"Menschenrechte sind Sache des Richters"

Andreas Auer im Gespräch mit Marcus Pindur · 29.11.2010
Der Züricher Jurist Andreas Auer macht eine fremdenfeindliche Stimmung für das Ergebnis der Schweizer Volksabstimmung verantwortlich, bei der sich eine Mehrheit für die Abschiebung krimineller Ausländer ausgesprochen hat.
Marcus Pindur: Die Mehrheit war am Ende dann doch klarer als angenommen: Die Schweizer haben sich in einer Volksabstimmung für eine Verschärfung des Ausländerrechtes ausgesprochen. Wer in der Schweiz ein Verbrechen begeht, wird in Zukunft automatisch abgeschoben, auch wenn Leib und Leben im Ursprungsland bedroht sind. Und ich begrüße jetzt Professor Andreas Auer, er lehrt öffentliches Recht an der Universität Zürich. Guten Morgen, Herr Auer!

Andreas Auer: Guten Morgen!

Pindur: Warum diese Entscheidung eigentlich, warum dieser Volksentscheid? Gab es dafür einen aktuellen Anlass?

Auer: Nein, es ist eine allgemeine Stimmung, die eigentlich schon sehr lange dauert. Es gibt seit mehr als 30 Jahren fremdenfeindliche Initiativen, die bisher alle immer abgelehnt worden sind. Und jetzt ist diese mal durchgekommen. Weil die früheren Initiativen waren mehr darin gerichtet, dass man sich gegen die Einwanderung stemmen wollte, man wollte nicht zu viele Ausländer. Nun sind sie da und jetzt will man einfach die kriminellen Ausländer ausschaffen. Das ist die Logik dahinter.

Pindur: Sie sprechen von einer fremdenfeindlichen Stoßrichtung. Wie sehen denn Ihre rechtlichen Bedenken gegen diesen Abschiebungsautomatismus aus?

Auer: Ja, ich glaube, das ist eigentlich das – wenn man das so sagen darf – Positive an der ganzen Sache, dass man jetzt diese Abstimmung durchgebracht hat und dass jetzt sie umgesetzt werden muss, und da wird man an Grenzen stoßen. Da wird man sehen können, dass eben in Bezug auf Menschenrechte, wie Sie gesagt haben, Verhältnismäßigkeitsprinzip, Schutz des Familienlebens, Willkür und so weiter, dass man hier nicht mehr die staatliche Souveränität, auch jene des Volkes, vorschieben kann, sondern da werden die Grenzen gesetzt. Nicht unmittelbar, im ersten Moment wird überhaupt nichts geschehen, während drei, vier, fünf Jahren, da wird nichts geschehen, denn das Parlament muss jetzt ja ein Ausführungsgesetz erlassen.

Pindur: Sie sprechen von der Verhältnismäßigkeit, die nicht gewährleistet sei. Das ist aber natürlich auch ein interpretierbarer Begriff, wo setzen Sie denn da an, was ist in Ihren Augen nicht verhältnismäßig?

Auer: Ja das kann man eben nicht abstrakt sagen, oder. Die Initiative sieht vor, sieht eine automatische Ausweisung vor, das kann eben in Einzelfällen dazu führen, dass man nicht mehr auf die Verhältnisse abstellt und dass die speziellen Bedingungen der betroffenen Personen nicht berücksichtigt werden. Und das kann dann vom Richter im Einzelfall, nur der Richter kann das feststellen. Menschenrechte sind Sache des Richters, des nationalen Richters und auch des internationalen Richters.

Pindur: Wie kann denn jetzt das Parlament, das ja jetzt gefordert ist daraus ein Gesetz zu machen, wie kann das Parlament oder kann es überhaupt diese Entscheidung noch rechtsstaatlich glätten?

