Mexiko

Verführung mit Endzeitstimmung

Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Der mexikanische Autor Yuri Herrera im Garten seines Elternhauses in Pachuca © Tobias Wenzel
Von Tobias Wenzel · 22.08.2014
Obwohl sich Yuri Herreras Roman schlecht verkaufte, bringt der S. Fischer Verlag ihn nun drei Jahre nach der Ersterscheinung noch einmal heraus, in einem Band mit zwei weiteren Romanen des Autors. Zentrales Thema ist die Gewalt in Mexiko und die Brüchigkeit des Lebens.
Es ist früher Morgen in Mexiko-Stadt. Yuri Herrera hält seinen Rucksack im Arm und versucht zu schlafen, auf der einstündigen Fahrt in seine Heimatstadt Pachuca, vorbei an den Hängen mit Siedlungen, in denen die ärmsten Menschen des Landes leben. Im Fernbus wird ein Kinofilm über den Rennfahrer Niki Lauda gezeigt. Der 44-jährige mexikanische Autor wird immer wieder wach. Zum Glück nur vom Film:
"Auf dieser Strecke sind manchmal Busse überfallen worden. Und da ist es schon vorgekommen, dass die Kriminellen, die am Überfall beteiligt waren, zuerst als Passagiere getarnt im Bus saßen. Deshalb haben sie uns nicht einfach so in den Bus einsteigen lassen. Vorher haben sie unsere Ausweise im Computer registriert, unser Gepäck und unseren Körper nach Waffen durchsucht. Und zum Schluss hat uns auch noch ein Wachmann mit einer Videokamera beim Einsteigen gefilmt, für den Fall, dass später etwas passiert."
Gewalt ist, im Vorder- oder Hintergrund, immer präsent in Yuri Herreras "mexikanischer Trilogie". So nennt sein deutscher Verlag die drei in einem Band erschienenen Romane zurecht: Sie alle greifen die Probleme Mexikos auf. Und doch meint man, diese Geschichten könnten sich überall zutragen. Oder nirgendwo. Denn Yuri Herrera scheint mit einem offenen und einem geschlossenen Auge zu schreiben. Es liegt ein traumgleicher Schleier über dieser Welt, in der die Hauptfiguren märchenhafte Namen tragen, einer Welt, die Herrera mit seiner dichten, wunderbar rhythmischen Sprache schildert. Die hat Susanne Lange souverän ins Deutsche übertragen:
"Er wusste Bescheid über das Blut und sah gleich, seines war anders. Allein wie der Mann den Raum ausfüllte, so seelenruhig, als wüsste er alles, als wäre er aus feinerem Garn gewebt. Von anderem Blut."
Bedrohte Identität, bedrohtes Leben
Der Straßenmusiker Lobo, der sich nach Anerkennung sehnt, begegnet einem Drogenboss und schließt sich ihm an, um auf ihn Loblieder zu singen, und droht doch schon bald die eigene Identität und sogar sein Leben zu verlieren, in Herreras erstem Roman "Abgesang des Königs".
Yuri Herrera ist in Pachuca angekommen, fährt mit dem Taxi zu seinem Elternhaus am Fuß eines Hangs. Pachuca, die ehemalige Bergwerkstadt, hat Herrera zu "Zeichen, die vom Weltende künden" inspiriert, seinem zweiten Roman. Darin will Makina, eine junge Frau, illegal ins Nachbarland einwandern, um dort ihren Bruder zu suchen. Die Reise droht allerdings schon vor ihrem Beginn durch eine Katastrophe zu scheitern:
"[...] unter seinen Füßen tat sich der Boden auf. Er verschlang den Mann, ein Auto, einen Hund, den gesamten Sauerstoff rundum, sogar die Schreie der Passanten. Ich bin tot, sagte Makina, doch kaum hatte sie das gesagt, da sträubte sich ihr ganzer Körper gegen das Urteil, verzweifelt stampften ihre Füße rückwärts, jeder Schritt einen Fußbreit hinter dem Erdrutsch, bis der Abgrund sich zu einem makellosen Kreis rundete, und Makina war in Sicherheit.Verdammte, tückische Stadt, sagte sie, ständig dabei, sich in den Keller zu verabschieden."
Atemberaubend gut geschrieben
Yuri Herrera spaziert in Pachuca mit seinen Hunden Gordo und Simba einen steilen Hang hinauf, um sie zu beruhigen. So unbändig freuen sie sich, wenn er wie jetzt aus Mexiko-Stadt gekommen ist oder aus New Orleans, wo der studierte Politik- und Literaturwissenschaftler forscht und lehrt.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Blick über Yuri Herreras Heimatstadt Pachuca© Tobias Wenzel
"Wir sind hier im unteren Bereich des San-Cristóbal-Berges. Hier gibt es noch vereinzelt Häuser. Aber schon etwas weiter oben kann man keine Häuser mehr bauen. Im Berg gibt es noch alte, einsturzgefährdete Schächte. Da haben die Menschen vor langer Zeit nach Silber gesucht. Die Eingänge sind nur notdürftig geschlossen worden. Manchmal stürzt hier ein Haus ein. Oder ein Mensch fällt in ein Loch. Und seit einiger Zeit nutzen kriminelle Banden die Schächte als geheime Grabplätze. Da entledigen sie sich dann ihrer getöteten Feinde."
Zwischen zwei verfeindeten Familienbanden soll der sogenannte Alfaki den Austausch von Geiseln organisieren, in "Körperwanderung", dem letzten Teil der atemberaubend gut geschriebenen Trilogie Herreras. Eigentlich will der Alfaki zu Hause bleiben. Denn draußen herrscht Endzeitstimmung, wütet eine verheerende Epidemie. Und drinnen sträubt sich seine Nachbarin endlich nicht mehr gegen seine Annäherungsversuche:
"Er sah, dass sie sich pellte. [...] Mit der anderen Hand drehte er sie ein wenig zu sich und zog ganz langsam Schuppen welker Haut ab. Hui, wie gut sich das anfühlt, sagte sie. Immer weiter. Er machte weiter, innerlich immer schneller, äußerlich immer hingebungsvoller, mit einem leichten Zittern, das er bezähmte, indem er die nächste Hautkrone fixierte. Dann aß er sie auf. Er zog einen Fetzen ab und steckte ihn in den Mund. Sie wandte leicht den Kopf, musterte ihn aus dem Augenwinkel, und sagte: Ganz schön durchgeknallt, was? Er sagte: Hhmm, und machte weiter."

Yuri Herrera: Der König, die Sonne, der Tod. Mexikanische Trilogie
Aus dem Spanischen von Susanne Lange
S. Fischer 2014, Frankfurt am Main
348 Seiten, 19,99 Euro

Tipp:
Yuri Herrera kommt im September nach Deutschland, um seine Trilogie "Der König, die Sonne, der Tod" vorzustellen. Am 12.09. liest er im Instituto Cervantes in Hamburg und am 13.09. beim Internationalen Literaturfestival Berlin.
Mehr zum Thema