Michael Ben Hanan

Der israelische Radiostar aus Halberstadt

Ein Mikrofon
Mit den Radiosendungen von Michael Ben Hanan startete das Heilige Land in den Tag. © Imago / McPHOTO
Von Sebastian Mantei · 25.09.2015
Die Sportsendungen des Radiomoderators Michael Ben Hanan sind bis heute legendär. Die Wurzeln des Journalisten und Frauenschwarms reichen nach Halberstadt in Sachsen-Anhalt zurück - von wo er 1933 vor den Nazis flüchten musste. Eine Spurensuche.
So klang es seit 1945 jeden Morgen in Radio Jeruschalayim, das später Kol Israel hieß: Mit der Morgengymnastik von Michael Ben Hanan startete das Heilige Land in den Tag. Von 1945 bis 1975 turnte der aus dem deutschen Halberstadt stammende Ben Hanan mit der Nation. Viele ältere Israelis erinnern sich noch an die 30-jährige Sportstunde wie Kitty Pressler aus Ramat Aviv:
"Ich kann mich daran erinnern und zwar ist es eine schon eine ziemlich lange Zeit her. Aber das war wunderbar, man hat das Radio aufgemacht. Diese Stimme, er hatte eine besondere Stimme und eine besondere Musik für diese Sportarten. Und dann hat er gesagt, diesen Sport musst du machen, aber du musst die Schuhe anziehen. Und jeder hat sich gewundert: Woher weiß er dass wir das barfuß machen? Das war immer eine wunderbare halbe Stunde oder wie lange das war und das war fantastisch."
Nach Michael Ben Hanan konnte man die Uhr stellen, erinnert sich Tochter Chaya Weingarten aus Netanya:
"Mein Vater war eine sehr korrekte Person, immer pünktlich. Ich erinnere mich daran, wenn ich meine Uhr stellen wollte. Ich schaute zu ihm, wenn er in diese Richtung ging war es 7 Uhr, in diese Richtung 7.10 Uhr am Morgen. Er war ein sehr optimistischer Mensch, eine sehr fleißige Person. Er machte alles selbst, er hatte keinen, der ihn einkleidete oder seine Texte schrieb."
Auch die Pianisten suchte er persönlich aus. Sie mussten in der Lage sein, zu jeder Übung den richtigen Ton zu treffen.
"Eine dieser Pianistinnen, ist eine Dame, die vor kurzem in London verstorben ist. Sie war 110 Jahre alt. Sie konnte sehr gut kombinieren, zu ihm schauen und dann für die Übung die passende Musik spielen."
Das sportliche Talent von Michael Ben Hanan wurde bereits in Halberstadt entdeckt. Michaels Vater Hanan Semmel zog 1914 aus Polen nach Deutschland. Er verwaltete das jüdische Gut der Familie Nussbaum. Michael erlebte dort eine abenteuerliche Kindheit. Doch am Abend von Rosch ha-Schana des Jahres 1924 passierte ein Unglück. Nach einem Streit mit seinem Bruder Joseph, lief dieser aus Wut auf die Straße. Was er nicht wusste, dass an diesem hohen Feiertag auf dem jüdischen Gut ein Pferdefuhrwerk angerast kam. Es überrollte den Achtjährigen, der sofort starb. Der Verlust des Bruders quälte Michael zeitlebens. Die Gutsbesitzerfamilie tat nach dem Unfall alles, um der Familie zu helfen. Michael wurde das Abitur am Martineum Halberstadt sowie das Studium in Frankfurt bezahlt. Bis zu seiner Ausreise 1933 arbeitete er auch als Sportlehrer an seiner alten Schule, wie sich Judith Biran erinnert.
"Ich kenne ihn aus Halberstadt und habe ihn auch in Jerusalem getroffen. Ja die jüdische Schule hat keinen Sport genommen. Weil das war zu teuer. Wir haben den einfachen Sport in der Volksschule gehabt. Aber Michael war noch viel weiter mit seinem Sport. Der hatte richtigen Sport hier im Gymnasium gegeben."
Über Nacht nach Palästina
Nachdem er 1933 von einer Nazitruppe verprügelt wurde, einem Angreifer den Kiefer brach, konnte er weglaufen. Am Abend erzählte er den Eltern und den Gutsbesitzern von dem Vorfall. Um ihn vor Schlimmerem zu bewahren, schickten sie ihn noch in der Nacht auf die Reise nach Palästina. Die alte Frau Nußbaum nähte dem Jungen Goldmünzen in die Jacke, die für ihn zum Startkapital werden sollten.
"Und dann hat er die Ausreise bekommen, weil der Besitzer des Gutes wo sein Vater gearbeitet hat, hat ihm die Einreise nach Israel verschafft. Denn das war damals englisches Gebiet, nicht jeder konnte fahren."
