Memoiren von John le Carré

Leben eines traumatisierten Spions

Der britische Schriftsteller John le Carrés
Der britische Schriftsteller John le Carrés 2008 in einem Hamburger Hotel. © picture alliance/dpa/Foto: Maurizio Gambarini
Von Friedbert Meurer · 08.09.2016
Er war britischer Geheimagent und schrieb Romane über sein Spezialgebiet, die Spionage. Nun hat John le Carré seine Memoiren unter dem Titel "Der Taubentunnel" vorgelegt. Darin erfährt der Leser von seiner Kindheit ohne Mutter und einem tyrannischen Vater.
Schüsse am Checkpoint Charlie im geteilten Berlin. "Der Spion der aus der Kälte kam" aus dem Jahr 1963 war der dritte Roman John le Carrés. David Cornwell, so sein richtiger Name, musste unter Pseudonym schreiben, weil er zu der Zeit noch für den MI6, den britischen Auslandsgeheimdienst in Bonn arbeitete.
"Über meine Tätigkeit für den britischen Geheimdienst in Deutschland möchte ich nichts zu dem hinzufügen, was schon bekannt ist, liest le Carré hier selbst aus seinen Memoiren vor. Das ist ein Überbleibsel meiner altmodischen Loyalität zum Service und zu Leuten, mit denen ich zusammen gearbeitet habe."
Überwiegend reiht der Memoirenband Anekdoten aneinander, mehrfach handeln sie von seinem tyrannischen und gewalttätigen Vater Ronnie.
"Es hat lange gedauert, bis ich Ronnie schriftstellerisch verarbeiten konnte. Er war ein Hochstapler, Phantast, gelegentlicher Knastbruder – und mein Vater."
Die Mutter hielt es mit Ronnie nicht aus, verließ die Familie, als der Sohn fünf Jahre alt war. John le Carré sah sie erst mit 21 Jahren wieder – und empfand nichts für sie. Das tiefgefrorene Kind in ihm habe nicht das kleinste Anzeichen gezeigt aufzutauen.

Jugend mit Schockerlebnis

Die aktuelle BBC-Verfilmung "The Nightmanager", den das ZDF gerade zeigt, geht auf einen 20 Jahre alten Roman le Carrés zurück. Verrat, Lügen und Misstrauen – letztlich hat der Vater in ihm angelegt, immer neue Täuschungen zu erfinden. Der Titel der Memoiren "Der Taubentunnel" geht auf ein schockartiges Erlebnis aus der Jugend zurück.
"Mein Vater nahm mich mit ins Casino nach Monte Carlo. Nebenan war eine Schießanlage. Tauben wurden in einem abgedunkelten Tunnel gefangen gehalten, flogen dann hoch in den Himmel über dem Mittelmeer – und wurden von gutbetuchten Freizeitschützen abgeknallt. Die Tauben, die nicht getroffen wurden, flogen instinktiv wieder in den Tunnel zurück, zum Ort ihrer Geburt – wo dieselbe Todesfalle von neuem begann."
Der Taubentunnel als eine Parabel für John le Carré Leben in Kindheit und Jugend. Le Carré erfindet "Versionen meiner selbst", schreibt er, "aber niemals die Wahrheit, wenn es denn überhaupt eine gibt". Wahr dürfte wohl doch aber seine Einladung zum Lunch mit Premierministerin Margret Thatcher sein. Da er gerade vorher bei Jassir Arafat war, schilderte er ihr das Leid der Palästinenser.
"Erzählen Sie mir keine rührseligen Geschichten, reagierte sie mit plötzlicher Vehemenz. Jeden Tag appellieren die Leute an meine Gefühle. So kann man nicht regieren. Die Palästinenser hätten die IRA im Bombenbauen angeleitet und ihren Freund Airey Neave ermordet, einen Helden des Zweiten Weltkriegs und ihr politischer Berater."
John le Carré fragte sich beim Verlassen der Downing Street, warum er überhaupt eingeladen worden war. Vielleicht, so seine Vermutung, "wollte Margret Thatcher von mir aus erster Hand wissen, wie sie ihre miteinander rivalisierenden Geheimdienste bändigen kann".
Mehr zum Thema