"Mich hat diese Geschichte einfach nicht mehr losgelassen"

Moderation: Ulrike Timm · 26.09.2010
Regisseur Andreas Arnstedt freut sich, dass sein Spielfilm "Die Entbehrlichen" viele Preise gewonnen hat, und das, obwohl dieser ein düsteres Familienbild zeichnet. Im Vorfeld hätten mögliche Geldgeber mit dem Hinweis abgewunken, so ein Film sei nicht vermarktbar.
Ulrike Timm: Am Donnerstag kommt der Film "Die Entbehrlichen" ins Kino, das Porträt einer Trinker-Familie im Umfeld von Hartz IV und die beklemmende Geschichte eines Jungen, der die Leiche seines Vaters im Wohnzimmer versteckt, nachdem er dessen Selbstmord nicht verhindern konnte. Harte Kost, vor allem, wenn man weiß, dass der Film auf einer wahren Geschichte beruht…
und im Studio ist jetzt der Regisseur Andreas Arnstedt, herzlich willkommen. Im Studio ist jetzt Regisseur Andreas Arnstedt, schönen guten Morgen!

Andreas Arnstedt: Guten Morgen!

Timm: Der Film beruht auf einer wahren Geschichte. Wie haben Sie davon erfahren?

Arnstedt: Also diese Geschichte ist in den 70er-Jahren in Thüringen passiert, und die hat man mir sozusagen so zugetragen. Und ich habe diese Geschichte eigentlich separat verarbeiten wollen, praktisch nur die Geschichte des Jungen, der sozusagen in einer Wohnung mit dem toten Vater lebt. Ich wollte das als Kammerspiel machen.

Und dann kamen irgendwie diese Hartz-IV-Demonstrationen auf. Und als die Menschen plötzlich auf der Straße standen und die Politik einfach gesagt hat: Na irgendwann müssen die doch wieder mal nach Hause gehen. Man hat es also ausgesessen, da hat glaube ich jeder gemerkt: Ja, die Leute sind entbehrlich. Und die selbst haben es natürlich auch gemerkt, diese Gruppe.

Und so dachte ich, ich werde zwei Geschichten erzählen - einmal die Geschichte des Jungen und einmal den sozialen Zustand des "Jetzt hier" in Deutschland, dass mich praktisch mit der Gesetzgebung, die Frau von der Leyen jetzt auf den Weg bringt, die Zeit praktisch überholt und …

Ulrike Timm: Ich sag noch mal, Sie haben sie praktisch dann doch verlegt, die Geschichte. Wenn Sie sagen, 70er-Jahre Thüringen, ist das eine ganz andere Zeit, aber die Geschichte, dass ein Junge seinen toten Vater aus Angst in der Wohnung versteckt, bis er – was in allen Deutlichkeiten gezeigt wird –, bis er riecht und alles, was damit zusammenhängt, diese Geschichte ist wahr?

Arnstedt: Die ist wahr. Das ist die wahre Geschichte. Und die habe ich wie gesagt in das heutige, also in die heutige Zeit transportiert.

Ulrike Timm: Und Anknüpfungspunkte gefunden zur Armut heute …

Arnstedt: … zur Armut heute.

Ulrike Timm: Sie selber, Andreas Arnstedt, sind Schauspieler, vielen Fernsehzuschauern sind Sie etwa aus der Serie "Küstenwache" bekannt. "Die Entbehrlichen", das ist Ihr erster Film, und der Stoff ist so düster, dass alle Produzenten sofort die Karte "nicht vermarktbar" ziehen. Sie haben ihn auch, wenn ich es richtig weiß, mit privaten Mitteln finanziert so aus eigener Tasche, anpumpen Freunde, Freundinnen, und so ging es dann irgendwie. Wieso haben Sie denn allen Widerständen zum Trotz an dieser Geschichte so lange festgehalten?

Arnstedt: Also mich hat diese Geschichte einfach nicht mehr losgelassen und mich lässt natürlich auch das Sozialgefüge, was hier auseinander bricht, auch nicht los. Und ich hab gesagt, wenn ich diesen Film nicht mache, macht ihn niemand. Er wird nicht gemacht. Und es war mir einfach sehr wichtig.

Natürlich gab es auch positive Stimmen, aber die sagten: Geld geben wir nicht, wir glauben nicht daran, dass der Film im Kino Erfolg haben wird oder überhaupt ins Kino kommt, dass er überhaupt zustande kommt. Und ich denke, wir treten hiermit den Gegenbeweise an, dass solche Themen auch auf der Leinwand eine Chance haben.

