Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser

Tom Koenigs im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 22.03.2013
Der Begriff des virtuellen Wassers könne helfen, "bestimmte Prozesse bewusst zu machen", meint der Grünen-Bundestagsabgeordnete Tom Koenigs. Er hält eine Senkung des durchschnittlichen Wasserverbrauchs der Deutschen um die Hälfte für möglich.
Stephan Karkowsky: Virtuelles Wasser, das ist ein durchaus umstrittenes Konzept, das vor knapp 20 Jahren bereits entwickelt wurde. Es beschreibt die Menge an Wasser, die wir nicht real verbrauchen durch Duschen, Blumengießen und Nudeln Kochen, sondern virtuell, durch etwa die Menge Wasser, die ein Rindersteak braucht, bis es auf unserem Teller liegt, oder ein Baumwoll-T-Shirt. Der grüne Bundestagsabgeordnete Tom Koenigs kennt sich damit aus, er ist Autor des Wassersparbuchs "Minus 50 Prozent Wasser möglich". Herr Koenigs, guten Tag.

Tom Koenigs: Guten Tag, Herr Karkowsky.

Karkowsky: 4.000 bis 5.000 Liter virtuellen Wassers verbraucht jeder von uns angeblich jeden Tag. Überzeugt Sie das?

Koenigs: Das ist zweifellos richtig, und wenn man eine gesamtwasserwirtschaftliche Bilanz zieht, ist das eine wesentliche Größe. Man darf da nicht nur die 120 Liter täglich oder 180 oder 90, je nachdem, wie sparsam man mit dem Trinkwasser, Zahnputzwasser, Nudelkochwasser umgeht, berechnen, sondern muss auch das Wasser berechnen, das man durch Produkte, die man verbraucht, indirekt in Anspruch nimmt. Und wenn man in einem Land lebt, wo das Wasser knapp ist – das ist unser Land nur in einzelnen Bereichen –, und in einem Land, wo es auch für die Lebensgestaltung der gesamten Bevölkerung darauf ankommt, dass mit diesem Gut sehr sparsam umgegangen wird, dann macht das schon in der öffentlichen Daseinsvorsorge einen ganz großen Anteil aus, wie vorsichtig die Gesamtwasserwirtschaft mit dem begrenzten Gut Wasser umgeht, um dann das Menschenrecht auf Wasser zu gewährleisten, nämlich das Recht jedes Einzelnen, genug sauberes Trinkwasser und eine ordentliche Sanitärversorgung beanspruchen zu können.

Karkowsky: Professor Erik Gawel vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung weist in einem Interview mit dem Debattenmagazin "The European" darauf hin, dass die Hauptexporteure von virtuellem Wasser gerade nicht die Entwicklungsländer sind, sondern die Industrieländer selbst. Man könnte also argumentieren, wenn die EU Afrika mit subventioniertem Gemüse aus Holland und Spanien überschwemmt, dann kommt das Wasser aus den Industrienationen gerade in diese Länder, in denen das Wasser knapp ist.

Koenigs: Das ist auch zweifellos richtig. Es ist auch so, dass ich nicht glaube, dass der Begriff des virtuellen Wassers alleine zu einer vernünftigen Wasserwirtschaft führt. Man muss sich aber zum Beispiel in einem Land wie Palästina sehr genau überlegen, welche Industrien man zum Beispiel fördert, welche nicht. Dass man eben dort keine besonders wasserintensiven Industrien ansiedelt, ist eigentlich selbstverständlich. Wenn es dann ins Einzelne geht, wird es sehr komplex, und da ist dann auch die Grenze dieses Begriffs virtuelles Wasser. Ich glaube, das ist wichtig und notwendig, um bestimmte Prozesse bewusst zu machen, es hilft aber, glaube ich, zum Wassermanagement nicht so viel. Da gibt es andere Begriffe, ich finde das Konzept des Wasserfußabdruckes eigentlich aussagekräftiger.

Karkowsky: Wie unterscheidet sich das denn von dem Konzept des virtuellen Wassers?

