Meisterinterpret der Klassik und Romantik

Von Michael Stegemann · 07.01.2012
Er war der letzte "Dinosaurier" der großen Dirigenten des 20. Jahrhunderts - vielleicht auch, weil seine Karriere erst spät begann: Günter Wand war bereits im Rentenalter, als ihn die Musikwelt Ende der 1970er-Jahre entdeckte. Noch mit fast 90 setzte er mit den Berliner Philharmonikern Maßstäbe für Schubert und Bruckner.
1912 war ein ausgesprochen guter Jahrgang für Dirigenten: das Geburtsjahr von Sergiu Celibidache, Erich Leinsdorf, Ferdinand Leitner, Igor Markevitch, Kurt Sanderling, Georg Solti – und von Günter Wand.

Anton Bruckners Neunte, mit dem 89-jährigen Günter Wand am Pult der Berliner Philharmoniker, im Januar 2001: Krönung einer Karriere, die erst spät begann.

Nichts deutete darauf hin, dass der am 7. Januar 1912 in Elberfeld bei Wuppertal geborene Günter Wand für eine Musiker-Laufbahn bestimmt war.

"Ich stamme aus einem Bürgerhaus, nicht wahr; mein Vater war ein wohlhabender Kaufmann, und meine Vorfahren väterlicherseits waren alles Bauern. Wir haben nie einen Künstler in der Familie gehabt, und so war das also gar nicht vorauszusehen."

Und dennoch wurde es die Musik. Im Schatten der Politik, von der er sich fernhielt, studierte Günter Wand in Köln und München und wurde 1939 als Kapellmeister an die Kölner Oper berufen, 1946 zudem zum Generalmusikdirektor des Kölner Gürzenich-Orchesters. Hier entstanden auch die ersten Schallplattenaufnahmen.

Mozarts "Jupiter”-Symphonie, 1957. Schon hier zeigte sich Günter Wands typische Handschrift als Dirigent: absolute Werktreue, präzise, bei aller Klangintensität fast kühl, ohne jedes Pathos – das Gegenteil eines Leonard Bernstein oder Herbert von Karajan. Nichts hasste Günter Wand so sehr wie "Firlefanz”:

""Wenn ich spüre, als Zuhörer – deshalb bin ich so wahnsinnig empfindlich, in Konzerte zu gehen –, ist, wenn ich belehrt werden soll, nicht wahr, wenn einer diese große Musik interpretiert; möglichst noch mit erhobenem Zeigefinger, nicht wahr: dann ist bei mir aus.”"

Wand engagiert sich für zeitgenössische Musik; sein Kernrepertoire aber bilden Klassik und Romantik, wobei manche Werke erst spät in seinen Konzerten auftauchen.

""Die große C-Dur-Symphonie von Schubert, [an die] hab' ich mich ja eigentlich überhaupt erst sehr spät herangewagt: Ich war 60 Jahre alt, als ich das Stück zum ersten Mal dirigiert hab' in meinem Leben – das hält man wahrscheinlich gar nicht für möglich.”"

""Das ist mir mit einigen solchen Stücken so gegangen; dazu gehört zum Beispiel auch die 5. Symphonie von Bruckner, die ich ja auch erst 1974 zum ersten Mal dirigiert habe.”"

Diese 1974 beim Kölner WDR entstandene Aufnahme der Fünften von Bruckner wird mit Kritikerlob und Auszeichnungen überhäuft und setzt spät den Auftakt für die Karriere Günter Wands. Von 1982 bis '91 ist er Chefdirigent des NDR-Sinfonie-Orchesters, daneben entstehen zahlreiche Aufnahmen, die seinen Ruf als maßgeblicher Beethoven-, Schubert-, Brahms- und Bruckner-Dirigent festigen und bestätigen. Bis zuletzt steht er auf dem Podium, inspiriert seine Orchester mit sparsamen Gesten und scharfem Blick.

""Ich habe sicher vieles falsch gemacht, aber wahrscheinlich mit großer Überzeugungskraft falsch gemacht.”"

Am 14. Februar 2002 – einen Monat nach seinem 90. Geburtstag – ist Günter Wand in Ulmiz in der Schweiz gestorben.