Auer: Es wird das versuchen, aber das wird eine sehr, sehr heikle Aufgabe sein. Denn Sie haben auf der einen Seite die Vorschriften jetzt dieser neuen Verfassungsbestimmung, die ziemlich klar die einzelnen Vergehen aufzählt, welche zur Ausschaffung führen sollten. Auf der anderen Seite haben Sie die Grundsätze des Völkerrechts und der Menschenrechte, welche auch beachtet werden müssen, und da muss das Parlament zu einem Weg finden. Man kann das schon voraussehen: Falls es ein Gesetz geben wird in ein paar Jahren, dann werden die Urheber dieser Initiative damit nicht zufrieden sein und werden wieder ans Volk appellieren, und diejenigen, die gegen diese ganze Ausschaffungsproblematik sind, die werden auch dagegen opponieren. Also wird es nochmals eine Volksabstimmung geben über dieses Gesetz. Das ist nun mal so bei uns in der Schweiz.

Pindur: Könnte die Schweiz da relativ schnell mit internationalen Gremien wie zum Beispiel dem Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg in Konflikt geraten?

Auer: Also ich glaube nicht, dass es sehr schnell gehen wird, bis ein Gericht darüber zu entscheiden hat. Schneller vielleicht wird dann die Reaktion der Europäischen Union sein mit dem Freizügigkeitsabkommen. Das ist ja vorauszusehen, dass das dann nicht mehr stimmt, denn wir haben uns ja vertraglich mit der EU dahin geeinigt, dass eben die EU-Bürgerinnen natürlich ausgewiesen werden können, aber nur aufgrund einer eingehenden Prüfung der tatsächlichen Umstände. Und da kann ich mir vorstellen, dass es nicht einen gerichtlichen Eingriff geben wird, denn der Europäische Gerichtshof ist nicht zuständig für das Freizügigkeitsabkommen, aber eine politische Stellungnahme, das könnte ohne Weiteres sein.

Pindur: Jetzt ist das ein Volksentscheid, also ein Entscheid des Souveräns. Muss man das nicht auch in weiten Linien dann anerkennen politisch?

Auer: Das wird anerkannt, das muss anerkannt werden selbstverständlich. Das Volk ist die höchste Gewalt. Aber eben wir sind jetzt daran zu lernen, dass auch das Volk an gewisse Prinzipien gebunden ist und dass es seine Souveränität sich nur im Rahmen der Rechtsordnung abspielen kann. Und das wollen viele Urheber dieser Initiative nicht wahrhaben. Da werden sie losziehen gegen die Richter, gegen die Professoren und gegen das Völkerrecht und gegen ausländische Richter und so weiter, aber das ist eigentlich eine Debatte, die wir jetzt endlich mal führen müssen.

Pindur: Die Schweiz ist ein Land mit einem relativ hohen Ausländeranteil. Die Schweiz ist auch ein Land, das international viele Geschäfte macht und auch darauf angewiesen ist, internationale Investoren zu haben. Denken Sie, dass das Image des Landes jetzt Schaden nehmen könnte dadurch?

Auer: Ja, das könnte der Fall sein. Aber sehen Sie, eigentlich geht es bei dieser Initiative weniger um eine Sachentscheidung, um eine Verfassungsänderung, sondern es ist ein symbolischer Ausdruck. Diejenigen, die diese Initiative lanciert haben, die wissen, dass es Umsetzungsschwierigkeiten geben wird, aber sie wollten sich positionieren: Wir haben nächstes Jahr den großen Wahlkampf in der Schweiz, und da jetzt haben sie natürlich diese Volksabstimmung gewonnen. Und das bringt sie in eine gute Lage. Also das Volksinitiativrecht wird eigentlich ein wenig umgewandelt in ein Instrument des Wahlkampfes, auch die Linke tut dasselbe, sie hat mit ihrer Besteuerungsinitiative genau in dieselbe Kerbe gehauen. Also das Volksinitiativrecht hat einen symbolischen Gehalt bekommen, in Bezug auf damit die Parteien sich positionieren können auf den künftigen Wahlgang hin.

Pindur: Herr Auer, haben Sie recht herzlichen Dank für das Gespräch!

Auer: Danke vielmals!

Pindur: Professor Andreas Auer, er lehrt öffentliches Recht an der Universität Zürich.

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