Ulrike Timm: Im Vorfeld ist der Film vielfach ausgezeichnet worden. Ich glaube, Sie haben 20 Preise auf Festivals bekommen. Aber es ist eben kein Low-Budget-, sondern letztlich ein No-Budget-Film. Ist das jetzt die Genugtuung, dass Sie doch zumindest im Vorfeld schon Anerkennung bekommen haben durch künstlerische Filmjurys, dass Sie sagen, geht doch?

Arnstedt: Genau. Also ich freue mich einfach, dass dieses Thema ankommt, dass dieses Thema also Aufmerksamkeit findet von Bangladesch, Russland, Schanghai, überall auf der Welt, wo wir waren, und natürlich im eigenen Land, Saarbrücken, den Jurypreis bekommen und Nürnberg auch. Das zeigt mir schon, dass diese Art von Film doch ein Publikum findet gegen alle Widerstände im Vorfeld, und eben dass sozusagen auch die Machart des Films die Anerkennung findet.

Ulrike Timm: Heute wird diskutiert im Kabinett um Hartz IV. Und für viele ist es jetzt schon der Film zu Hartz IV. Bei Ihnen habe ich rausgehört, es ist auch der Film zu Hartz IV, oder ist es auch für Sie der Film dazu?

Arnstedt: Also es ist so, dass ich keine Dokumentation mache, sondern wirklich ein Drama mit allem, was dazugehört, mit Humor und natürlich mit der nötigen Realität. Das ist eben dieser neue Realismus im Kino, der für mich ganz wichtig ist, dass alles authentisch ist, aber dass man eben auch die lustigen Seiten, die in solchen Familien stattfinden, sieht. Ich will mal sagen: Wenn ich diese Debatte höre um Hartz IV, wenn ich höre, es geht hier um 20 Euro plus minus, dann klingt das in meinen Ohren sehr zynisch.

Und wenn auch der Außenminister die Gruppen, die sozusagen in Arbeit sind und wenig Geld verdienen, gegen die Gruppen, die keine Arbeit haben, nämlich die Hartz-IV-Empfänger, und ähnlich viel Geld bekommen, dann zeigt das nur, dass diejenigen, die arbeiten, zu wenig verdienen. Und ich finde diese Aussagen, die da getroffen werden, sehr populistisch, und sind wirklich fürs soziale Gleichgewicht überhaupt nicht gut.

Ulrike Timm: Andererseits ist diese Geschichte doch so extrem, dass sie sehr speziell ist, und man sollte sich vielleicht auch nicht vor jeden Wagen spannen lassen.

Arnstedt: Das ist richtig. Und ich finde natürlich, dass … Hartz IV ist ein Thema, das uns nicht mehr loslassen wird und das viele Parteien ja auch sozusagen um ihre Wählerschaft gebracht hat, wenn man sich nicht offen dafür oder dagegen bekennt. Und es ist schon der Film, der unseren Zustand jetzt absolut zeigt. Das war mir, als ich ihn machte, nicht so bewusst, dass das Ausmaß, was ich zeige, auch wirklich in diesen neuen Gesetzgebungen seinen Ursprung wiederfinden wird.

Ulrike Timm: Ich gehe noch mal zurück zur Geschichte des Films: Sie verlegen es in eine Trinkerfamilie, die auch dadurch, auch dadurch zu einer Trinkerfamilie geworden ist, dass der Vater ständig seine Arbeit verlor, dass ständig neue Versuche für Anfänge gemacht wurden, die dann ins Leere liefen. Ja, der kleine Junge ist eigentlich der Vernünftigste in der Familie, oder?

Arnstedt: Ja also der Vater versucht immer wieder, das soziale Untergeflecht aufzubrechen, und er scheitert eben auch immer wieder an diesen sozialen Strukturen. Er hat einfach keine Chance. Es ist natürlich auch meine Sicht auf die …, dass ich glaube, es gibt keine Chancengleichheit im Land. Der Junge agiert natürlich aus seinem Herz und seinem Gefühl heraus und sagt sich: Ich liebe meine Eltern, ich liebe meine Schule, ich liebe das alles und ich möchte darin einfach funktionieren. Und daraus entsteht natürlich die Fallhöhe und auch die Tragik.

Ulrike Timm: Sie haben sehr bekannte Schauspieler gewinnen können. Steffi Kühnert, große Theaterfrau, dann André Hennicke … Und Sie haben ihnen sagen können: Es gibt kein Geld, ich weiß nicht, ob der nie in die Kinos kommt, je in die Kinos kommt, und ich habe noch nie Regie gemacht. Wie haben Sie denn überzeugt?

