Migrantenkinder mit Bildungserfolg

Von Panagiotis Kouparanis · 15.11.2005
Unter den Einwanderern in Deutschland sind die Griechen diejenigen, die in der zweiten Generation eine regelrechte Bildungsrevolution erlebt haben. Ihre Kinder gehen statistisch gesehen häufiger aufs Gymnasium als deutsche Kinder, ganz zu schweigen vom Vergleich mit anderen Einwanderergruppen. Woran liegt das?
Das Ergebnis schien von vornherein festzustehen: Migrantenkinder erbringen schlechtere Schulleistungen und sind eher in der Hauptschule als in den Realschulen oder in den Gymnasien zu finden. Das war der Ausgangspunkt für eine Untersuchung, die Prof. Diether Hopf Mitte der 80er Jahre startete. Als Untersuchungsgebiet entschied er sich für West-Berlin, eine Art "Galapagos-Insel" wie er sagt, mit wenig Zu- und Abwanderung. Beim Vergleich der Statistiken über den Schulbesuch ausländischer Kinder seit den sechziger Jahren stellte er Überraschendes fest.

"Als die Griechen einwanderten, so nach den sechziger Jahren, gingen 80 Prozent der Kinder auf eine Hauptschule, nur ganz wenige aufs Gymnasium…Und dann fiel die Kurve sehr steil ab, bis Mitte der 80er Jahre nicht nur 80, sondern 20 Prozent der Griechen auf die Hauptschule gingen, um so mehr auf Realschule und Gymnasium. Interessant war, dass sich bei den jugoslawischen Kindern eine ähnliche Kurve zeigte, ganz ähnlich damals bei den Türken."

Obwohl sich bei den griechischen Kindern diese Tendenz stabilisierte, entwickelte sie sich bei den türkischen Kindern geradezu dramatisch zurück. Um Genaueres zu erfahren, hat Prof. Hopf seine Studien auf die griechischen Schulkinder konzentriert. Dabei musste er schnell erkennen, dass es wenig Sinn macht, über die soziale Lage der Eltern hierzulande einen Grund für die positive Tendenz zu finden: Sie waren überwiegend als ungelernte Arbeitnehmer beschäftigt und gehörten damit den sozial schwachen Schichten an.

Da es aber einen engen Zusammenhang zwischen Schichtzugehörigkeit und Bildungserfolg gibt, mussten die Ursachen für den zunehmenden Erfolg der griechischen Kinder in der Schule woanders gesucht werden. Nämlich in der Einstellung, die diese Migranten aus ihrem Heimatland mitgebracht hatten.

"Das waren Leute, die waren voller Initiative, die waren relativ gut ausgebildet im Vergleich zur griechischen Gesamtbevölkerung, die waren sehr viel weniger Analphabeten im Vergleich zur griechischen Gesamtbevölkerung, sie waren jung, sie waren gesund. Man muss sich erinnern, bis zum Jahr 1973 gab es für die Anwerbung von Gastarbeitern die so genannten deutschen Kommissionen. Die haben auch in Griechenland gearbeitet. Die haben zwei Drittel der griechischen Migranten bis 1973 geprüft und vermittelt. Das ist ein Selektionsfaktor. "

Der galt auch für die türkischen Migranten, die nach Deutschland kamen. Deshalb auch der Erfolg ihrer Kinder in der Schule. Nach dem Anwerbestopp von 1973 habe aber die Einwanderung einen irregulären Charakter bekommen. Nicht Können war jetzt das Kriterium sondern Verwandtschaftsgrad. Negativ ausgewirkt habe sich auch die Tatsache, dass türkische Migranten zu Ghettobildung neigen, während griechische sich schnell in die deutsche Gesellschaft integriert haben.

Eine weitere Besonderheit der griechischen Migranten sei es gewesen, dass sie aus griechischen Flüchtlingsfamilien stammen, die Kleinasien Anfang der zwanziger Jahre verlassen mussten. Es waren meist gut ausgebildete Menschen, die - wenn sie die Möglichkeit gehabt hätten - gleich in die USA oder nach Westeuropa weiter emigriert wären. Diesen Wunsch haben dann ihre Kinder und Enkel vierzig Jahre später wahr gemacht, als sich der deutsche Arbeitsmarkt für griechische Migranten öffnete.

"Wir hatten als Migrationsgruppe zu einem guten Teil initiativreiche, relativ gut ausgebildete Leute, die eine hohe Ausbildungsaspiration hatten, traditionell immer das Beste über die Erziehung zu erreichen versucht hatten, alles investiert haben in die Erziehung ihrer Kinder. Die sind dann aufgebrochen nach Deutschland."

In ihrem Gepäck hatten sie auch ihre positive Einstellung zu Bildung, die sie ihren Kindern vermittelten. Das bestätigt auch Antonía Karamátskou. Die Einser-Abiturientin studiert im ersten Semester Physik an der Berliner Humboldt-Universität.

"Das hängt ganz stark damit zusammen, dass es in Griechenland nur das Gymnasium gibt als höheren Bildungsweg. D.h. dass alle Kinder aufs Gymnasium oder aufs Lyzeum gehen. Wenn man das auf Deutschland überträgt, haben die Eltern natürlich ganz groß den Anspruch und die Erwartung an ihre Kinder, dass sie Abitur machen und danach streben, gut zu sein, um gute Noten zu bekommen, um am Ende ein gutes Abitur zu haben. Das ist der Ansporn für die Kinder, um das durchzuziehen, um auch gute Noten dann am Ende zu bringen. "

Eine weitere Besonderheit bei griechischen Schulkindern ist das ausgeprägt starke Interesse der Eltern, dass ihre Kinder die griechische Sprache erlernen. So auch bei Antonia Karamatskou. Ihr Vater hatte mit anderen Griechen die Initiative ergriffen, damit an ihrer Schule Neugriechisch unterrichtet wird. Bis zur 13. Klasse hatte sie dann vier bis zehn Stunden in der Woche Unterricht in griechischer Sprache, Geschichte und Geographie, nicht selten bis um vier Uhr nachmittags.

"Es war für wichtig, weil bilingual aufgewachsen, wichtig Kultur zu behalten, die griechische Seite der Bildung zu erfahren."