Mendelsohnhaus

Ein Ort historischer Bedeutung

Das Mendelsohnhaus in Allenstein
Das Mendelsohnhaus in Allenstein © Arkadiusz Luba
Von Arkadiusz Luba · 19.09.2014
Erich Mendelsohn gilt als einer der größten Baukünstler des 20. Jahrhunderts. Über den heutigen Zustand seiner Bauten war noch vor ein paar Jahren nur wenig zu erfahren. Ein Besuch in seinem allerersten Bauwerk, dem Reinigungshaus in Allenstein.
"Es war eine Bruchbude. Man traf sich hier und hat mit Kumpels Bier getrunken."
30 Jahre lang diente das Mendelsohnsche Reinigungshaus der jüdischen Gemeinde in Allenstein. Mit der Auflösung des Ghettos wurden die hiesigen Juden 1943 in Konzentrationslagern vernichtet. 1952 übernahm das Gebäude das polnische Staatsarchiv und blieb hier knapp ein halbes Jahrhundert. Das Reinigungshaus stand dann leer und zerfiel.
Seit 2005 kümmert sich die Kulturgemeinschaft "Borussia" um das Objekt. Man entmüllte und sicherte das beinah komplett ruinierte Reinigungshaus, bis die Denkmalpflegerin Julia Martino mit den Renovierungsarbeiten begann. Sie wollte die alte Struktur so wenig wie möglich verändern, die vorhandene Bausubstanz bewahren und seine Schönheit hervorheben:
"Es ist nicht viel übrig geblieben von dem Original. Wichtig war es also für mich, den einmaligen Putz sowie die vielfarbigen Wandmalereien zu retten und die Tür- und Fenstertischlerei zu rekonstruieren. Auch die Terrazzofliesen brauchten viel Zuneigung."
"Goldene, kobaltblaue und smaragdgrüne Mosaikstücke"
Es gab Überraschungen in ihrer Arbeit. Unter einem Trümmer-Haufen in der Nähe des Reinigungshauses fand Martino goldene, kobaltblaue und smaragdgrüne Mosaikstücke sowie vielfarbige Simsfragmente. Sie wurden von den Innenwänden abgetrennt und weggeschmissen, bevor das Staatsarchiv hier einzog. Trotz 40 Jahren unter der Erde bewährten sie ihre intensiven Farben, freut sich die Denkmalpflegerin:
"Die blauen und die grünen Mosaike schmückten die Stützen; die goldenen bildeten einen Spruch Salomons aus der Bibel: 'Sicherlich gibt es eine Zukunft, deine Hoffnung wird nicht zerschlagen'. Gold hat seine Bedeutung unterstrichen."
Das Geld gaben die Stadt Olsztyn und die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft. Freiwillige aus Polen, Deutschland und Russland halfen bei den Renovierungsarbeiten.
O du mein liebes Ermland
Du Land meiner Geburt
Du wiegtest mich in Träume
Du Glück in meiner Brust
Wir treuen Kinder Ermlands
Wir lieben unser Land
Nach vielen dunklen Jahren
Kam eine schöne Zeit
Die Hymne von Ermland in heutigem Nordostpolen, einst südlichem Ostpreußen, gibt den Charakter dieses Landes und seiner Leute wieder: heterogen und kosmopolitisch, der Region verbunden und integriert.
1813 kamen die ersten jüdischen Siedler
Das war um die Jahrhundertwende nicht anders. 1812 stellte Friedrich Wilhelm III. König von Preußen durch sein "Edikt betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden in dem Preußischen Staate" ["Judenedikt"] 30.000 Juden der christlichen Bevölkerung rechtlich weitgehend gleich. Bis zum zweiten Weltkrieg wohnten sie hier friedlich mit Deutschen, Polen, Masuren und Ermländern zusammen.
Vor 200 Jahren, 1813, kamen dann die ersten jüdischen Siedler nach Alleinstein. Die meisten von ihnen stammten aus dem Grenzgebiet zwischen Großpolen und dem Danziger Pommernland. Die größte jüdische Gemeinde Ostpreußens war in Königsberg. In Allenstein lebten über 600 Personen jüdischen Glaubens und machten ca. zwei Prozent der Stadtbevölkerung aus.
Das Mendelsohnhaus in Allenstein
Das Mendelsohnhaus in Allenstein© Arkadiusz Luba
Die deutschen Juden wären hier reich, emanzipiert, hervorragend organisiert und in die einheimische Bevölkerung integriert, meint der Historiker Rafał Bętkowski:
"Die Stadtpforten wurden nicht für alle geöffnet. Gern gesehen waren wohlhabende, ausgebildete Juden, die schon Vermögen besaßen und Deutsch sprachen. Sie revolutionierten den Handel. Sie vergaben Kredite, verkauften Manufakturprodukte und pflegten den Direktvertrieb."