Arnstedt: Ja genau mit diesen Argumenten …

Ulrike Timm: Das heißt?

Arnstedt: … und ich habe gesagt: Also hier ist das Buch und es gibt noch keinen Film in dieser Art im Kino, im deutschen Kino, gibt es nicht, und es ist eine Herausforderung für uns alle, sowohl für die bekannten Schauspieler als auch für die weniger bekannten und eben auch für mich als Regisseur. Und ich denke, das ist eine Chance, so einen Weg einfach mal gemeinsam zu gehen. Und nicht nur, dass es kein Geld gibt, es kann sein, ihr müsst am Ende noch ein bisschen was mitbringen, was auch der Fall war. Und …

Ulrike Timm: … das heißt, Sie haben das Taxi dann zum Drehort haben sie selbst gezahlt?

Arnstedt: Es gab kein Taxi zum Drehort. Es gab eine Bahn und die fährt ja durch ganz Berlin und wir haben in Berlin gedreht.

Ulrike Timm: Einige in der Redaktion haben diesen Film schon gesehen. Und egal ob er nun ungeteilte Zustimmung fand oder ob einige Leute gesagt haben, na ja, das und das gefällt mir nicht – die Regieleistung wurde eigentlich von allen bewundert, auch der Mut, es so zu filmen, wie Sie es gefilmt haben. Nun sind Sie Schauspieler. Mit Verlaub, wo haben Sie das gelernt?

Arnstedt: Na ja, man lernt sich, also man … Ich sehe sehr viele Regisseure, ich bin mit sehr vielen Regisseuren zusammen, aber man lernt nicht unbedingt jetzt vom Zuschauen. Es ist so, man hat so eine Bildsprache im Kopf und man weiß irgendwie, wie die Leute gehen, stehen, reden sollten. Denn ich hab das Buch ja auch selbst geschrieben und da wusste ich schon genau also, wie ich … da war mir im Kopf alles schon klar. Und ich denke, das ist dann schon auch so eine, ja eine gewisse Begabung braucht man schon, um Regie zu führen, man kann nicht alles auf den Schulen lernen.

Ulrike Timm: Wollen Sie denn jetzt umsatteln? Oder sollen "Die Entbehrlichen" erst mal ein Erstling bleiben, der erst mal eine Weile so stehen bleibt?

Arnstedt: Also weder noch. Ich schreibe an meinem nächsten Buch und das hat auch wieder … ich sag mal, das Sozialkritische, das ist für mich ganz wichtig. Das gehört auch nicht nur ins Fernsehen, das gehört für mich auch ins Kino. Aber natürlich bleibe ich meiner Leidenschaft der Schauspielerei treu. Und ich muss sagen, ich hab mit der "Küstenwache" ja auch so ein homogenes Team, wo ich gern arbeite. Und das werde ich auch noch eine Zeit weitermachen.

Ulrike Timm: "Die Entbehrlichen", ich sage es noch mal, international bereits vielfach ausgezeichnet – trotzdem, mit einem sehr großen Kinopublikum ist nicht so wirklich zu rechnen. Ich hab mich auch gefragt, wenn Sie den Film beim Fernsehen unterbringen könnten, was Sie sicherlich hoffen, rechnen Sie dann mit einer Ausstrahlung um 22:30 Uhr oder eher um 0:30 Uhr?

Arnstedt: Tja, das ist die gute Frage. Also ich könnte mir vorstellen, so wie es jetzt aktuell ist, könnte es 22:30 Uhr sein, aber wenn sich die politischen Wogen, wenn man Hartz IV wieder etwas rausdrängt aus dem Bewusstsein der Medien, dann wird es wahrscheinlich 0:30 Uhr.

Ulrike Timm: Da weiß ich jetzt im Moment nicht so richtig, was ich Ihnen wünschen soll …

Arnstedt: Ja, einfach viel Glück!

Ulrike Timm: Das wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen! Andreas Arnstedt war das, sein Sozialdrama "Die Entbehrlichen", sein Erstling kommt diese Woche in die Kinos, begleitet unter anderem auch von Diskussionen mit Politikern, unter anderem am 1. Oktober in Berlin. Aber erst mal wichtig der Kinotermin: Ab Donnerstag, "Die Entbehrlichen" im Kino zu sehen, und lohnt sich sehr!
Rund 30.000 Menschen protestieren gegen die Pläne zur Arbeitsmarktreform Hartz IV während einer Demonstration in Leipzig am 23. August 2004
Protest gegen Hartz IV© AP
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