Merz: "Die Wahlkämpfe in den USA werden härter, sie werden auch teurer"

Friedrich Merz im Gespräch mit Hanns Ostermann · 07.03.2012
Der Vorsitzende der Atlantik-Brücke, Friedrich Merz, hält die hohe Arbeitslosigkeit in den USA für das zentrale Thema des Präsidentschaftswahlkampfes. Der frühere CDU-Politiker räumte dem amtierenden Präsidenten Barack Obama dennoch Chancen ein.
Hanns Ostermann: Ein fairer Umgang miteinander sieht ganz sicher anders aus. Was sich derzeit, vor allem auch im Vorfeld des heutigen Super Tuesday in den USA abspielt, das erinnert mehr an eine Schlammschlacht. Da wird der Kontrahent, obwohl er der eigenen Partei angehört, angegiftet, wann und wie immer es geht. John McCain, der republikanische Präsidentschaftskandidat von 2008, meinte sogar: Es ist, als würde man einer griechischen Tragödie zuschauen. Was ist da los bei den republikanischen Präsidentschaftskandidaten, wie steht es überhaupt um die Seele der Partei? Ich möchte darüber mit Friedrich Merz sprechen, dem früheren Fraktionsvorsitzenden der Union im Bundestag. Er ist heute Vorsitzender der Atlantik-Brücke, einem überparteilichen Verein, der die deutsch-amerikanische Freundschaft stärken will. Guten Morgen, Herr Merz!

Friedrich Merz: Guten Morgen, Herr Ostermann!

Ostermann: Warum leisten sich die Republikaner einen so hässlichen Vorwahlkampf?

Merz: Herr Ostermann, vielleicht haben wir in Deutschland vergessen, dass bei der letzten Präsidentschaftswahl in den USA etwas Ähnliches auf der Seite der demokratischen Partei sich abgespielt hat. Als der heutige Präsident noch gegen seine Herausforderin Frau Clinton gekämpft hat und sie gegen ihn, da ist es auch nicht zimperlich zugegangen. Aber es ist in der Tat richtig: Die Wahlkämpfe in den USA werden härter, sie werden auch teurer und die Spaltung der Gesellschaft in den USA spiegelt sich mittlerweile auch sehr viel mehr als früher in den politischen Parteien und zwischen den Kandidaten einer Partei wider. Und vielleicht ist das, was heute Morgen auch in den deutschen Presseagenturen zitiert wird, der richtige Eindruck auch der Wähler in den USA. Dort wird ja heute auch bei uns in Deutschland ein Wähler aus Ohio zitiert mit den Worten: Mitt Romney ist mir zu reich, Rick Santorum zu religiös, Ron Paul zu alt und Newt Gingrich mag ich einfach nicht. - Also, Sie sehen an einem solchen einfachen Zitat: Auch die Parteien selbst tun sich enorm schwer mit ihren Kandidaten.

Ostermann: Würden Sie so weit gehen und von einem Kulturkampf sprechen, wenn dort in den USA ein Kandidat in einem Werbespot auf den anderen schießt?

Merz: Die Wahlen in den USA werden anders, als wir das aus Europa kennen, ja in den privaten Medien, vor allen Dingen in den privaten Fernsehanstalten entschieden. Und da geht man schon seit jeher nicht sonderlich zimperlich miteinander um. Und was wir auch nicht richtig verstehen auf dieser Seite des Atlantiks, ist: Danach liegt man sich in den Armen und konzentriert sich auf den Wahlkampf gegen den parteipolitischen Gegner auf der anderen Seite. Aber es ist richtig: Die Auseinandersetzung, ich habe schon gesagt, werden härter und vielleicht ist das auch ein Spiegelbild der Spaltung dieses Landes, der Spaltung der amerikanischen Gesellschaft.

Ostermann: Und der Spaltung in der republikanischen Partei möglicherweise. Können Sie die Position Santorums nachvollziehen, der die gleichgeschlechtliche Ehe ebenso radikal ablehnt wie die Abtreibung?

Merz: Ich kann nur begrenzt nachvollziehen, wie zum Beispiel auch die religiösen Grundüberzeugungen in Amerika zum Gegenstand der innerparteilichen Personalentscheidungen gemacht werden. Auch das kennen wir ja in Deutschland und Europa praktisch gar nicht mehr. Früher hat es in Deutschland mal eine Rolle gespielt, ob Kandidaten evangelisch oder katholisch waren ...

Ostermann: ... oder ob ein Präsidentschaftskandidat verheiratet ist oder nicht, das gibt es ja auch ...

