Memorial del 68

Von Peter B. Schumann · 13.06.2008
Auch in Lateinamerika waren die politischen Eruptionen des Jahres 1968 zu spüren: Kurz vor den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko-Stadt ließ die Regierung Armee und Polizei gegen friedlich demonstrierende Studenten aufmarschieren. Dutzende Demonstranten wurden erschossen. Heute erinnert ein Museum an das Massaker, das tiefe Spuren in der mexikanischen Geschichte hinterlassen hat. Im Ibero-Amerikanischen Institut Berlin beleuchtet eine Ausstellung den Kontext der damaligen Ereignisse.
Ein Lied erinnert an Tlatelolco, an das Massaker auf dem Platz der Drei Kulturen, in den Abendstunden des 2. Oktobers 1968. 5000 Studentinnen und Studenten hatten sich hier zu einer friedlichen Demonstration für mehr Demokratie in Mexico versammelt.

Sie waren unbewaffnet, hielten noch nicht einmal Steine in Händen, als Innenminister Echeverría, wenig später Präsident des Landes, Polizei und sogar die Armee mit aufgepflanzten Bajonetten und mit Panzern gegen sie vorrücken und auf sie schießen ließ. Ein Gedenkstein war lange Zeit das einzige Zeichen, das hier auf diese blutigste Unterdrückung einer Studentendemonstration in der Geschichte des Landes verwies. Doch inzwischen wurde an diesem Ort, im unteren Trakt des Gebäudes, aus dem die ersten Schüsse fielen, das Memorial del 68 eingerichtet. Kurator Alvaro Vázquez Montecón:

" Es ist ein Museum mit ständigen Veranstaltungen und einem Dokumentationszentrum. Man kann hier 57 Interviews mit ehemaligen Aktivisten nachlesen oder sich auf DVD ansehen. 2500 Fotos stehen für weitere Recherchen zur Verfügung, außerdem nahezu 300 Stunden Filmmaterial. Neben der Mexikanischen Revolution ist kein Teil unserer Geschichte so gut dokumentiert wie diese Ereignisse. Nun haben wir einen Ort geschaffen, an dem keiner mehr vorbeikommt, der sich mit 1968 beschäftigen will. "

Der Besucher kann auf den zwei Etagen des Memorials einen bewegenden Rundgang durch diese Geschehnisse und ihre Vorgeschichte unternehmen. Sie sind mit allen technischen Mitteln der Audiovision hervorragend aufbereitet. Tlatelolco ist für Mexico ein emblematischer Ort, denn er markiert den blutigen Höhepunkt einer monatelangen Auseinandersetzung zwischen der Studentenbewegung und der Regierung. Dabei ging es nicht um Hochschulreformen, sondern um die überfällige Demokratisierung Mexikos nach Jahrzehnten einer zur Diktatur versteinerten Einpartei-Herrschaft. Elisa Ramírez war damals Studentin der Politologie.

" Meine Fakultät war sehr engagiert. Hier wurde über Mexico nachgedacht, über die kubanische Revolution, über Lateinamerika und zwar viel mehr als über Europa. 1968 kristallisierte sich das alles zu einer massiven Studentenbewegung, die sich bald im ganzen Land ausbreitete und auch in Mexiko-Stadt viele andere Sympathisanten fand. Er war der erste konkrete studentische Protest gegen den Autoritarismus der Regierung. Es ging uns nicht um Revolution, sondern um legitime Forderungen wie die Freilassung der politischen Häftlinge und die Beseitigung der ständigen Kriminalisierung des sozialen Protestes. "

Die Regierung zeigte sich zunächst überrascht von so viel kritischem Potential in ihrem Land der streng reglementierten Freiheiten. Im Oktober standen aber die Olympischen Spiele bevor, und so wollte sie möglichst rasch die alte Ordnung wieder herstellen. Nicht nur autoritäre Regime greifen dann meist zur Gewalt. Elisa Ramírez:

" Die Studentenbewegung begann am Jahrestag der kubanischen Revolution, am 26. Juli 1968. Wir demonstrierten wie alljährlich für Kuba und wurden brutal zusammengeschlagen. Viele wurden inhaftiert, viele verletzt. Wir begannen zu streiken. Eine Spirale von Gewalt und Streik und neuer Gewalt entwickelte sich. Hätte es diese Eskalation der Gewalt nicht gegeben, wäre uns Tlatelolco vielleicht erspart geblieben. Wir sind jedoch mit der Repression gewachsen. Aber auch sie stieg an, je populärer wir wurden. "

Was bedeutet Mexico 1968 für die Generation, die damals gerade geboren war, für Menschen wie Alvaro Vázquez Montecón, den Kurator des Museums der Erinnerung?

" Ich war damals ein Jahr alt. Aber meine Generation ist mit Büchern und Filmen aufgewachsen, die uns geprägt haben: Die Nacht von Tlatelolco von Eléna Poniatowska oder Der Schrei von dem Filmemacher Leobardo López Arretche. Wir haben sie Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre verschlungen und haben diese Erfahrungen uns zu eigen gemacht. Für meine Generation ist ganz klar, dass 68 ein Ausgangspunkt eines größeren demokratischen Prozesses ist. "

Das Memorial del 68 hält diese für die Durchsetzung der Demokratie in Mexico entscheidenden Erfahrungen wach. Fast 40 Jahre hat es gedauert, bis es der staatlichen Universität UNAM möglich war, das Museum zu gründen. Aber es hatte ja auch fast 70 Jahre gebraucht, um die PRI, die Partei der institutionalisierten Revolution, endlich 2000 von ihrer Alleinherrschaft zu vertreiben. Die mexikanische Demokratie ist also noch sehr jung. Und Elisa Ramírez glaubt auch heute noch nicht, dass sie in wirklich demokratischen Verhältnissen lebt.

" Uns bringt heute keiner mehr zum Schweigen oder vertreibt uns von der Straße oder hindert uns an Demonstrationen. Wir schreien, wir pfeifen, wann immer wir wollen. Die Gefahr besteht nur darin, dass alles mit dem puren Schrei endet. Uns fehlt es nicht an Zorn, sondern an Organisation. Aber das von uns Erreichte ist nicht mehr zu verdrängen. "