Koenigs: Der Wasserfußabdruck ordnet entweder Personen oder Unternehmen oder ganzen Ländern Wasserverbräuche zu, die sowohl aus der direkten, also was Sie anfangs gesagt haben, der Konsum des Menschen, Wassernutzung bestehen, als auch eben aus den virtuellen und indirekten. Und dann können Sie eben sagen, bestimmte Unternehmen oder ganze Länder haben einen Nettoverbrauch oder eine Nettoimportnotwendigkeit an Wasser, und Sie können dann sagen, zum Beispiel in Deutschland braucht man täglich etwa 5.288 Liter Wasser pro Einwohner. Der globale Durchschnitt ist 3.400, wir könnten wahrscheinlich etwas effizienter wirtschaften und dann den globalen Durchschnitt erreichen. Ein Land, das sehr wenig Wasser hat, kann das natürlich nicht und muss sich dann sehr genau überlegen, was man macht, um – und das ist letzten Endes das Ziel – die öffentliche Daseinsvorsorge mit Wasser noch gewährleisten zu können.

Karkowsky: Nun wenden Kritiker solcher Konzepte ein, eine rein quantitative Auflistung der verbrauchten Wassermengen bringt gar nichts, weil diese Zahl nichts darüber aussagen kann, ob das Wasser sinnvoll und nachhaltig verwendet wurde oder ob es anderen Menschen den Zugang zum Wasser erschwert.

Koenigs: Zweifellos muss noch eine qualitative Komponente dazukommen, das ist sowohl die Wasserqualität als auch für die jeweilige Nutzung eine angepasste Wasserqualität. Die höchste muss natürlich das Trinkwasser haben, aber schon für das Waschwasser brauchen Sie eine nicht so hohe Qualität, und für das Industriewasser eine noch viel niedrigere. Da geht es dann in die qualitativen Analysen, die notwendig sind und die auch hilfreich sind, zum Beispiel in unserem täglichen Wasserverbrauch ist die größte Menge ja für die Toilettenspülung verwendet – da brauchen wir kein Trinkwasser, da könnten wir auch auf Brauchwasser umstellen. Und wenn in Dritte-Welt-Wasserversorgungen es eine Brauchwasser- und Trinkwasserunterscheidung gäbe, würde man zum Beispiel die Toilettenspülung in einer anderen Weise nutzen, oder man würde sich überlegen, ob in bestimmten Großballungszentren wirklich die Wasserspülung das beste Konzept ist. Zweifellos nicht. Das ist ein Konzept, das wir von hier aus exportiert haben, das aber letzten Endes nicht nachhaltig ist. Sie können sich die großen Agglomerationen allein mit Wasserspülung überhaupt nicht vorstellen.

Karkowsky: Sie hören den grünen Bundestagsabgeordneten Tom Koenigs zum Weltwassertag. Herr Koenigs, bleiben wir noch kurz dabei: Wir sind ja, wir Deutschen, schon Europameister im Wassersparen, verbrauchen real nur so was um die 122 Liter am Tag, und das schafft Probleme, sagt die Wasserwirtschaft, weil nämlich viele Sparschaltungen haben, gerade an ihren Toiletten, und diese Leitungen seien für 200 Liter pro Tag ausgelegt, wenn die nicht ausreichend gespült werden, muss das Wasserwerk nachspülen und verbraucht unten das Wasser, was wir oben sparen. Oder halten Sie das für Panikmache der Wasserwirtschaft?

Koenigs: Das halte ich für eine Panikmache, denn die meisten Kanäle sind Mischkanäle und können deshalb durchaus mit dem Regenwasser – und werden auch damit hinreichend gespült. Wenn manche Kanalisationen nicht vernünftig ausgelegt worden sind, dann muss man unter Umständen irgendwo noch mit Brauchwasser nachspülen, das ist aber kein Problem. Das ist bei uns meines Erachtens nun wiederum eine virtuelle Debatte.

