Menschenrechtsverletzungen "ansprechen" statt "anprangern"

Ernst-Jörg von Studnitz im Gespräch mit André Hatting · 18.07.2011
Menschenrechtsfragen gehören zum Themenkatalog der deutsch-russischen Beziehungen, "die Frage ist nur, wie man sie so anbringt, dass sie auch Wirkung erzeugen", sagt Ernst-Jörg von Studnitz vom Deutsch-Russischen Forum angesichts des Petersburger Dialogs zwischen deutschen und russischen Vertretern in Niedersachsen. Öffentliches Anprangern bewirke wenig.
André Hatting: Die deutsch-britischen Konferenzen in Königswinter haben in den 50er-Jahren das Klima zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern nachhaltig verbessert, dasselbe soll der Petersburger Dialog für das deutsch-russische Verhältnis leisten. 2001 von Ex-Kanzler Schröder und Ex-Präsident Putin begründet, findet die Hauptkonferenz in diesem Jahr erstmals in Niedersachsen statt, gestern hat sie in Wolfsburg begonnen. Organisiert wird der Petersburger Dialog unter anderem vom Deutsch-Russischen Forum. Dessen Vorsitzender ist Ernst-Jörg von Studnitz, Botschafter a. D. Guten Morgen, Herr von Studnitz!

Ernst-Jörg von Studnitz: Guten Morgen, Herr Hatting!

Hatting: Oft erkennt man das Wichtigste daran, dass es verschwiegen wird. Öffentlich verneinen die russischen Gäste, dass sie um die Posse um den Quadriga-Preis verärgert sind. Was hören Sie denn so am Abendbankett inoffiziell?

von Studnitz: Darüber ist gar nicht mehr gesprochen worden gestern Abend. Das ist behandelt worden in einer kurzen Pressekonferenz mit den beiden Kovorsitzenden des Petersburger Dialoges, dem russischen Vizepremier Subkow und dem deutschen Kovorsitzenden Herrn Lothar de Maizière, ehemals der letzte frei gewählte Ministerpräsident der DDR. Die sind beide kurz darauf angesprochen worden und haben eine die Journalisten befriedigende Antwort gegeben, und damit war das Thema eigentlich erledigt.

Hatting: Ist das der Friedenspflicht geschuldet, dass man eben auf diesem Dialog eher miteinander sprechen und nicht streiten möchte?

von Studnitz: Das ist zweifellos so. Ich meine, das Verständnis, die Verständigungsbereitschaft zwischen Deutschen und Russen ist sehr stark und sehr groß und charakterisiert den Petersburger Dialog. Und deshalb hat man sich ... Subkow hat gesagt, das ist eine Sache, die muss die deutsche Jury entscheiden, dazu will ich mich nicht äußern, dazu kann ich mich nicht äußern, das ist eine deutsche Sache. Und de Maizière hat gesagt, diese Sache ist mittlerweile entschieden und ist keine Störung, wie wir eben gehört haben, der irgendwie bestehenden Beziehungen oder gar auch nur der Atmosphäre des deutsch-russischen Dialogs.

Hatting: Sie halten das offenbar auch nicht nur für eine höfliche Geste von russischer Seite, dass man sagt, das interessiert uns im Augenblick nicht mehr?

von Studnitz: Das ist eine notwendige Geste, dass man nicht irgendwelche Peinlichkeiten sich gegenseitig aufrechnet, das tut man einfach nicht.

Hatting: Der Petersburger Dialog, ich habe es eben erwähnt, findet in Wolfsburg statt. Kein Zufall, das ist die VW-Autostadt. Wollten die russischen Firmen nicht ursprünglich mal bei Opel einsteigen?

von Studnitz: Ja, aber darüber ist auch nicht gesprochen worden! – Schauen Sie, die Atmosphäre hier in Wolfsburg gestern Abend war also außerordentlich aufgeschlossen und freundschaftlich. Das Ambiente dieses großen Unternehmens und dieser wirklich höchst eindrucksvollen Auto-Stadt hat sich jedem mitgeteilt, ob Deutschem und Russen. Da war die Frage, ob man noch mal bei Opel einsteigen wollte, überhaupt gar kein Thema.

Hatting: Und der Einstieg von GAZPROM bei RWE – auch das ist ja zumindest im Vorfeld, heißt es, kursiert worden –, da gibt es Verhandlungen. Wird das ein Thema sein dieser Gespräche?

von Studnitz: Also, ich könnte mir durchaus vorstellen, dass darüber in der Arbeitsgruppe Wirtschaft auch ein paar Worte gewechselt werden. Das weiß man nicht, das ist ja auch ... Der Petersburger Dialog lebt ja durchaus auch von unvorhergesehenen, spontanen Ansprachen oder Themenvorbringen. Also, die Frage der Wirtschaft, die sich mit ... Die Arbeitsgruppe Wirtschaft wird sich beschäftigen mit dem Thema aktuelle Entwicklungen auf den Rohstoffmärkten, Möglichkeiten neuer bilateraler Strategien – da liegt das ja praktisch schon mit drin, die Frage, was wird mit der Verwendung des Rohstoffes Erdgas auf den Märkten? Da ist das Thema Einstieg bei RWE ganz dicht dabei.

