Metaphysik für den Nachttisch

16.11.2013
Mit "Gott oder Zufall?" bietet der Biologe Robert James Berry einen Schnellkurs in Wissenschaft und Philosophie zugleich. Gemeinsam mit 25 anderen Autoren führt er die Leser von der Kosmologie bis zur Genetik - und beleuchtet das Verhältnis von Glauben und Wissen.
Sind wir Menschen ein Zufallsprodukt der Evolution – oder liegt hinter der Entstehung von Leben ein göttlicher Plan? Macht eine Weltformel, die das ganze Universum beschreibt, einen Schöpfer überflüssig? Sind Bewusstsein und Seele allein eine Folge chemischer Reaktionen im Hirn – oder gibt es etwas jenseits der Synapsen und Botenstoffe?

Das Buch "Gott oder Zufall?" führt seine Leser durch Kosmologie, Physik, Geowissenschaften, Evolutionsbiologie bis zu Medizin und Genetik und beleuchtet das Verhältnis von wissenschaftlicher Erkenntnis und christlichem Glauben. Robert James Berry, Biologe am University College London, hat gemeinsam mit 25 anderen Wissenschaftlern ein kurzweiliges und sehr informatives Buch geschrieben.

Es ist ein Schnellkurs zugleich in Wissenschaft und Philosophie. Die Autoren stellen zunächst den aktuellen Stand ihrer Forschungsgebiete vor – dann legen sie dar, wo auf metaphysischer Ebene die Konfliktpunkte liegen. Einst wähnten die Menschen in jedem Blitz ein göttliches Zeichen. Doch auch die moderne Wissenschaft lässt – sofern man denn Zugang zum Glauben hat – viel mehr zu als allein den "Lückenbüßergott", der für das herhalten muss, was sich (noch) nicht erklären lässt.

Erfreulicherweise verliert sich das Buch nicht in langatmigen theoretischen Abhandlungen, sondern behandelt das Spannungsfeld von Wissenschaft und Religion anhand zahlreicher konkreter Themen. Es wäre absurd, eine Datierung des Erdalters auf viereinhalb Milliarden als Widerspruch zur biblischen Genesis zu sehen, die eben keineswegs wörtlich zu nehmen sei. Unter anderem bei Gentechnik und Kernkraft ist die Menschheit mittlerweile in der Lage, massiv in die Schöpfung einzugreifen – ohne sich immer der ethischen Konsequenzen bewusst zu sein.

Erfrischend kleinteiliger Aufbau
"Gott oder Zufall?" ist erfrischend kleinteilig aufgebaut: Auf fast jeder Seite beginnt ein neuer, klar abgetrennter Aspekt. Die vielen Versatzstücke aus Naturwissenschaft, Theologie und Philosophie sind zu sechs großen Kapiteln gruppiert. Zahlreiche Abbildungen lockern den Text ebenso auf wie viele Informationskästen, die besonders wichtige Stichworte und Theorien erläutern, den historischen Kontext herstellen oder von den wichtigsten Protagonisten erzählen. Ein Glossar sowie ein vorzügliches, nicht thematisch, sondern nach Epochen sortiertes Literaturverzeichnis runden das Buch ab. Der Herausgeber empfiehlt ausdrücklich, das Buch nicht von vorn bis hinten in einem Zug durchzulesen. Tatsächlich lässt sich darin herrlich hin und her streifen – die 352 Seiten sind bestens für den Nachttisch geeignet.

Wie sich zeigt, sind Religion und moderne Wissenschaft in vielem gar nicht so weit voneinander entfernt. Theorien und Modelle lassen sich nie beweisen – sie gelten so lange, bis sie widerlegt sind und eine bessere Idee an ihre Stelle tritt. In der Forschung gibt es immer wieder überraschende Wenden, die vermeintlich sicheres Wissen infrage stellen – etwa, wenn Messungen des größten Beschleunigers der Welt nahe legen, dass das Standardmodell der Teilchenphysik eine Sackgasse ist. Im wissenschaftlichen Alltag glauben viele, etwas zu wissen.

Der Folgerung einiger Autoren, Wissenschaft und Glaube seien in mancher Hinsicht gar aufeinander angewiesen, muss man zwar nicht beipflichten – aber wer "Gott oder Zufall?" schließlich zur Seite legt, der ahnt, dass unsere Existenz in diesem Universum zumindest ein geradezu göttlicher Zufall ist.

Besprochen von Dirk Lorenzen

Richard James Berry (Hrsg.): Gott oder Zufall? Was wir wissen, was wir glauben
Aus dem Englischen von Katrin Krips-Schmidt und Enrico Heinemann
Pattloch Verlag, München 2013
352 Seiten, 26 Euro
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