"Mephisto" von Klaus Mann in Bochum

Wie sich politische Haltungen biegen lassen

Der deutsche Schauspieler, Regisseur und Theaterintendant Gustaf Gründgens als Mephisto in einer Szene von Goethes Faust II in einer von ihm im Jahr 1959 am Deutschen Schauspielhaus Hamburg inszenierten Aufführung.
Der deutsche Schauspieler, Regisseur und Theaterintendant Gustaf Gründgens als Mephisto © picture-alliance / dpa / Herold
Von Dorothea Marcus · 13.05.2016
Wie positioniert man sich politisch, wenn die eigene Haut und die Karriere auf dem Spiel stehen? Regisseurin Daniela Löffner nimmt sich am Bochumer Schauspielhaus Klaus Manns weltberühmten Roman "Mephisto" als Grundlage und macht dennoch klar, dass diese Frage zeitlos ist.
Die Bühne ist die Theaterkantine von Bochum. Besser gesagt: eine Fototapete der Kantine, also ihr täuschendes Abbild. Zur Dramatisierung des Theaterromans "Mephisto" am Bochumer Schauspielhaus nimmt Daniela Löffner die Bühnenwelt quasi als Gleitmittel, um die Welten der 1920er- und 1930er-Jahre und jene der Gegenwart parallel zu schalten, elegant zwischen Zeiten, Ebenen, Welten und Szenen zu springen. Theater ist Leben und Leben ist Theater.
"Die ist Jüdin", sagt der erfolglose Jungschauspieler und spätere Nazi (Torsten Flassig) verächtlich ins Kantinengeplänkel hinein, "Jüdin – ist das 1926 oder heute gesagt?", fragt eine andere zurück und erinnert sanft und unangestrengt gegenwärtig daran, dass die Kontexte immer mitgedacht werden müssen. Am Anfang sagt noch stets die Disponentenstimme aus dem Lautsprecher an, in welcher Szene man sich befindet. Später, als das Nazi-Regime schon längst etabliert ist, verkündigt die Lautsprecherstimme nur noch Endzeitliches: "Kommen Sie nicht nach Deutschland, es könnte lebensgefährlich sein".
Frontal zum Publikum mit offenem Saallicht analysieren die Darsteller immer mal wieder das Konzept der Regisseurin, kommentieren, wenn etwas chronologisch nicht passt immer wieder helfen sie auch, das Bühnenbild auf- und abzubauen. Restlos hat Daniela Löffner den Roman durchdialogisiert, von einem auktorialen Erzähler ist nichts zu spüren. Schnell verwandelt sich die Fotokantine in die lamettaglitzernde Show-Kulisse von Hendrik Höfgens großem Aufstieg im Dritten Reich.

AfD-Rekordwerte werden stets mitgedacht

Und dennoch ist die heutige Situation, Deutschland mit AfD-Rekordwerten, stets mitgedacht, wenn die Deutschlandfahne sich neben Hakenkreuz-Banner gesellt und Flugblätter von damals und heute hochgehalten werden. Einen plumpen Vergleich von Weimarer Republik und Deutschland 2016 ist das nicht, eher eine Warnung zur Vorsicht.
Löffner kristallisiert in ihrem spielerischen Erzähltheater die zeitlos aktuelle Grundfrage heraus: Wie positioniert man sich politisch, wenn die eigene Haut und Karriere auf dem Spiel stehen? Wer würde sich nicht das gesellschaftlich genehme Gesinnungsmäntelchen überwerfen, wenn es an die eigene Komfortzone ginge? Das Problem bei Höfgens ist, dass er dabei zum Repräsentanten und Helfer des Systems wird.
Höfgen, jener verführte Verführer, brillante und schillernde Theatermann und auch nach 1945 hochdekoriertes Kunst-Aushängeschild der jungen Bundesrepublik, ist in Gestalt von Raiko Küster ein grundsympathischer, gutaussehender Mann, blonde Haare und blaue Augen, erfolgreich bei Frauen, Homosexualität und SM-Neigung mit Peitschenfrau Julietta (Juliane Fisch) diskret verschweigend.

"Bin ich ein Schurke?"

Küster spielt ihn glatt, frisch, grundsympathisch und fast unschuldig eitel, wie er immer wieder das Goldlametta über sich schmeißt, zunächst den linken Nazi-Gegner vortäuscht und dann doch stets die Proben des "revolutionären Theaters" seines kommunistischen Freundes Otto vergisst, die Frauen wechselt, wenn sie nicht weiterhelfen – und angeblich nur ein "gewöhnlicher Schauspieler" sein wollte. "Bin ich ein Schurke?" fragt Höfgen einmal, "du hast doch nur Erfolg", sagt sein Garderobier (Klaus Weiss).
Raiko Köster suhlt sich lustvoll und charismatisch darin, röhrt in erfolgsberauschter Grönemeyer-Manier "Ich bin oben", während der rote Teppich oben gespiegelt wie ein Nazibanner aussieht. Als er vom dicken preußischen Ministerpräsidenten (Günter Alt) endlich in die (echte Bochumer) Intendantenloge gebeten wird, der ganz große Karrieresprung ist da, legt Raiko Küster eine elegante Chaplin-Nummer ein, posiert in kritischer Haltung quasi als Alibi vor dem eigenen Bewusstsein: Der erfolgreiche Künstler kann sich eigene Haltungen besonders schön immer wieder neu anpinseln.
Wo liegen die Grenzen der Selbstkorrumpierung? Wo liegen sie in der Kunst? Daniela Löffner analysiert nicht, sondern arbeitet das an ihrem leichtfüßig tiefgehenden Abend als die entscheidende, aktuelle Fragestellung des "Mephisto" heraus.
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