Merz: ... ja, aber das sind doch eher Diskussionen, die am Rande stattfinden. In Amerika - und das muss man in Europa vielleicht auch besser verstehen -, die amerikanische Gesellschaft ist sehr viel religiöser, als wir das häufig von uns aus, von Europa aus wahrnehmen. Und Amerika ist nicht Washington und New York, sondern Amerika sind die Staaten Ohio und die großen Flächenstaaten, die Südstaaten ... Eben doch sehr anders, als wir es aus unserer europäischen Wahrnehmung kennen. Aber ich täte mich in Amerika als Wähler auch schwer, eine Entscheidung zu treffen. Und die Konfliktlinien verlaufen ja auch nicht genau entlang der parteipolitischen Linien. Da gibt es manchen Demokraten, der ist konservativ, und da gibt es manchen Republikaner, der ist sehr viel liberaler als der ein oder andere Demokrat.

Ostermann: Herr Merz, woran liegt es, dass religiöse Themen derart wichtig sind in einer Zeit, wo die USA wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand stehen, hoch verschuldet sind, also eigentlich doch wirtschaftliche Fragen eine mindestens ebenso große Berechtigung haben?

Merz: Herr Ostermann, die wirtschaftlichen Fragen spielen eine Rolle in den USA. Und die Entscheidung im November, wer der nächste Präsident in den USA wird, ob es der amtierende Präsident bleibt oder ob es ein neuer wird, die wird sich nicht an der religiösen Ausrichtung und an der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft entscheiden, sondern die wird sich nach den wirtschaftspolitischen Entwicklungen, nach den wirtschaftlichen Entwicklungen entscheiden. Und da hat Obama im Augenblick ganz gute Chancen, denn die Wirtschaft in den USA wächst wieder. Das vierte Quartal 2011 war schon gut, das erste Quartal 2012 kann besser werden. Und wenn die Arbeitslosigkeit unter acht Prozent sinkt, hat Obama alle Chancen, wiedergewählt zu werden, und dann wird die Frage der religiösen Zugehörigkeit der Präsidentschaftskandidaten in den Hintergrund treten und kaum noch eine Rolle spielen.

Ostermann: Überzeugen Sie die wirtschaftlichen Vorstellungen Mitt Romneys, der - und das ist eine aktuelle Meldung - Ohio ganz, ganz knapp für sich entschieden hat? - Ohio ist ein entscheidender Bundesstaat in diesem Vorwahlkampf.

Merz: Ohio ist immer entscheidend gewesen, auch in den letzten Jahren schon, in den letzten Jahrzehnten. Ohio ist Amerika im Kleinen und es hat noch nie ein Republikaner in den USA eine Präsidentschaftswahl gewonnen, der nicht auch den Staat Ohio für sich gewonnen hat. Insofern kann man vielleicht auch verstehen, warum die Kandidaten der republikanischen Partei jetzt so stark in Ohio engagiert waren. Das ist einfach ein Gesetz der Serie. Die wirtschaftspolitischen Vorstellungen von Romney sind zum Teil sehr geprägt durch seine beruflichen Erfahrungen, aber er spricht natürlich ein Thema an, was die amerikanische Gesellschaft im Augenblick sehr beschäftigt, nämlich - Sie haben es angesprochen - die hohe Verschuldung und auch die wirtschaftliche Lage. Amerika hat zum ersten Mal seit Jahrzehnten eine Arbeitslosigkeit von fast zehn Prozent, und das nicht nur für wenige Wochen, sondern für Monate. Und das ist ein Thema, das in Amerika eine sehr, sehr große Rolle spielt. Und es gibt ein anderes Gesetz der Serie: Es ist noch nie ein amerikanischer Präsident wiedergewählt worden mit mehr als acht Prozent Arbeitslosigkeit. Insofern ist die Arbeitslosigkeit in Amerika neben den religiösen Themen das zentrale Thema dieser Auseinandersetzung in der Wahl, und das wird es bis zum November bleiben.

Ostermann: Was bedeutet der scharfe republikanische Wahlkampf, um zum Eingang zurückzukehren, für Präsident Obama? Fast hat man ja den Eindruck, er braucht nichts zu tun, die Republikaner erledigen sich von selbst?

Merz: Ja, das haben die Republikaner umgekehrt auch vor vier Jahren gedacht, als Obama und Clinton so hart miteinander umgegangen sind. Und das Ergebnis war doch anders. Die Wahl ist nicht entschieden. Obama wird Chancen haben, wiedergewählt zu werden, vielleicht werden sie sich sogar in den nächsten Wochen verbessern. Aber Romney, wenn er denn der Kandidat der Republikaner wird - und er wird es nach meiner Einschätzung werden - ist nicht ohne Chancen, die Wahl zu gewinnen. Sie hängt, wie gesagt, das Ergebnis dieser Wahl hängt ganz entscheidend von der wirtschaftlichen Entwicklung in Amerika ab und darüber ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Ostermann: Friedrich Merz, der Vorsitzende der Atlantik-Brücke. Herr Merz, danke für das Gespräch!

Merz: Ich bedanke mich bei Ihnen!

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