Miguel de Unamuno

Aus dem Tempel der Intelligenz

Der spanische Schriftsteller und Philosoph Miguel de Unamuno in einer zeitgenössischen Aufnahme. Zu den wichtigsten Werken des bedeutenden Repräsentanten der "Generation von 98" gehören "Das tragische Lebensgefühl" und "San Manuel der Gute". Miguel de Unamuno wurde am 29. September 1864 in Bilbao geboren und verstarb am 31. Dezember 1936 in Salamanca.
Der spanische Schriftsteller und Philosoph Miguel de Unamuno. © picture-alliance / dpa / EFE
Von Julia Macher · 29.09.2014
Miguel de Unamuno gehört zu den vielfältigsten Geistesgrößen Spaniens. Als Schriftsteller, Dichter, Philosoph und Essayist nahm er teil an den gesellschaftlichen und politischen Debatten des 20. Jahrhunderts. Am 29. September 1864, heute vor 150 Jahren, wurde er in Bilbao geboren.
"Die Menschen müssen lernen, mit den Ohren zu lesen, nicht mit den Augen. Denn das Wort ist lebendig. Ich habe mich immer davor gefürchtet, dass meine Worte in den Büchern sterben, dass sie keine lebendigen Worte sind. Ich habe immer dafür gelebt, die Sprache zum Leben zu erwecken."
Die Ansprache, die Miguel de Unamuno 1931 für eine Tonaufnahme des liberal-fortschrittlichen Madrider Kulturzentrums "Residencia de Estudiantes" improvisiert, ist eine Art Bekenntnis. Für den Schriftsteller, Dichter, Essayisten und Philosophen ist das öffentliche, politische Reden mindestens ebenso wichtig wie das dichterische Ringen um die richtigen Worte. Domingo Ródenas, Hispanist und Unamuno-Verleger:
"Für Miguel de Unamuno ist seine Arbeit als Schriftsteller und Universitätsprofessor untrennbar mit einer politischen Verantwortung für Spanien verknüpft. Er ist zweifellos einer der großen Autoren der europäischen Moderne und ein herausragender Intellektueller, der nicht mit sich verhandeln lässt: Er prangert Ungerechtigkeiten an, auch, wenn das theoretisch seinem Ansehen als Schriftsteller schaden könnte."
Kritik an Feudalismus und Großgrundbesitz
Geboren am 29. September 1864 in Bilbao, gehört der Sohn eines Amerika-Auswanderers zur "Generation von 98", jener Schriftstellergruppe, die nach dem Verlust der letzten Kolonien 1898 eine geistige und gesellschaftliche Erneuerung fordert. Er studiert Philosophie und Geisteswissenschaften, lehrt vergleichende Philologie und Sprachgeschichte und wird mit gerade mal 36 Jahren zum Rektor der Universität von Salamanca ernannt – und wieder abgesetzt, weil er gegen Großgrundbesitz und Feudalismus protestiert.
Seine Kritik an Spaniens korrupter Oligarchie bringt ihm zwei Verfahren wegen Majestätsbeleidigung ein, wegen seiner Polemiken gegen Militärdiktator Primo de Rivera wird er nach Fuerteventura verbannt. Er flieht nach Paris, bleibt aber unter den spanischen Exilanten ein Sonderling. Miguel de Unamuno ist ein unbedingter Individualist.
"Zu den Grundgedanken, die sich durch sein gesamtes Werk ziehen, gehört die Vorstellung vom Willen und der Persönlichkeit des Einzelnen. Für Unamuno wird die Welt von Individuen gestaltet, bestimmt und verändert. Aber nicht von außergewöhnlichen, sondern von ganz normalen Menschen. Darin unterscheidet er sich von Philosophen wie José Ortega y Gasset. Die Welt ist für Unamuno nicht von außen vorgegeben, sondern entsteht in der Vorstellungswelt jedes einzelnen."
Als am 14. April 1931 nach dem Rücktritt Primo de Riveras die Zweite Republik ausgerufen wird, steht der Rückkehrer aus dem Exil in Salamanca zunächst jubelnd auf dem Balkon des Rathauses. Doch das Reformprogramm von Regierungschef Manuel Azaña ist ihm zu hastig, seine Religionspolitik zu rigide.
Entsetzen über die Intellektuellenmorde 1936
Er fürchtet den Untergang des Abendlandes und zeigt Sympathien für die aufständischen Militärs um General Franco – zum Entsetzen seiner Bewunderer inner- und außerhalb Spaniens. Doch Unamunos Hoffnungen auf einen "zivilen Bürgerkrieg" erfüllen sich nicht, er ist zutiefst schockiert über die Intellektuellenmorde im hitzigen Sommer 1936. Als im Oktober während eines universitären Festakts Militärs die nach Unabhängigkeit strebenden Katalanen und Basken des Vaterlandsverrats bezichtigen und den "Tod der Intelligenz" fordern, improvisiert Rektor Miguel de Unamuno eine flammende Entgegnung:
"Dies ist der Tempel der Intelligenz und ihr entweiht diese heiligen Hallen. Venceréis pero no convenceréis: Ihr werdet siegen, aber ihr werdet nicht überzeugen, denn dazu müssten die Vernunft und das Recht auf eurer Seite sein."
Es sollte sein letzter öffentlicher Auftritt werden. Unter wüsten Beleidigungen und Drohungen verlässt Miguel de Unamuno seine Universität und verbringt die Wochen bis zu seinem Tod am 31. Dezember 1936 unter Hausarrest. Der Nachwelt gilt sein Kernsatz "Ihr werden siegen, aber nicht überzeugen" als Vermächtnis – und rehabilitiert seinen Ruf als integre intellektuelle Leitfigur Spaniens.