Messerscharfe Beschreibung einer Paarbeziehung

Rezensiert von Peter Urban-Halle · 11.07.2006
Die Geschichten über das Dubliner Ehepaar Hubert und Rose Derdon entstanden von 1952 bis 1973 und bilden eine Art Episodenroman. Ohne moralische Abwägung, ohne Beschönigung und Verdammung beschreibt Maeve Brennan den stummen Kampf der Derdons mit- und gegeneinander. In diesem Buch wird viel gedacht und nichts gesagt, und wenn sie einmal sprechen, sind es Selbstgespräche.
Es ist geradezu erschütternd, mit welcher Besessenheit und Manie und klinischen Präzision Maeve Brennan ihr Projekt "Derdon" zwanzig Jahre lang verfolgt hat - oder sollte man es richtiger andersherum sagen: Wie das Projekt sie verfolgt hat? Diese Autorin, die vor drei Jahren mit der Novelle "Die Besucherin" vom Steidl Verlag und ihrem Übersetzer Hans-Christian Oeser in Deutschland bekannt gemacht wurde, hat immer nur das Eine umgetrieben: eine ungeheure Einsamkeit und namenlose Trauer.

Sie gehört zu den "Märtyrern der Literatur", wie der Kritiker Peter Hamm jene Autoren nannte, die durch die "Hölle des menschlichen Daseins" gegangen sind, wie Robert Walser, wie Christine Lavant, wie Franz Kafka; sie sind Geistesverwandte, sie haben den unbestechlichen Blick und stellen stets die gnadenlose Frage, unter welchem Gesetz unser Leben steht und warum wir uns dem nicht entziehen können. - Maeve Brennan wurde 1917 in Dublin geboren und kam 1934 mit der ganzen Familie - der Vater war bis ’47 irischer Botschafter in Washington - in die USA. Sie trat in die Redaktion der Wochenzeitschrift "The New Yorker" ein, wo auch die hier vorliegenden Erzählungen erschienen. Spätestens seit den 50er Jahren psychisch labil, starb sie geistig umnachtet 1993 in New York, "mittellos, vereinsamt und vergessen".

Die Geschichten über das Dubliner Ehepaar Hubert und Rose Derdon entstanden von 1952 bis 1973 und wurden für die vorliegende Ausgabe in der chronologischen Reihenfolge der darin geschilderten Ereignisse zusammengestellt. Dadurch entsteht tatsächlich eine Art Episodenroman. Ohne moralische Abwägung, ohne Beschönigung und Verdammung - weshalb man ihr Buch mit James Joyces "Dublinern" vergleichen kann - beschreibt Brennan den stummen Kampf der Derdons mit- und gegeneinander, in diesem Buch wird viel gedacht und nichts gesagt, und wenn sie einmal sprechen, sind es Selbstgespräche.

Es gibt keine Lösung in dieser Auseinandersetzung. Rose, von ihrer Mutter zum Duckmäusertum erzogen und von ihrem vergötterten Vater zum ständigen Träumen verführt, lebt in einer Scheinwelt, Hubert analysiert sie gut ("Nie hatte sie vermocht, sich mit der Welt zu deren Bedingungen auseinanderzusetzen"), er will eine Reaktion, die natürlich nicht kommt, tut aber selbst nichts; in diesem Buch wird pausenlos gewartet. Maeve Brennan beschreibt nicht unbedingt neue Phänomene in der Ehe - man denke an Strindberg, Edward Albee, Ingmar Bergman -, aber so messerscharf, psychologisch einsichtig und stilistisch gekonnt, das ist schlicht atemberaubend.


Maeve Brennan: Mr. und Mrs. Derdon. Geschichten einer Ehe
Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser.
Steidl Verlag, Göttingen 2006. 176 Seiten