In Palästina wechselt er, wie viele Neueinwanderer, den Namen. Semmel klingt wie deutsches Brötchen, deshalb wird aus Semmel ein Ben Hanan, ein Sohn von Hanan. Erst später entdeckt die Familie die hebräischen Wurzeln des Namens Semmel: Sera Mieschewed Lewi - einer aus dem Stamme Lewi. Von Jerusalem aus verfolgt er die Judenhetze in seiner Heimat und holt bald die ganze Familie nach Palästina. Zeitgleich arbeitet er für die Hagana. Als studierter Physiker und Chemiker baut er Bomben für den jüdischen Widerstand im britischen Mandatsgebiet. Eine seiner Bomben heißt Davidka. Doch bekannt wird Michael Ben Hanan durch das Radio. Und da war er nicht nur eine Sportskanone, wie sich seine Tochter Chaya Weingarten erinnert:
"Etwas muss ich dir noch erzählen. In seinen Sendungen hat er verschiedene Geheimbotschaften für die Hagana übermittelt für jene, die gegen die britische Armee kämpften. Zwischen seinen Übungen versteckte er in Kommentaren diese Nachrichten."
Michael Ben Hanan avancierte zum Radiostar. Schnell wurde er zum Schwarm vieler junger Israelinnen, wie die heute 94-jährige Judith Biran aus Ramat Aviv noch immer mit einem Leuchten in den Augen erzählt:
"Ja, er war auch so sportlich, er war ein sehr gut aussehender junger Mann. Also ich hab mich damals nicht so sehr dafür interessiert, aber ich bin überzeugt davon."
Für die heute über 60-jährigen Israelis bleibt Michael Ben Hanan unvergessen. Er starb im Jahr 2001 in Netanya, wie einst sein Bruder am Abend von Rosch ha-Schana.
"Weil er so eine berühmte Persönlichkeit der 30er- bis 60er-Jahre war, entschied der Bürgermeister von Jerusalem, es sollte ein besonderer Platz nach ihm benannt werden. Vor einigen Jahren bekam eine Straße seinen Namen. Sie befindet sich in der Nähe des Teddy Stadions, ein beliebtes Fußballstadion. Du kannst von der Straße zum Stadion gucken und das ist für uns die symbolische Verbindung von ihm zum Sport, wir sind damit sehr glücklich."
Spuren der Familie in Halberstadt erhalten
So lebt die Erinnerung an Michael Ben Hanan weiter. Für seine Tochter Chaya Weingarten ist es aber auch wichtig, die Spuren der Familie in Halberstadt zu erhalten. Seit drei Jahren hat sie mithilfe des Halberstädter Bildhauers Daniel Priese und der Moses-Mendelssohn-Akademie die historischen Grabsteine der Geschwister und Mutter von Michael Ben Hanan restaurieren lassen.
Am letzten Sonntag war es dann soweit. Chaya Weingarten konnte kurz nach Rosch ha-Schana an den Familiengräbern mit den wiederhergestellten Grabinschriften das Kaddish beten, das jüdische Totengebet. Durch einen Schulaustausch einer Klasse aus Jerusalem und St. Augustin, waren sogar 40 Schüler auf den Friedhof nach Halberstadt. Zehn israelische Schüler von der Mewaserret Zion Schule aus Jerusalem bildeten den Minjan, damit das Kaddisch gesprochen werden konnte.
Die Schüler waren begeistert mitten in Deutschland auf solch einem altehrwürdigen Friedhof zu stehen und die hebräischen Grabinschriften zu lesen. Gu Gordon, Noa Arpas und Gabriela Bokser sagten tief bewegt:
"Hier schließt sich der Kreis mit der Vergangenheit, wenn ich hierher komme, habe ich das Gefühl dass das hier zu uns gehört. Auch wenn wir nicht von hier sind, verbindet uns vieles mit den Toten hier."
Auch für Chaya Weingarten schließt sich hier in Halberstadt der Kreis. Ihre ganze Familie lebt heute in Israel. Einer Ihrer Söhne ist sogar Pilot des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu. Aber ihre Wurzeln liegen hier in Halberstadt. Zufrieden sagt sie am Abend:
"Wenn mein Vater wüsste, was hier mit den Gräbern geschehen ist, wo sein Bruder, seine Schwester und seine geliebte Mutter liegen. Er wäre sehr stolz darüber. Und ich denke, sie haben es verdient. Ich habe versucht ihnen diese Ehre zu erweisen. Dabei denke ich oft an das Gebot aus der Bibel, du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, und ich glaube ich habe das nicht allein, aber mit der Hilfe der Menschen aus Halberstadt tun können."
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