Hatting: Ich greife das Wort von den bilateralen Strategien, das Sie gerade benutzt haben, noch mal auf: Früher war es in Deutschland ja so, dass mögliche Einstiege russischer Firmen gern blockiert worden sind von der Politik, Beispiel EADS, Telekom oder Infineon. Diesmal ist es erstaunlich ruhig. Ist das ein Zeichen für eine neue Qualität, vielleicht auch für ein neues Vertrauen für die russischen Geschäftspartner?

von Studnitz: Ich würde mal sagen, man hat sich natürlich auch mit dem Thema des russischen Einstiegs bei deutschen Großunternehmen, seitdem diese kritisch diskutierten Fälle, die Sie eben erwähnt haben, akut geworden sind, natürlich auch weiter beschäftigt, nicht wahr. Dass man sich immer ... Es ist ja auch durchaus deutscherseits kritisiert worden, dass man immer sagt, hier offen sein, Internationalität, und dann, wenn es zu irgendwelchen konkreten Dingen kommt, dann wird zurückgezuckt. Also, ich glaube, da ist durchaus auch in Deutschland schon ein Entwicklungsprozess, der sich abgespielt hat, sodass also man heute vielleicht mit größerer Gelassenheit auf das Thema Einstieg GAZPROM bei RWE schaut. Andererseits darf man ja nicht vergessen, dass mit der Entscheidung über den Ausstieg aus der Atomenergie die Frage, wie kommen wir denn zu sicherer Energie, wie kommen wir denn zu sicheren Bezügen für unsere Versorgungsunternehmen, wie kommen wir da zu sicheren Bezügen? Und dass da dieses Thema GAZPROM-RWE auf dem Tisch ist, das ist doch ganz normal.

Hatting: Und was man auch dazu sagen muss, ist, dass RWE dringend Geld braucht, dem Konzern geht es nämlich nicht so gut. Auf dem letzten Gipfel in Jekaterinburg wurde verabredet eine verstärkte Zusammenarbeit im Bereich der Hochtechnologie. Gibt es da sichtbare Ergebnisse oder ist es bei diesen Verabredungen nur geblieben?

von Studnitz: Nein, wissen Sie, das sind natürlich sagen wir mal strategische Entscheidungen. Einstieg bei der Hochtechnologie, Zusammenarbeit im Bereich der Hochtechnologie, das ist etwas, was natürlich nicht von einem aufs andere Jahr bereits umgesetzt oder realisiert werden kann. Dazu ist es zu langfristig zu sehen. Aber andererseits, dass das der Weg ist, den man beschreiten muss und den vor allen Dingen Russland gehen will, das ist ganz offensichtlich. Denn der Anteil hochtechnologischer Exportprodukte Russlands an seinen Exportgütern ist minimal, das ist weniger als zwei Prozent. Und keine moderne Wirtschaft kann es sich eigentlich erlauben, einen so geringen Anteil an den Gütern zu produzieren – schon nicht einmal produzieren in Russland, aber auch exportieren –, die eigentlich den modernen Welthandel ausmachen.

Hatting: Die Bundeskanzlerin hat versprochen, sie werde auch Menschenrechtsfragen ansprechen, zum Beispiel den Mord an der regierungskritischen Journalistin Estemirowa vor zwei Jahren. Herr von Studnitz, Menschenrechtsfragen sollen angesprochen werden – das klingt wie eine Pflichtübung, von der man weiß, dass es den russischen Partner eigentlich Null beeindruckt.

von Studnitz: Das will ich gar nicht mal sagen, dass es die Null beeindruckt, die Frage ist, ob sie gerne Wirkung nach außen zeigen. Die Menschenrechtsfragen gehören zu dem Themenkatalog der deutsch-russischen Beziehungen, die Frage ist nur, wie man sie anbringt und wie man sie so anbringt, dass sie auch Wirkung erzeugen. Ich will Ihnen mal ein kurzes Beispiel geben: Dieses schreckliche Bild von Chordorkowski im Käfig, wie er in seinem ersten Prozess gezeigt wurde, was alle Leute mit Abscheu berührt hat bei uns in Deutschland. Man hat auf stille Weise – nicht, dass man es offiziell angeprangert hat, aber auf stille Weise – mit den Russen gesprochen und hat gesagt, sagt mal, ist das wirklich notwendig, jemanden wie ein wildes Tier der Öffentlichkeit vorzuführen, zumal er ja immer noch als unschuldig angenommen wird? Was war die Reaktion: Beim nächsten Prozess war dieser Käfig nicht mehr da. Wissen Sie, das sind Wirkungen der Ansprache auch menschenrechtlicher Dinge, man muss immer überlegen, wie kann man etwas machen, um sich Gehör zu verschaffen. Das öffentliche Anprangern wird oftmals nichts bringen, aber das Ansprechen der Leute, die Entscheidungen fällen, und zu sagen, überlegt doch einmal, ob das wirklich notwendig ist, hat durchaus Erfolgsaussicht.

Hatting: Dazu ist der Petersburger Dialog da. Ich sprach mit Ernst-Jörg von Studnitz, Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums. Herr von Studnitz, ich bedanke mich für das Gespräch!

von Studnitz: Herr Hatting, sehr gerne, auf Widerhören!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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