Gewiefter Student nutzte sein Allensteiner Projekt zweifach
Unter ihnen war die Familie Mendelsohn. Der Familienvater betrieb an der Ecke des alten Marktplatzes ein Geschäft für Herrenbekleidung und Lederwaren. Der geschätzte Bürger war Führer der freiwilligen Feuerwehr und Vorstandsmitglied des Kriegervereins. Seine Kontakte reichten über die Jüdische Gemeinde hinaus bis zum Stadtrat. Ihnen sei es zu verdanken, dass sein Sohn, Erich Mendelsohn, das Reinigungshaus, neben dem jüdischen Friedhof bauen konnte.
"Der damalige Gemeindevorsitzende Dr. Isaac Kamnitzer war mit Mendelsohns Vater eng befreundet. Das Reinigungshaus wurde am 5. September 1913 persönlich von Mendelsohn eröffnet und wurde zu einem Jahresereignis in Allenstein. Kamnitzer erhielt die Schlüssel, die er dann dem Regierungsvertreter überreichte."
Der gewiefte Student nutzte sein Allensteiner Projekt gleich zweifach. Er reichte die Pläne seinem Münchner Professor für Baustilkunde ein. Jahre später erinnerte er daran in seinem Vortrag "zur Entwicklung der zeitgenössischen Architektur":
"Als Student weigerte ich mich, irgendetwas Historisches zu zeichnen. (...) Als Renaissanceaufgabe lieferte ich meinen ersten wirklichen Bau – (...) in meiner Heimatstadt –, über den mein Professor sagte, er habe nichts mit Renaissance zu tun, ihn aber doch großzügig als ›verrückt, aber ungewöhnlich verrückt‹ akzeptierte."
"Eine besondere Persönlichkeit unter den Architekten"
Nicht nur "ungewöhnlich verrückt", aber auch über die damalige Zeit hinausragend. Für den israelischen Architekt Zvi Hecker seien es Werke eines großen Künstlers:
"Mendelsohn ist für mich eine besondere Persönlichkeit unter den Architekten. Er gehörte nie zu diesen Elitekreisen, zu denen seine Kollegen Gropius, Le Corbusier, Mies van der Rohe, oder der junge Alvar Aalto gehörten. Denn Mendelsohn hat gegen die damaligen Regeln der Moderne entworfen. Er schuf expressionistische Architektur, noch lange bevor es angesagt war."
Das vor kurzem neueröffnete Reinigungshaus ist heute das letzte Zeugnis des jüdischen Leben in Olsztyn und Sitz der angesehenen Kulturgemeinschaft "Borussia". Mit dem "Mendelsohnhaus", wie es genannt wird, sollte ein Ort besonderer historischen Bedeutung geschaffen werden, meint Kornelia Kurowska, Vorstand der Kulturgemeinschaft "Borussia":
"Wir wollten, dass es eben eine ganz neue Funktion entsteht und dass dieser Ort auch in dem Kulturleben der Stadt eine Aufgabe bekommt: ein Zentrum für interkulturellen Dialog. Also ein Ort, der eben lebendig ist, der von Menschen gefüllt wird und ihren Ideen. Wir wollten, dass man hier diese vergessene Spuren der jüdischen Geschichte sehen kann, aber auch die Spuren, der sehr vielseitigen und vielfältigen, multikulturellen Geschichte dieser Region."
Die ersten 20 Jahre seines Lebens
Unter den knapp 50 realisierten Bauwerken Mendelsohns befinden sich unterschiedlichste Formen. Auch ihre Funktionen sind verschieden. Von Kauf- und Bürohäusern, über Villen, Bibliotheken und Fabriken bis hin zu Universitäten und Synagogen. Das Haus der Reinigung und das Gärtnerhaus auf dem jüdischen Friedhof Alleinstein hatte Mendelsohn in seinem Werkverzeichnis nie erwähnt. Seine Biografin Ita Heinze-Greenberg erahnt den Grund:
"Ich glaube nicht, dass er sich für sein Frühwerk geschämt hat, sondern das hat sicherlich allein damit zu tun, so ein didaktischer Grund. Wenn Sie so einen Einsteinturm als Debüt setzen, damit markieren Sie natürlich auch eine Karriere. Da bricht jemand auf zu neuen Ufern; und das ist ein faszinierendes und lautstarkes Debüt, was er damit gibt, allein schon der Name des Bauherrn Einstein. Damit setzen Sie 'nen Meilenstein."
In Allenstein verbrachte Mendelsohn genau die ersten 20 Jahre seines Lebens, die ihn geprägt hatten. Er ging dann nach Berlin und München zu studieren, arbeitete danach selbständig als Architekt. Der Einsteinturm, den er nach dem ersten Weltkrieg in Potsdam baute, brachte ihm Ruhm und weitere Aufträge.
1933, als die Nazis an die Macht kamen, musste er ins Exil gehen. Der Weg führte ihn durch Holland, England und Palästina schließlich in die USA. Um das Land kennen zu lernen, bereiste er es quer und durch, immer mit einem Zelt unterwegs. Mit einem Zelt – dem Symbol der Freiheit und der ewigen Bewegung. Immer definierte er sich als "Orientale aus Ostpreußen" und fühlte sich den beiden Welten zugehörig. Das aber – ist schon eine andere Geschichte...