Menefreghismo

Gleichgültigkeit als italienisches Kulturgut

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"Menefreghismo" bezeichnet die Gleichgültigkeit viele Italiener gegenüber Obrigkeiten oder dem Leben selbst. © imago / David Ewing
Von Tilmann Kleinjung  · 04.12.2014
"Me ne frego" heißt so viel wie "Ich pfeife drauf". Und dieser Ausdruck bestimmt die Haltung vieler Italiener nicht nur gegenüber anderen, sondern auch gegenüber staatlichen Autoritäten. Geprägt wurde der "Menefreghismo" von den Faschisten.
Italien ist ein rätselhaftes Land, nicht nur für Ausländer.
Bei einem Besuch im Kundenzentrum des römischen Stromversorgers ACEA wird einem unmittelbar vor Augen und Ohren geführt, wie viele Italiener an diesem Rätsel täglich verzweifeln.
Ein Mann beschwert sich über seine Stromrechnung, über Briefe, Mahnungen, Einsprüche – all das offensichtlich nicht zum ersten Mal. Doch seine Tirade prallt an einer dicken Glasscheibe ab, hinter der sich die routiniert arrogante, desinteressierte Kundenbetreuerin verschanzt hat.
Bevor die Szene eskaliert, muss ein Wachdienst eingreifen und den Mann hinauskomplimentieren. Er wird wiederkommen und wieder an der Gleichgültigkeit der Bürokraten verzweifeln. Ein Lehrstück über die Un-Kultur des "Menefreghismo". Oder: Ist mir doch egal!
"Das bedeutet: Dinge an sich abprallen zu lassen. Es gibt ein Problem, aber mir ist das wurscht. Ich tue so, als wäre nichts und mache weiter."
Rom, die Hauptstadt des Menefreghismo
"Me ne frego“ heißt: "Da pfeif ich drauf" - um eine stubenreine Übersetzung zu gebrauchen. Elisa Peduto ist Journalistin und lebt in der Hauptstadt des Menefreghismo. In Rom.
Viele Alltags-Situationen sind hier ohne eine gehörige Portion „Menefreghismo“ nicht zu ertragen.
"Ich bin groß geworden in einer Stadt, in der es keinen funktionierenden Nahverkehr gibt und die ständige Nörgelei darüber. Die Leute haben resigniert. OK, die Busse fahren nicht, dann nehme ich eben Roller oder Auto, und brauche dreimal so lang für den Weg."
Menefreghismo ist eine an Apathie grenzende Gleichgültigkeit. In Italien hat es noch nie eine anständige Revolution gegeben.
Nicht einmal diesen Herrn, das vermeintliche Unschuldslamm Berlusconi, haben die Italiener selbst aus dem Amt gejagt. Der Staatspräsident und vermutlich auch sanfter Druck aus Brüssel haben dem italienischen Wahlvolk diese Arbeit abgenommen.
"Berlusconi hat viele Jahre regiert. Es gab viele Schwätzer, viele Klagen, aber nie was Konkretes. Und das hat viele Italiener entmutigt, eine konkrete Alternative zu diesem Problem zu finden, wenn man das so nennen darf."
Von den Faschisten erfunden
Die bösartige Schwester der Resignation ist die Rücksichtslosigkeit. Auch diese Form des Menefreghismo lässt sich hervorragend auf der Straße beobachten. Die Kreuzung ist dicht, die Ampel zeigt grün, fahr ich eben auch noch rein. Chi se ne frega? Wen kümmert's, dass der Verkehr nun endgültig blockiert ist? Mich nicht und den Verkehrspolizisten, der am Straßenrand steht, offenbar auch nicht.
"Me ne frego", ist mir doch wurscht – war der Lieblingsspruch von Diktator Benito Mussolini. Das Zitat wurde der Refrain einer faschistischen Hymne. "Wer genau weiß, was er will, braucht nicht viele Worte: Ist mir doch egal" - Me ne frego….
Der Menefreghismo wurde nicht von den Faschisten erfunden, er ist fester Bestandteil der italienischen Sprache, Kultur und Gestik. Man muss nicht me ne frego sagen. Es genügt das Kinn nach vorne zu strecken, die Finger halb gestreckt und vom Kehlkopf zum Kinn hinauf zu streichen und dabei die Mundwinkel nach unten zu ziehen. Deutlicher kann man Desinteresse nicht zum Ausdruck bringen.
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