In anderen Ländern ist es sehr wichtig, dass man sieht, ob man eine Wasserversorgung und im Kanal allein mit dem Trinkwasser, das dann möglicherweise auch noch sehr sparsam fließt oder genutzt wird, betreiben kann, oder ob man da zu anderen Systemen kommen muss.

Karkowsky: Unser Deutschlandradio-Kultur-Kolumnist, der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer, hat erst vor Kurzem das Konzept des virtuellen Wassers verglichen mit dem Versuch, die Chinesen verantwortlich zu machen dafür, dass sie uns so viel virtuelle Luft wegatmen, und er hat satirisch empfohlen, auf Sport zu verzichten, das würde uns die Sauerstoffbilanz verhageln. Letzten Endes geht doch kein Tropfen Wasser auf der Erde verloren – hat er dann nicht Recht?

Koenigs: Das Wasser verändert sich aber sehr stark. Schon wenn es ins Meer fließt, ist es salzig und ist für zum Beispiel Trinkwasser nicht mehr nutzbar. Da muss man dann wieder sehr viel Energie investieren, um das wieder zu reinigen und zu entsalzen. Und die Unterscheidung in Trinkwasser, direkt verbrauchtes Wasser, indirekt verbrauchtes Wasser, das dann oft Brauchwasser ist, das ist doch sehr vernünftig. Und wenn man den Begriff des virtuellen Wassers dafür benutzen kann, um moralische Appelle abzugeben, das ist sicher nicht geeignet. Man kann aber sehr wohl dazu aufrufen, beim direkten Wasserverbrauch sich zu mäßigen – in manchen Ländern muss man das. Oder man muss das Menschenrecht auf Wasser, das einen diskriminierungsfreien Zugang zu einer bestimmten Menge sauberem Trinkwasser garantieren soll, da kann man sehr deutlich sagen, dieses darf nicht vernutzt werden durch eine meinetwegen Überproduktion von Fleisch oder Rindertränken und so was. Das geht dann ans Eingemachte. Von daher ist der Begriff zum Bewusstmachen sinnvoll, aber nicht als moralischer Imperativ: Bitte kauft euch jetzt lieber T-Shirts als Jeans.

Karkowsky: Und am Ende möchte ich als Verbraucher doch von Fachleuten wie Ihnen wissen, was soll ich tun, Herr Koenigs? Soll ich keine holländischen Tomaten mehr kaufen, weil ich den Holländern damit das Wasser wegnehme? Soll ich auf Papier ganz verzichten, weil laut virtuelles Wasserkonzept ein Din-A-4-Blatt zehn Liter virtuelles Wasser verbraucht?

Koenigs: Nein, ich glaube, wie gesagt, das virtuelle Wasser dient sehr wohl zur Wasserwirtschaft im Gesamten, zur Berechnung und Wassergesamtbilanzen und so was, aber nicht für den individuellen Verbrauch. Aber dass Sie Trinkwasser sparen, das ist in manchen Regionen sehr wichtig. Zum Beispiel standen wir in Frankfurt vor dem Problem: Bauen wir ein neues Wasserwerk oder sparen wir Wasser? Und dieses Wasserwerk dann zulasten einer Gegend, die ökologisch vertrocknet, da haben wir uns dann entschlossen, Wasser zu sparen, und haben eben dieses Wasserwerk nicht bauen müssen, so dass dem Vogelsberg die Wiesen nicht trockenfallen. Das ist eine ganz konkrete, auch in unseren Breiten wichtige Position. Aber wenn Sie in einem Bergdorf in der Schweiz, wo das Wasser überhaupt nichts kostet, mehr oder weniger den Wasserhahn aufdrehen, das ist vollkommen egal.

Karkowsky: Zum internationalen Weltwassertag hörten Sie den grünen Bundestagsabgeordneten Tom Koenigs. Er ist Autor des Wassersparbuchs "Minus 50 Prozent Wasser möglich". Herr Koenigs, danke für das Gespräch.

Koenigs: Danke, Ihnen auch.
Tom Koenigs (Grüne) ist der Sonderbeauftragter der UN-Hilfsmission in Afghanistan
Tom Koenigs (Grüne)© AP Archiv
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