Leben vor der Eingabemaske

Die digitale Welt drückt uns immer mehr Arbeit auf

Ein Mann ist von oben zu sehen, wie er an einem Tisch mit dem Computer und mehreren anderen digitalen Geräten wie Notebook, Smartphone, Smartwatch arbeitet.
Zuhause arbeiten am Computer © imago / Westend61
Von Enno Park · 17.02.2017
Vor Monitoren sitzen, Häkchen setzen, Felder ausfüllen: Diese langweilige Betätigung prägt oft unseren Alltag. Der Informatiker Enno Park fragt, ob die Rechner, die die Daten auswerten, inzwischen nicht den interessanteren Job machen.
Nachname, Vorname, Geburtsdatum, Geschlecht – wenn wir vor einem Computer sitzen, verbringen wir erstaunlich viel Zeit damit, Eingabemasken auszufüllen. Straße, Hausnummer, Postleitzahl, Ort – das tippen wir wieder und wieder ein. Egal ob wir Waren bestellen, eine Fahrkarte buchen, Geld überweisen, die Steuererklärung machen oder uns für einen Arbeitsplatz bewerben: Der Computer fragt nach IBAN, TAN, Kreditkartennummer, Versicherungsnummer, Telefonnummer, E-Mail-Adresse und nach dem Passwort. Verdammt, wie hieß noch das vermaledeite Passwort?

Wer arbeitet eigentlich für wen?

Wann immer wir Eingabemasken an Bildschirmen ausfüllen, stellt sich die Frage, wer da gerade für wen arbeitet. Der Computer für uns oder wir für den Computer? Dem helfen wir nämlich ständig, indem wir ihm allerlei Daten mundgerecht aufbereiten, damit seine Algorithmen sie weiter verarbeiten können. Denn trotz aller Fortschritte in der künstlichen Intelligenz kommen Computer eben doch selten ohne Menschen aus, die Daten für sie vorverdauen.
Unternehmen sparen dadurch viel Geld für Personal, indem sie Arbeit – nämlich das immer neue Ausfüllen von Eingabemasken - an die Kundschaft auslagern. Und das finden wir oft gar nicht so unangenehm: Die Eingabemaske verspricht Selbermachen und Kontrolle. Zum Beispiel wenn wir online eine Pizza oder Nr. 42 mit Huhn bestellen. Dann kann das Herumklicken auf der Webseite mit der Speisekarte angenehmer sein als ein Telefonat mit gehetztem Restaurant-Personal vor gastronomischer Geräuschkulisse.

Die Steuererklärung als Dauerzustand

Und so haben wir unseren Alltag fast unmerklich in eine Welt voller Eingabemasken verwandelt. Die Steuererklärung als Dauerzustand, sozusagen. Besonders zu leiden haben darunter Sachbearbeiter, die wir eigentlich entlasten wollten. Kein Besuch bei einer Bank oder einer Behörde ohne dass wir für eine Weile die Rückseite eines Bildschirmes betrachten, während dahinter die meist weibliche Sachbearbeiterin mit der Maus in Eingabemasken herumstochert. Sie setzt hier ein Häkchen, tippt dort etwas ein und hält dabei mindestens einmal inne und starrt mit Stirnrunzeln und fragendem Blick auf die Eingabemaske, weil sie auf ein unvorhergesehenes Problem gestoßen ist
Hatte das Papierformular für subversiv veranlagte Zeitgenossen noch die Möglichkeit, etwas nicht vorgesehenes mit der Hand an den Rand zu schreiben, lässt uns die Eingabemaske diesen Spielraum nicht. Das ist schlecht, denn oft betreiben wir den ganzen Aufwand, damit der Computer für uns Entscheidungen fällt. Bekomme ich den gewünschten Kredit oder Studienplatz oder ein billiges Flugticket? Das soll keine Kritik an den allgegenwärtigen Algorithmen sein, schließlich sind derart automatisch gefällte Entscheidungen nicht per se ungerecht. Denn in der Eingabemaske gibt es kein Feld dafür, ob ich gerade eine Krawatte trage.

Haben die Computer die interessanteren Jobs?

Egal ob Ärztin oder Kellner: Immer mehr Berufe füllen sich langsam mit immer mehr Eingabemasken. Und in der Freizeit ist dann das zentrale Element von Facebook wiederum eine Eingabemaske. Da bleibt die Frage: Wenn wir uns immer mehr dazu degradieren, Computer zu füttern, damit sie die Entscheidungen für uns treffen: Haben dann nicht die Computer am Ende die interessanteren Jobs als wir Menschen?
Vom Nachdenken über diese Frage hält mich allerdings gerade ab, dass mir immer noch nicht dieses vermaledeite Passwort einfallen will. In dieser Situation kramen nur Anfänger noch in der Schublade mit den Notizzetteln. Profis versuchen gar nicht mehr, es sich zu merken. Sie klicken grundsätzlich jedes mal auf "Passwort vergessen", wann immer sie eines irgendwo eintippen müssen.
Wer es so macht, lässt den Computer wieder für sich arbeiten statt umgekehrt. Wenigstens im Kleinen.

Enno Park ist Journalist und Wirtschaftsinformatiker. Er beschäftigt sich mit den Auswirkungen des digitalen Wandels auf die Gesellschaft bis hin zur Verschmelzung von Mensch und Maschine. Seit er Cochlea-Implantate trägt, bezeichnet er sich selbst als Cyborg und ist einer der Gründer des Cyborgs e.V. in Berlin.

© Deutschlandradio / Cara Wuchold
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