade jetzt Zeit für Märchen, weil wir mit ihnen die Gegenwart etwas besser begreifen und verstehen können oder zumindest es versuchen können. Wie schön ist da, dass der Portugiese Miguel Gomes jetzt die Märchen aus "1001 Nacht" ins Kino gebracht hat! Aber eben nicht als klassischen Kostüm- oder Märchenfilm, seine Märchen spielen alle im heutigen Portugal.
Der erste Teil der Filmtrilogie "1001 Nacht" heißt der "Der Ruhelose". Teil zwei und drei kommen dann im Abstand von jeweils zwei Wochen in unsere Kinos. Und wenn Sie mal wirklich eine gute Märchenverfilmung sehen wollen, die aus dem Hier und Jetzt erzählt, dann sind Sie bei Miguel Gomes gerade richtig. Ich konnte vor der Sendung mit dem Regisseur sprechen und wollte zunächst von ihm wissen, ob er denn seinen Märchenfilm aus dem krisengebeutelten Portugal auch als eine Art politische Intervention begreift.

"Ich versuche, mich einzumischen"

Miguel Gomes: Ja, sicher mische ich mich ein. Aber es ist ja nur ein Film, ich kann ja mit einem Film nicht die Welt verändern, wenn das noch nicht einmal Politiker können oder wollen. Und ich bin Regisseur und noch dazu ein portugiesischer Regisseur. Aber ja, ich versuche, mich einzumischen, und versuche, die Welt so zu zeigen, wie sie ist. Und ich mache ein Porträt der portugiesischen Gesellschaft und ich hatte nicht Lust, diesmal neutral zu bleiben, sondern wirklich meine Meinung zu sagen. Und mir ging es darum, zwei Welten zu zeigen: Einmal die aktuelle, die Welt, die materielle Welt, in der wir leben, und hinzufügen wollte ich noch eine neue Welt, eine zweite Welt unserer Wünsche, eine Welt, wo die Fantasie eine große Rolle spielt und wo unsere Vorstellungskraft etwas mit uns macht. Und dass es zumindest in unserem Kopf dann auch noch diese zweite Welt geben könnte.
Wellinski: Wie ist das, wenn Sie das so beschreiben: Gab es dann einen konkreten Ursprung, ein Gefühl, eine Wut, eine Trauer über die aktuelle Lage in Portugal, bevor das Projekt begann?
Gomes: Dazu muss ich Ihnen etwas aus meinem Privatleben erzählen. Meine Tochter ist neun Jahre alt und etwa vor vier, fünf Jahren, wie Kinder das so machen, wollte sie, dass ich ihr irgendetwas kaufe, und sagte zu mir: Papa, kauf mir das doch! Und ich weiß nicht mehr, um was es ging, ich habe ihr einfach nur gesagt: Du, äh, ich kaufe dir das jetzt nicht, ich habe das Geld nicht dafür. Und dann sagte mir meine Tochter, und sie war damals fünf Jahre alt: Oh, Papa, ist das wegen der Krise? Und ich war total verblüfft. Denn als ich fünf Jahre alt war, glaube ich, wusste ich noch nicht einmal, dass es das Wort Krise gibt. Und dann kam mir der Gedanke, ich müsste wirklich etwas über die portugiesische Gesellschaft erzählen, aber so, wie man Kindern eine Geschichte erzählt, mit Königen. Und der Film, letztendlich existiert er wohl nur dank meiner Tochter, es ist quasi ihre Schuld, und ich habe ihr den Film auch gewidmet, habe ihr allerdings verboten, sich den Film anzuschauen, denn sie ist noch nicht alt genug dafür und es geht immerhin hier um "1001 Nacht" und da gibt es natürlich auch obszöne Szenen, die einfach ihrem Alter noch nicht entsprechen.

"Eine verrückte Art und Weise, einen Film zu drehen"

