Merkel in München

Die Grenzen der Geduld

Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der 51. Sicherheitskonferenz in München
Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der 51. Sicherheitskonferenz in München © AFP / CHRISTOF STACHE
Von Klaus Remme, Hauptstadtstudio · 07.02.2015
Angela Merkel plädiert im Ukraine-Konflikt für Geduld. Jahrzehnte habe es gedauert, bis der Kalte Krieg diplomatisch überwunden wurde. Doch die Kanzlerin verschweigt, dass dafür ein militärisches Patt Voraussetzung war, kommentiert Klaus Remme.
Wieder einmal eine Sicherheitskonferenz, die in den Strudel der internationalen Krisendiplomatie geraten ist. Merkel, Lawrow, Biden, Poroschenko – allein heute: Was für eine Rednerliste in diesem politischen Umfeld, noch dazu, nachdem die Bundeskanzlerin nur Stunden zuvor mit Wladimir Putin verhandelt hat. Der Auftritt Angela Merkels wurde in München mit großer Spannung erwartet, die Rede selbst indes war gewohnt nüchtern, Merkel ließ sich, was mögliche Ergebnisse in Moskau angeht, kaum in die Karten schauen. Doch alle Indizien deuten auf ein Kartenblatt voller Luschen, ohne Trumpf. Kein Wort von ihr zum wichtigsten Thema, dass hier in München so kontrovers diskutiert wird: Waffenlieferungen für die Ukraine, ja oder nein! Spät, erst auf Nachfrage bezog Angela Merkel Stellung, dann allerdings ohne Wenn und Aber. Der Konflikt sei militärisch nicht zu gewinnen, es seien schon jetzt viele Waffen im Einsatz, sie könne nicht erkennen, dass dies zu Lösungen führe, so ihr Argument. Vor allem die Amerikaner, aber mit ihnen der ein oder andere NATO-Verbündete im Osten Europas, widersprechen leidenschaftlich.
Beide Seiten haben gute Argumente und kein Kurs ist ohne Risiko. Der einflussreiche US-Senator John McCain ätzt auf seine bekannte, fast rüpelhafte Art. Er zieht Vergleiche mit den 30er-Jahren, redet von Appeasement und bezichtigt Merkel der Ahnungslosigkeit oder Gleichgültigkeit, er macht keinen Hehl aus seiner Sicht, wonach die Europäer nun mal Weicheier sind. Sein enger politischer Freund Senator Lindsey Graham argumentiert in München höflicher, doch nicht weniger scharf. Graham zielt auf die Schwäche der offiziellen deutschen Argumentation. Er ist nicht allein und es sind nicht allein extreme Republikaner, die militärische Hilfe für Kiew fordern. Es geht hier nicht um einen militärischen Sieg. Es muss lediglich darum gehen, das Kalkül des russischen Präsidenten zu verändern. Im Paket mit schmerzhaften Wirtschaftssanktionen könnte die Lieferung defensiver Waffen an die Ukraine zweierlei bewirken. Zum einen treibt sie den Preis für Putins abenteuerlichen Kurs in die Höhe, zum anderen würde der Westen dem Eindruck entgegenwirken, die Ukraine im Stich zu lassen, wenn es hart auf hart kommt.
Im Ringen mit Moskau wird der Geduldige bestraft
Angela Merkel plädiert für strategische Geduld, sie verweist auf Jahrzehnte, die es gedauert hat, bis Mauerbau und Teilung diplomatisch überwunden wurden. Sie verschweigt, dass ein militärisches Patt Voraussetzung für all diese Jahre mühsamer Diplomatie waren. Von einem solchen Patt kann in der Ukraine keine Rede sein. Ja, es gibt viele Waffen im Osten des Landes, viel zu viele, doch sind sie ungleich verteilt, Moskau versorgt die Separatisten nach Belieben und Erfordernis. Strategische Geduld ist aus Sicht der Führung in Kiew keine Option. Deshalb ihr Ruf nach Verteidigungswaffen. Darüber hinaus hat das vergangene Jahr gezeigt: Im Ringen mit Moskau wird zurzeit der Geduldige bestraft, derjenige der Konzessionen macht, der auf Deeskalation setzt.
Wie soll das weitergehen? Kann nach den Ereignissen der vergangenen 12 Monate irgendjemand ausschließen, dass wir mittelfristig über einen Bündnisfall reden müssen? Wollen wir dann etwa vor diesem Hintergrund die Grenzen strategischer Geduld testen? Die gemeinsame Mission von Angela Merkel und Francois Hollande wird als mutiger Schritt anerkannt, die Bundesregierung übernimmt Verantwortung, nicht allein, es ist ein Paradebeispiel für das "Führen aus der Mitte", das Ursula von der Leyen gestern hier in München als Parole ausgaben. Doch der Konsens des Westens wird mit jedem Tag dünner. In der Waffenfrage sind die Bruchlinien offensichtlich, die Sanktionspolitik kommt bald auf den Prüfstand. Strategische Geduld – das dürften auch in Moskau manche als probates Mittel empfehlen.
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