Menschenrechtlerin Gannuschkina

"Die russische Zivilgesellschaft wird vernichtet"

Die russische Bürgerrechtlerin Swetlana Gannuschkina am 2011 in ihrer Wohnung in Moskau.
Die russische Bürgerrechtlerin Swetlana Gannuschkina. © picture alliance / dpa / Ulf Mauder
Von Sabine Adler · 09.12.2015
Hartnäckig widerspricht die russische Menschenrechtlerin Swetlana Gannuschkina der Meinung, Präsident Putin genieße das ungebrochene Vertrauen seiner Landsleute. Bei ihrer Organisation suchten jedes Jahr Tausende Unterstützung gegen den Staat, beschreibt sie in ihrem Buch "Auch wir sind Russland". Und sie warnt: Solche Institutionen könnte es nicht mehr lange geben.
Swetlana Gannuschkina ist anders als die meisten ihrer Landsleute. Sie lehnt die Politik Putins ab und besteht darauf, dass das Bild, das sich die Welt von Russland macht, auch Kritiker wie sie einschließt. Sie ist sich zudem sicher, dass es keine 85 Prozent Putin-Fans gibt, denn die Erfahrungen in ihrer Menschenrechtsorganisation Bürgerhilfe sprächen eine andere Sprache.

"Diese 85 Prozent Unterstützung sind nicht das Ergebnis von üblichen Umfragen, sondern die Leute geben Antworten, die von ihnen erwartet werden. Einfache Leute, die vielleicht Putin unterstützen, wenden sich zugleich an uns, weil sie Hilfe brauchen in einem Gerichtsverfahren, das gegen sie willkürlich eröffnet wurde, weil man ihnen ein Verbrechen anhängt, das sie nicht begangen haben. Die Nachfrage nach unserer Hilfe ist kolossal, jedes Jahr kommen einige Tausend zu uns."
Pro Jahr führt ihre Hilfsorganisation allein für Migranten 20.000 Konsultationen durch. 99 Prozent der Gerichtsverfahren in Russland enden mit einer Verurteilung. Abschiebungsverfahren vor Gericht dauern durchschnittlich drei Minuten. Syrische Flüchtlinge allerdings werden nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes nicht mehr abgeschoben.
"1500 Syrer haben einen zeitlich befristeten Aufenthaltsstatus, zwei Personen einen unbefristeten. Aber 8000 warten auf eine Lösung. In den vergangenen Monaten ist ein Teil von ihnen an die norwegische Grenze gebracht worden. Sie sollten Asyl in Norwegen beantragen. Ich war selbst dort an der Grenze und habe das beobachtet."
Um ukrainische Flüchtlinge kümmert sich keiner mehr
Genau 795 Personen sind in Russland als Flüchtlinge anerkannt. Keine 800. Sie erhalten keinerlei materielle Unterstützung. Es gibt drei Unterkünfte, in denen nur ein Bruchteil von ihnen unterkommt. 326.000 Ukrainer haben einen befristeten Flüchtlingsstatus.
"Das ist die größte Gruppe. Der Staat und die Bevölkerung wollten sie aufnehmen. Aber das ist auch die Gruppe, um die sich heute keiner mehr kümmert. Die man aus den Wohnheimen, wo sie untergekommen sind, rauswirft. Die den Familien, die sie aufgenommen haben, lästig werden. Der Enthusiasmus ist ziemlich schnell verflogen."
Regierungsunabhängige Organisationen wie Memorial, das Sacharow-Zentrum und die Bürgerhilfe wurden zu sogenannten ausländischen Agenten erklärt, wegen ihrer internationalen Geldgeber. Swetlana Gannuschkina ist damit genau genommen eine Dreifach-Agentin, denn sie arbeitet in diesen drei Einrichtungen. Seit Jahrzehnten. Schwer sei es immer gewesen, jetzt aber könnte ein Gesetzesvorhaben der Duma das Aus für die Hilfsorganisation bedeuten.
Unerklärliche Unterstützung für Putin in Deutschland
"Die Zivilgesellschaft wird vernichtet. Das Gesetz über die sogenannten ausländischen Agenten geht in die dritte Runde. Jetzt will die Duma uns jegliche Zusammenarbeit mit den Behörden verbieten. Als jetzt kürzlich die ukrainischen Flüchtlinge aus dem Wohnheim geworfen worden sind, haben wir uns an den Migrationsdienst gewandt und zusammen eine neue Unterkunft gesucht. So etwas wäre in Zukunft verboten."
In ihrem Buch geht es Swetlana Gannuschkina um ihre Schützlinge, die in vielfacher Weise von den russischen Behörden geknechtet werden. Davon möchte sie vor allem in Deutschland berichten, wo sie auf eine ihr unerklärliche Unterstützung für den russischen Präsidenten stößt.
"In der deutschen Bevölkerung und unter den deutschen Unternehmern. Eine Angestellte der Deutschen Bank in Moskau hat gefordert, die Putin-Schelte zu beenden. Sie lebe in Moskau, sie kenne Russland. Ich habe ihr gesagt: 'Sie wohnen auf der Twerskaja, einem reichen Viertel in der Hauptstadt. Das ist nicht Russland. Russland könne sie kennenlernen, wenn sie sich anhören würden, was die Menschen erzählen, die sich in den 50 Büros landesweit an unsere Hilfsorganisation wenden. Das ist Russland.'"
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