Wellinski: Sie haben ja schon gesagt, aber in der Tat sind es ja drei Filme und ich habe in Cannes mit einer Ihrer Produzentinnen gesprochen, die war ja auch zuerst davon überzeugt, es wird ein Film, und dann kam der Anruf von Ihnen und es hieß, nein, "Arabian Nights" muss ein Dreiteiler sein. Können Sie diesen Entstehungsprozess erklären?
Gomes: Na ja, ehrlich gesagt, wir haben von August 2013 bis 2014 gearbeitet und eigentlich auch gedreht und das war in der Zeit, wo ich auch die gesamte Crew um mich herum hatte. Nun war das ein sehr langer Arbeitsprozess und das bedeutet auch nicht, dass wir jeden einzelnen Tag wirklich gedreht haben, aber es waren schon sehr viele Drehtage. Aber ich war mit Journalisten auf Recherche, wir haben gleichzeitig geschrieben, ich musste mit Schauspielern proben, gleichzeitig war ich auch schon im Schnitt und wir mussten Scheherazade losschicken, die etwas über die portugiesische Gesellschaft erzählen sollte. Es ist eigentlich eine verrückte Art und Weise, so einen Film zu drehen, und es ist eigentlich auch sehr ungesund und ich habe mich oft gefragt: Was zum Teufel mache ich da eigentlich gerade?
Aber dann saß ich im Schnitt und habe gesehen, wie all diese Geschichten plötzlich zusammengekommen sind. Und dann dachte ich mir, nun ja, das Buch "1001 Nacht" ist ja ein sehr dickes Buch und bei uns in Portugal besteht es aus drei Teilen. Und so sagte ich mir: Na gut, dann kann ich eigentlich auch drei Filme daraus machen. Und dann wollte ich jedoch, dass sich die Filme unterscheiden. Jeder Film hat ja seine eigene Logik und bezieht sich dann auch auf den Film davor und ich habe dann wirklich versucht, in verschiedenster Herangehensweise diese Filme anzulegen. Das ist eine Reise durch drei Territorien. Nun hat mich der deutsche Verleiher gebeten, den Film doch bitte nicht "Arabische Nächte" zu nennen, wie man das auch im Englischen sagt, "Arabian Nights", sondern hier in Deutschland soll er "1001 Nacht" heißen. Daran muss ich mich immer wieder gewöhnen, dass mein Film jetzt "1001 Nacht" heißt.

Journalisten als Teil der Filmcrew

Wellinski: Sie haben ja schon erwähnt, dass sie Journalisten engagiert haben, die für Sie auch Geschichten aus dem heutigen Portugal herausgesucht haben, quasi als Gegengeschichten zu den Geschichten aus "1001 Nacht". Wie sah das aus, haben Sie schon gedreht und dann kamen die Geschichten zu Ihnen?
Gomes: Nun, das geschah eigentlich alles gleichzeitig. Wir hatten Journalisten, die Teil der Filmcrew waren, und das ist ja ungewöhnlich. Normalerweise haben Journalisten an einem Set ja nichts zu suchen. Und sie waren dann auch wirklich oft ein wenig misstrauisch. Im ersten Teil des Films, vielleicht erinnern Sie sich, da gibt es ja sehr viele Arbeitslose, die ihre Gefühle beschreiben, wie sie sich fühlen, plötzlich keine Arbeit mehr zu haben, und das war beispielsweise die Arbeit der Journalisten, da sehr, sehr viele Interviews zu diesem Thema zu führen.
Und im dritten Teil gibt es diese Begebenheit, wo wir mit Leuten reden, die Vögel fangen, ihnen Fallen stellen, um eine Art Vogelsingwettbewerb, der irgendwie heimisch stattfindet, da mit zu organisieren. Das ist etwas, über das ich auch gar nichts gewusst habe, das ist fast eine Art geheime Welt. Aber auch das ist durch journalistische Recherchen zutage getreten. Und hin und wieder haben Sie vielleicht das Gefühl, dass das, was ich zeige, so künstlich ist, so artifiziell, dass in diesen Segmenten des Films Journalisten nicht mitgearbeitet haben, aber oft war es eigentlich genau das Gegenteil.
Die Realität war oft so absurd, dass wir uns gesagt haben, das glaubt uns kein Mensch, wir müssen das wieder mit ein bisschen Realität beschweren! Beispielsweise diese Szene, wo ein Hahn so laut kräht, dass die Polizei ausgerückt ist, weil sich die Nachbarn beschwert haben. Und das stimmt wirklich, das ist wirklich passiert. Oder die Szene, wo der Richter anfängt zu weinen, auch das basiert auf Realität, weil, in dieser Zeit der Krise in Portugal hat es die absurdesten Verbrechen und die absurdesten Straftagen in Portugal gegeben. Die Leute haben angefangen, Wasserrohre zu klauen, die absurdesten Gegenstände mitgehen zu lassen. Und all das haben wir in diesen zwölf Monaten unserer Arbeit eben mit aufgedeckt und das ist alles in den Film mit eingeflossen.
Wellinski: So weit der erste Teil des Interviews mit dem portugiesischen Regisseur Miguel Gomes, passend zum ersten Teil seiner Trilogie "1001 Nacht". "Der Ruhelose" heißt sie und ist seit Donnerstag bereits in unseren Kinos zu sehen. Die weiteren zwei Teile des Interviews hören Sie dann alle zwei Wochen, wenn der zweite und dritte Teil seines Filmprojekts bei uns in die Kinos kommt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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